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Eskalation im Nahen Osten: Die Auswirkungen auf den Ölsektor und Inflation

Die Ausweitung des Konflikts im Nahen Osten um einen weiteren Raketenangriff des Irans auf Israel gefolgt von einem Vergeltungsversprechen Israels gegenüber dem Iran spiegelt sich entsprechend in einer erhöhten Nervosität des Ölpreises sowie in Ausschlägen von Energieaktien wider. Aus Sorge um ein beeinträchtigtes Angebot legte der Ölpreis der Sorte Brent innert kürzester Zeit um nahezu 12% zu. Indizien deuten darauf hin, dass spekulative Positionen im Ölmarkt ein neues Zweijahreshoch erreicht haben. Über den gleichen Zeitraum legte der globale Energiesektor nahezu 7% zu, und war damit zeitweise der stärkste globale Sektor, während er aber im Jahresvergleich immer noch hinter dem Weltaktienindex zurückgeblieben ist. Wie ist die Situation einzuordnen?

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Autor
Georg Ruzicka, Head Equity Research LGT Private Banking, Dr. Wolfgang von Hessling, Chief Economist Private Banking Europe
Lesezeit
10 Minuten

Öl
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Der Iran produziert schätzungsweise 3 Millionen Barrel Öl pro Tag, rund 3% der täglichen Förderung weltweit. Davon werden 1.7 Millionen Barrel exportiert, was aktuell nahe einem Sechsjahreshoch liegt. Die zum Iran gehörende Insel Khark im Persischen Golf stellt das Hauptexportterminal für rund 90% des für die Ausfuhr bestimmten iranischen Öls dar. Die Insel verfügt über umfangreiche Infrastrukturen zur Lagerung und zum Umschlag von Öl. Es gibt grosse Lagertanks, Verladeeinrichtungen und Pipelines, die das Öl von den Festlandfeldern zur Insel transportieren. Während des Iran-Irak-Krieges in den 1980er Jahren war die Insel ein häufiges Ziel irakischer Angriffe, weshalb die iranische Marine zum Schutz der Insel dort eine Basis unterhält. Ein direkter Schlag Israels gegen diese Infrastruktur respektive Öltanker, die in Khark liegen, würde für deutliche Nervosität im Energiemarkt sorgen, da dies weiteres Eskalationspotenzial bergen und Irans Exportfähigkeit direkt beeinträchtigen würde. Infolge der anhaltenden internationalen Sanktionen beliefert der Iran insbesondere Länder, welche weniger anfällig für Druck aus den USA sind, wie beispielsweise China, Syrien, Venezuela oder Indien. Sollten iranische Lieferungen an diese Länder ausfallen, müssten diese ihre Erdölimporte aus anderen Quellen decken, sodass deren erhöhte Nachfrage wiederum zu einem globalen Preisdruck beitragen würde. Gezielte Angriffe gegen beispielsweise iranische Raffinerien im Inland hingegen würden primär Irans Versorgung des Heimmarktes treffen, mit verhältnismässig geringen globalen Folgen, zumindest unmittelbar betrachtet.

Globale Ölversorgung trotz Risiken stabil

Auch bestehen Sorgen, dass der Iran bereit sein könnte, Förder- und Transportaktivitäten in anderen Regionen - wie etwa der Strasse von Hormus, durch die schätzungsweise 20% des weltweiten Ölhandels laufen - zu behindern, um mögliche Kriegskosten durch höhere Ölpreise zu internationalisieren. Dem ist allerdings entgegenzusetzen, dass ein solches Vorgehen die jüngst verbesserten diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien auf die Probe stellen würden, was kaum im Interesse Irans scheint. In die Gesamtbetrachtung ist zudem einzubeziehen, dass OPEC+ über schätzungsweise 6 Millionen Barrel ungenutzter Produktionskapazität verfügt, nachdem die Organisation ihren Output beschränkt hat. Jüngst kursieren Bedenken, Saudi-Arabien könnte sein Ziel eines Ölpreises von USD 100 aufgeben und die Ölförderung wieder ausweiten, was auf dem Ölpreis lasten dürfte. Ein ähnliches Szenario scheinen auch die Öl-Futures einzupreisen, welche kurzfristig von höheren Ölpreisen ausgehen als längerfristig. Insgesamt scheint die globale Versorgung mit Rohöl aktuell nicht übermässig gefährdet, wobei Risiken für den globalen Ölmarkt klar bestehen. Wir haben den Energiesektor mit «Übergewichten» eingestuft, unter anderem als Absicherung gegen geopolitische Risiken wie eine Eskalation in Nahost.

Das Potenzial für steigenden Inflationsdruck

Die Entwicklung der Inflationsdynamik ist meist stark durch lokale Rahmenbedingungen (z.B. Knappheiten oder Überangebot) in regionalen Teilmärkten (z.B. für Lebensmittel) sowie den dortigen Lohndruck geprägt. Nichtsdestotrotz spielen Energiepreise für die Erklärung der Gesamtinflation gerade für international gut vernetzte Ökonomien eine wichtige Rolle. Eine Analyse des Zusammenhanges zwischen monatlichen Ölpreisänderungen sowie der Entwicklung der Jahresinflationsraten zeigt deutlich: Ein anziehender Ölpreis übersetzt sich in anziehenden Inflationsdruck. Seit der Jahrtausendwende betrachtet bewirkte z.B. ein Anstieg des US Crude Light-Ölpreis um USD 10 innerhalb eines Monats ein Anziehen der Jahresrate der Konsumentenpreisinflation um über 55 Basispunkte im Laufe des Folgequartals. Ein ähnliches Verhalten ist bei der energieimportabhängigen Eurozone zu beobachten, was die Benchmarkfunktion der internationalen Ölpreise zur Ermittlung des Einflusses von Energiekosten unterstreicht. Generell ist also davon auszugehen, dass Disruptionen im Ölangebot auf Basis des Nahostkonfliktes also zunächst durchaus zu einem «Wiederaufflammen» des Inflationsdrucks führen könnten. Unserer Ansicht nach sollten derartige Entwicklungen jedoch aufgrund der Bremseffekte auf den Nachfrage- und Wachstumsausblick sowie die grössere Unabhängigkeit der USA in Bezug auf Rohölimporte zeitlich und betragsmässig eher begrenzt ausfallen.

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