The Strategist

Geldpolitik am Scheideweg

In den kommenden Wochen stehen die grossen westlichen Zentralbanken - allen voran die US-Notenbank (Fed), aber auch die Europäische Zentralbank (EZB) - im Kampf gegen die Inflation unweigerlich an einem Scheideweg. Sie haben die bipolare Wahl zwischen Vertrauen in die getroffenen Massnahmen oder der konventionellen Brechstange.

Datum
Autor
Thomas Wille
Lesezeit
10 Minuten

Scheideweg
© Shutterstock

Auf der einen Seite haben die Zentralbanken der G7 die Wahl, auf die aggressivste Straffung der Geldpolitik der letzten 40 Jahre zu vertrauen und darauf zu hoffen, dass sich die Wirtschaft in den kommenden Monaten aufgrund der nachgewiesenen "Zeitverzögerung" weiter abkühlt. Dies sollte den Preisdruck dämpfen und die Wirtschaft weiter abkühlen. Die grosse Frage bleibt das Timing bzw. wie viel Geduld die US-Notenbank mitbringt und das politische Umfeld zulässt. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, quasi die Brechstange herauszuholen, um das Inflationsziel von 2% mit allen Mitteln zu erreichen, damit aber eine schwere Rezession in Kauf zu nehmen. Über den Sommer wird sich zeigen, welche Notenbank sich am Scheideweg für welche Option entscheidet. Wir gehen davon aus, dass die Brechstange nur dann zum Einsatz kommen wird, wenn sich die Inflation wieder deutlich beschleunigt. Solange die Gesamtinflation und die Kernrate einen abschwächenden Trend im Quartalsvergleich aufzeigen, werden die Zentralbanken auf die aggressiven Zinserhöhungsschritte der letzten gut 18 Monate vertrauen.

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Geduldig pausieren bei Vollbeschäftigung?

An einem Scheideweg stehen die Notenbanken auch deshalb weil eine nachhaltige Entspannung bei der Lohninflation vorerst nicht in Sicht ist. In den USA zeigen sich zwar erste Risse, aber sie sind zu klein, um Entwarnung zu geben. Eine geduldige Pause könnte für die Notenbanken zur Zerreissprobe werden. "Kleinere" Zentralbanken wie die Reserve Bank of Australia (RBA) mussten aufgrund der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt wieder an der Zinsschraube drehen und auch die Bank of Canada (BoC) musste nach fast einem halben Jahr Pause die Zinsen wieder erhöhen, weil die Wirtschaft Gefahr läuft "heiss zu laufen".

Das Fed bleibt der Benchmark

Ohne überheblich wirken zu wollen oder die anderen Zentralbanken zu Statisten zu degradieren, ist und bleibt der Fokus auf die US-Notenbank. Ihre Zinspolitik hat Auswirkungen auf den liquidesten Markt - die US-Staatsanleihen - und beeinflusst auch den US-Dollar massiv. Die Erwartungen der Investoren über den weiteren Zinskurs der US-Notenbank waren in den letzten Monaten äusserst volatil. Von weiteren Zinserhöhungen auf knapp 6% für die Fed Funds Rate bis hin zu Zinssenkungen um 150 Basispunkte bis Ende 2023 war fast alles dabei. In unserem Basisszenario halten wir an unserer Einschätzung fest, dass die US-Zentralbank in den kommenden Monaten geduldig bleiben wird und die Zinsen nicht über 5.5% anheben muss. Wir sehen aber auch kein Potenzial für Zinssenkungen.

Selektion schlägt Allokation

In diesem Umfeld wird für Anleger die Selektion in jeder Anlageklasse die Trumpfkarte bleiben. Wie in unserem Halbjahres-Ausblick beschrieben, sehen wir Chancen in folgenden Märkten:

  • Aktienmarkt: Defensive Qualitätsaktien und abgestrafte Zykliker
  • Obligationenmarkt: Fallen Angels
  • Alternative Anlagen: Marktneutral

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