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Finanzwissen

Nachhaltigkeit kollektiv in Angriff nehmen

Elinor Ostrom hat gezeigt, dass Menschen in gemeinschaftlicher Arbeit natürliche Ressourcen nachhaltig bewirtschaften können - und dafür 2009 den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten. Ihre Arbeit ist so aktuell wie eh und je.

Datum
Autor
Wendy Cooper, Gastautorin
Lesezeit
5 Minuten

Eine alte Frau in dunkelrotem und violettem Kleid posiert in einer Säulenhalle und lächelt in die Kamera.
Elinor Ostrom, Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften 2009, hat schon früh auf die Klimakrise aufmerksam gemacht. Der Beitrag der 2012 verstorbenen Ökonomin zu einer Lösung ist von unschätzbarem Wert. © Dominik Butzmann/laif

Die "Tragik der Allmende" wurde erstmals von Aristoteles beschrieben. Demnach übernutzen viele Menschen, die freien Zugang zu einer endlichen natürlichen Ressource haben, diese unweigerlich - und zerstören sie am Ende vielleicht sogar ganz. Die gängige Meinung ist daher, dass gemeinsames Eigentum eine schlechte Idee ist. Denn einzelne Akteure würden nach ihrem maximalen persönlichen Nutzen handeln und gemeinsam genutzte Ressourcen auch dann ausbeuten, wenn dies langfristig in niemandes Interesse liegt.

Oder werden sie es nicht tun?

Gemeinsame Regeln und grundlegende Mechanismen

Ein Deckblatt zeigt Piktogramme von Menschen, die sich in einem Kreis an den Händen halten.-
"Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Staat und Markt" von Elinor Ostrom erschien 1990.

Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor "Lin" Ostrom widmete ihr Berufsleben der Überprüfung dieser Annahmen. Mit ihren weltweit in kleinen, lokalen Gemeinschaften gesammelten Daten zeigte sie, wie Menschen auf Basis gemeinsam entwickelter Regeln Gemeinschaftsressourcen wie Weideland, Fischgründe und Wälder erfolgreich bewirtschaften können.

In ihrem 1990 erschienenen, einflussreichen Buch "Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Staat und Markt" vertritt Ostrom sogar die Ansicht, dass die gemeinschaftliche Bewirtschaftung eine wirksame Alternative zu staatlichen oder marktbasierten Lösungen sein kann. Das Buch verschaffte ihr eine internationale Anhängerschaft - und breite Anerkennung.

Im Jahr 2009 schrieb Ostrom Geschichte: Als erste Frau erhielt sie (gemeinsam mit Oliver E. Williamson, der für seine Arbeit über Corporate Governance ausgezeichnet wurde) den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, weil sie, wie das Nobelpreiskomitee begründete, "uns neue Erkenntnisse über die tiefgreifenden Mechanismen vermittelt, welche die Zusammenarbeit in menschlichen Gesellschaften fördern".

Ostroms Gesetz und die Macht des Polyzentrismus

Eine Frau in einem farbenfrohen Kleid geht inmitten von mit Wasser gefluteten Feldern.
Ostrom untersuchte Bewässerungssysteme wie hier in Nepal, um zu verstehen, welche Rolle lokale, dezentrale Systeme im Vergleich zu einem zentralisierten Ansatz bei der Bewältigung von Komplexität spielen. © istock/Caval

Ostrom war eine leidenschaftliche Empirikerin. Das durchaus ironisch gemeinte Ostromsche Gesetz besagt, dass "ein in der Praxis funktionierendes Ressourcenarrangement auch in der Theorie funktionieren kann". Genauso überzeugt wie von dieser Aussage war die Wissenschaftlerin auch von der Macht des Polyzentrismus.

Anhand von Studien über Bewässerungssysteme in Spanien und Nepal, über Wälder in Simbabwe und Sambia sowie über Weiden in der Schweiz und Fischereien in Maine und Indonesien stellte sie fest, dass eine Vielzahl lokaler, dezentraler Systeme Komplexität besser bewältigen kann als ein zentralisierter Ansatz.

Sie wusste aber auch, dass klar definierte Regeln und Verantwortlichkeiten entscheidend für den Erfolg sind.

Grundlagen des Erfolgs

In "Die Verfassung der Allmende" verdichtete Ostrom ihre Erkenntnisse zu acht Prinzipien, die allen von ihr untersuchten erfolgreichen Beispielen der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen zugrunde liegen:

  1. Eindeutig definierte Grenzen: Es sollte klar sein, wer zu was Zugang hat.
  2. Regeln, die den lokalen Gegebenheiten entsprechen: Sie werden von den Menschen vor Ort und den lokalen Umweltbedingungen bestimmt.
  3. Partizipative Entscheidungsfindung: Möglichst viele Menschen werden einbezogen.
  4. Überwachung: Gemeinwesen leben nicht vom guten Willen allein; sie brauchen Rechenschaftspflicht.
  5. Abgestufte Sanktionen: Ein radikaler Ausschluss von Personen, die gegen die Regeln verstossen, erzeugt Unzufriedenheit.
  6. Konfliktlösungsmechanismen: Konflikte sollen zügig und für alle Beteiligten kostengünstig gelöst werden können.
  7. Anerkennung durch externe Behörden: Die Gemeinschaft muss als eigenständige Organisation anerkannt werden.
  8. Gemeinwesen funktionieren am besten, wenn sie in grössere Netze eingebettet sind: Einige Dinge können auf lokaler Ebene verwaltet werden, andere wiederum erfordern eine umfassendere regionale Zusammenarbeit - zum Beispiel kann ein Bewässerungsnetz von einem Fluss abhängen, aus dem flussaufwärts auch andere Nutzer schöpfen.

Ihr persönlicher Kampf

Historisches s/w-Bild von zwei Frauen und einem Mann in einer Büroumgebung, die sich Dokumente ansehen.
Ostrom (Mitte) bei der Analyse politischer Daten 1977. © Indiana University

Ostrom musste grosse Vorurteile überwinden, um erfolgreich zu sein. Sie wurde 1933 in bescheidenen Verhältnissen in Los Angeles geboren. Ihren Studienplatz an der University of California, Los Angeles (UCLA) musste sie sich sowohl gegen den elterlichen als auch gegen den gesellschaftlichen Widerstand erkämpfen. Denn Hochschulbildung für Frauen war zur damaligen Zeit alles andere als selbstverständlich.

Weil ihre Mathematikkenntnisse zu der Zeit nicht ausreichten, konnte sie sich nicht für ein wirtschaftswissenschaftliches Graduiertenprogramm einschreiben. Aber sie wurde zum Graduiertenprogramm für Politikwissenschaft an der UCLA zugelassen, wo sie 1962 ihren Magisterabschluss und 1965 den Doktortitel erlangte.

Ihren zweiten Ehemann Vincent Ostrom lernte sie in seinem politikwissenschaftlichen Seminar kennen. Als sie ihn 1963 heiratete, analysierte sie die Bewirtschaftung von Grundwasservorkommen in Südkalifornien. 

Die Anwohner hatten zu viel Grundwasser abgepumpt, sodass Salzwasser in die Speicher nachgeflossen war. Ostrom, beeindruckt von der gemeinschaftlichen Problemlösungskompetenz der Nutzerinnen und Nutzer, widmete ihre Dissertation der Zusammenarbeit dieser Gemeinschaft.

Ein Neuanfang - und ein bahnbrechender Workshop

Eine Frau in einem gemusterten Kleid nimmt an einem Königshof, umringt von Menschen, von einem Mann einen Orden entgegen.
Ostrom schrieb 2009 Geschichte, als sie als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. Ihr folgten 2019 Esther Duflo und 2023 Claudia Goldin. © The Nobel Foundation 2009, Frida Westholm

Die Arbeit ihres Mannes Vincent Ostrom über die Regierungsführung in Grossstädten, mit der er sich gegen Zentralisierung und für Polyzentrismus (die Existenz mehrerer Wirtschafts- oder Machtzentren innerhalb eines bestimmten Gebietes) aussprach, führte zu Konflikten mit der vorherrschenden Lehrmeinung des Bureau of Government Research der UCLA. Der Meinungsstreit veranlasste die Ostroms schliesslich, die Universität zu verlassen und einen Neuanfang zu wagen.

1965 zogen sie nach Bloomington im US-Bundesstaat Indiana, wo Vincent Ostrom eine Professur für Politikwissenschaft an der Indiana University annahm. Elinor Ostrom schloss sich der Fakultät als Lehrbeauftragte an und gab zunächst einen Abendkurs über das amerikanische Regierungssystem.

Erst 1974 wurde auch sie zur Professorin für Politikwissenschaft ernannt. Von 1980 bis 1984 leitete sie den Fachbereich, danach übernahm sie den angesehenen Arthur F. Bentley-Lehrstuhl für Politikwissenschaft.

Das Wichtigste ist jedoch, dass sich Ostrom und ihr Mann an der Indiana University mit ihrem "Workshop in Political Theory and Policy Analysis" eine Plattform zur Verbreitung ihrer Ideen schaffen konnten.

Heute schlicht als Ostrom-Workshop bezeichnet, unterstützt er die Forschung von mehr als 200 internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen zu "den dringendsten Problemen der Welt, die mit gemeinsamen, umkämpften Ressourcen zu tun haben - von sauberem Wasser bis zum sicheren Cyberspace".

Ein zunehmend relevantes Vermächtnis

Elinor Ostrom starb bereits 2012 an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Doch in einer Zeit des rasant fortschreitenden Klimawandels gewinnt ihr Vermächtnis zunehmend an Bedeutung.

Eine alte Frau und ein alter Mann sitzen nebeneinander und schauen sich an; die Frau hält ein Dokument in der Hand.
Ostrom mit ihrem Ehemann Vincent Ostrom, ebenfalls Politikwissenschaftler. © Jeremy Hogan/Polaris/laif

Denn sie hat nicht nur unser Verständnis der nachhaltigen Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen grundlegend erneuert, sondern auch eine Konzeption für die Bewältigung der Klimakrise geschaffen. Diese Konzeption liegt auch den internationalen Vereinbarungen zugrunde, die nach Ostroms Tod geschlossen wurden.

Wie Erik Nordman, Autor von "The Uncommon Knowledge of Elinor Ostrom" (etwa: "Das unerhörte Wissen von Elinor Ostrom: Grundlegende Lehren für kollektives Handeln"; bislang nicht auf Deutsch erhältlich), feststellte, hat Ostrom zwar "nicht mehr erlebt, wie der Eiffelturm [2016] grün leuchtete, während die Staats- und Regierungschefs das Pariser Abkommen zum Klimawandel unterzeichneten". Dennoch "folgt dieses Abkommen weitgehend [ihrem] Ansatz einer polyzentrischen Bewirtschaftung [von Ressourcen]". Es stützt sich beispielsweise "auf national festgelegte Reduzierungen der Kohlenstoffemissionen ... [wobei] ... die Länder die Zusagen der anderen bewerten und sich gegenseitig zu mehr Ehrgeiz anspornen."

Die Lösung der Klimakrise ist natürlich eine bleibende Aufgabe. Aber Ostroms Beitrag war dafür bislang eindeutig von unschätzbarem Wert.

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