- Home
-
Private Banking
-
Market View & Insights
Die grossen Notenbanken liefern sich derzeit ein Wettrennen um die Entwicklung einer staatlich gestützten Digitalwährung, der sogenannten GovCoins oder CBDCs (Central Bank Digital Currencies). Wir beleuchten die Risiken und Vorteile dieser nächsten Phase der digitalen Revolution sowie die Auswirkungen darauf, wie wir künftig Geld halten, übertragen und nutzen werden.
Sonnemannstrasse, Frankfurt am Main: Das Glashochhaus der Europäischen Zentralbank (EZB) funkelt in der Sonne. In seinen Innenräumen gleisen Fachleute einen vollelektronischen Euro auf. Threadneedle Street, London: In den Büros hinter der historischen granitgrauen Fassade der Bank of England befasst man sich mit ähnlichen Plänen – es geht um eine neue High-Tech-Form des Pfundes. Nach der Ankündigung an einer Medienkonferenz im Februar 2023 prägten die Reporter an der Fleet Street die Bezeichnung "Britcoin" (bei der Bank of England stiess der Name nicht auf Gegenliebe – dazu mehr weiter unten).
Der Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, setzt sich wie viele andere Währungshüter der Welt nachdrücklich dafür ein, dass Währungen im traditionellen Sinn – d. h. von Regierungen oder internationalen Allianzen ausgegebene und gedeckte gesetzliche Zahlungsmittel – bestehen bleiben, selbst wenn sie inzwischen hauptsächlich digital genutzt werden.
"Ein digitales Pfund würde einen neuen Zahlungsweg eröffnen, den Unternehmen helfen, das Vertrauen in Geld stützen und die finanzielle Stabilität besser schützen", sagte Andrew Bailey im Februar 2023 bei der Einleitung eines Konsultationsprozesses hinsichtlich einer, wie er es nannte, "tiefgreifenden Entscheidung daüber, wie wir Geld nutzen".
Die explosionsartige Verbreitung von Zahlungsapps und digitalen Münzen hat den Weg für digitale Währungen wie Bitcoin geebnet, die dem traditionellen Bargeld Konkurrenz machen. Diese Kryptowährungen drohen das bis zum Internetzeitalter unangetastete staatliche Monopol bei der Ausgabe von Zahlungsmitteln zu brechen. Wohl auch deshalb denkt der Internationale Währungsfonds über eine globale Zentralbank für digitale Währungen nach.
Kryptowährungen werden von den Notenbanken nicht als Geld im eigentlichen Sinne anerkannt. Als Gründe führen sie den hochgradig spekulativen Charakter und die enorme Volatilität solcher Währungen an. Wegen der Nähe zu "Bitcoin" wehrte sich die Bank of England auch gegen die Bezeichnung "Britcoin" für ihr digitales Pfund. Die gleiche Technologie, die zur Kontrolle der Authentizität von Kryptowährungen verwendet wird, wie etwa die Blockchain von Bitcoin, dürfte sich aber auch für stabilere, staatlich gestützte Alternativen eignen.
Daher eröffnet die Entwicklung von GovCoins oder CBDCs (digitalen Notenbankwährungen) neue Wege für diese traditionellen Schwergewichte der internationalen Finanzwelt, während sie zugleich eine Reihe komplexer Risiken und Konsequenzen sowie Potenzial für einige bahnbrechende Innovationen mit sich bringt, wenn diese ehemalige Nischentechnologie zum Mainstream wird.
Die zentrale Frage dabei ist, was ein E-Euro oder ein digitales Pfund für die Finanzinstitutionen im Privatsektor bedeuten würde. Geschäftsbanken und Sparkassen bilden derzeit das Bindeglied zwischen den privaten Kontoinhabern und den Notenbanken. Wie verändert sich dieses jahrhundertealte, milliardenschwere Geschäftsmodell, wenn sich mittels GovCoins Direkteinlagen in die staatlichen Tresore tätigen lassen?
Für effiziente digitale Zahlungen müssen sich CBDCs wie Bargeld einsetzen lassen und über leicht zugängliche sowie breit akzeptierte Apps und Plattformen laufen. Da per Definiton der Staat hinter GovCoins steht, eignen sie sich als einfach zu nutzendes Tauschmittel, bei dem das mit Kontoanbietern aus dem privaten Sektor verbundene Insolvenzrisiko entfällt. Schliesslich können Notenbanken mit einem Klick neue Barmittel generieren, was einzigartige Sicherheit bietet.
Das fehlende "Gegenparteirisiko" bei GovCoins spielt in den Plänen der Notenbanken, die sie in direkten Kontakt zur breiten Öffentlichkeit bringen würden, eine zentrale Rolle. Es ist eine unvermeidbare Folge davon, dass staatlich ausgegebenes Geld im Zentrum eines elektronischen Systems steht, das heute von privatwirtschaftlichen Plattformen wie Apple Pay, PayPal und AliPay dominiert wird – selbst wenn die Notenbanken wie derzeit erwartet keine Kontokorrentkonten anbieten.
Wie steht es mit der Gefahr, dass CBDCs und deren Apps ihre nicht-staatlichen Vorgänger verdrängen? Grundsätzlich sind verschiedene Arten von Koexistenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Zahlungssystemen denkbar, angefangen bei Begrenzungen der Einlagen in CBDCs bis hin zu Ausgleichsmechanismen zur Sicherstellung, dass die Geschäftsbanken einen Teil des staatlich ausgegebenen digitalen Geldes halten. Die endgültige Gestaltung dürfte sich im Lauf der Zeit herauskristallisieren.
Ein wesentlicher Unterschied dürfte darin bestehen, dass GovCoin-Einlagen – unabhängig davon, wo und wie sie gehalten werden – keine Zinsen tragen. Dieser Umstand sowie Limiten bei Einlagen auf reinen Überweisungskonten dürften verhindern, dass die herkömmlichen Bankkonten durch CBDCs existenziell bedroht werden oder dass Geschäftsbanken massive Geldabzüge zugunsten von Notenbanken erleiden müssten.
In China laufen bereits Versuche mit einem E-Yuan. Die Bahamas sind schon seit Langem ausgesprochene Befürworter des digitalen Geldes und bieten einen staatlich gestützten "Sand Dollar" an – obwohl ihre Wunden als Host der zusammengebrochenen Kryptowährungsbörse FTX noch nicht vollständig vernarbt sind. Diese vollumfänglich digitalisierte, staatlich gestützte Version des Bahama-Dollar ist an den US-Dollar gebunden und lässt sich mittels Mobiltelefon ohne Transaktionskosten überweisen.
Die US Federal Reserve verfolgt die Entwicklungen genau, auch wenn der US-Dollar nach wie vor seine unangefochtene Stellung als Hauptreservewährung der Welt hält. Wie Notenbankpräsident Jerome Powell kürzlich an einem Runden Tisch beim Internationalen Währungsfonds erklärte, "ist es für uns wichtiger, ein trag- und funktionsfähiges System aufzubauen, als die Ersten zu sein. Dies bedeutet, dass wir nicht nur die potenziellen Nutzeffekte einer CBDC, sondern auch die potenziellen Risiken unter die Lupe nehmen und die bestehenden Zielkonflikte eingehend durchdenken müssen."
Für Politiker, insbesondere in Washington, sind dies besorgniserregende Aussagen: Der Gedanke, dass China bei der Entwicklung von GovCoins die Führung übernehmen könnte, sorgt für Unbehagen. Anderenorts heisst man die Möglichkeit eines weniger stark auf dem US-Dollar basierenden internationalen Finanzsystems durchaus willkommen, selbst wenn digitalisierte Währungen auch mit Befürchtungen verbunden sind. Dies in Bezug auf die bürgerlichen Freiheiten sowie die Fähigkeit der Regierungen, die Ausgaben der Bürgerinnen und Bürger zu überwachen.
Ungeachtet der konkreten mittel- und langfristigen Folgen des Aufstiegs von CBDCs sind Antworten auf zahlreiche offene Fragen erforderlich, zum Beispiel: Wie wirken sich CBDCs auf die Wechselkurse aus? Wie funktionieren die standardisierten Transaktionsdaten, ohne die ein internationaler Einsatz undenkbar ist? Die Beantwortung solcher Fragen erfordert Zeit und Anstrengung. Allerdings werden GovCoins nicht von allen wichtigen Notenbankern befürwortet. Thomas Moser, Mitglied des Erweiterten Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB), sagte gegenüber dem Fernsehsender CNBC TV, dass er keinen Bedarf an CBDCs erkennen könne.
Dennoch bieten GovCoins einen signifikanten potenziellen Nutzen, nicht zuletzt, da sie für Personen, die für die herkömmlichen Geschäftsbanken ein zu hohes Kundenrisiko mit sich bringen, einen Weg in das Banksystem eröffnen. Ausserdem mindern sie die mit privaten Zahlungsplattformen verbundenen Risiken in einer Zeit, in der das herkömmliche Bargeld immer weniger genutzt wird. GovCoins würden auch die Nutzung von privaten Kryptowährungen zur Vermeidung von Sanktionen und Umgehung von Steuern erschweren.
Tatsächlich könnten GovCoins schneller als erwartet Realität werden. Irgendwo auf den 45 Stockwerken am Hauptsitz der EZB wurde so rasch gearbeitet, dass die EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Einführung des digitalen Euro provisorisch auf 2025 ansetzte. Bei der Bank of England steht die definitive Entscheidung zwar noch aus. Sofern sie zugunsten des digitalen Pfundes ausfällt, könnte seine Einführung gegen 2030 erfolgen. Und wenn der Name "Britcoin" sich durchsetzt, können die führenden Köpfe an der Threadneedle Street nur noch hoffen, dass Verwechslungen mit dem weniger stabilen Kryptovorläufer mit ähnlichem Namen ausbleiben.