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Anlagestrategien

Kleinkapitalisierte Firmen in Europa vor einer Renaissance?

Da sich die Geldpolitik und die Inflation in die richtige Richtung bewegen, könnten unterbewertete kleinere Unternehmen von einer breit angelegten Konjunkturerholung profitieren.

Datum
Autor
Georg Ruzicka, Head Equity Research LGT Private Banking
Lesezeit
5 Minuten

Auf einem Baumstamm wächst ein kleiner Pilz unter einem viel grösseren Pilz.
Grundsätzlich sollte es für Anlegerinnen und Anleger interessant sein, die Bewertung europäischer Small Caps zu beobachten, sagt Georg Ruzicka von LGT Private Banking. © Shutterstock/SharBano1214

Das Investitionsumfeld ist in diesen Tagen schwierig. Während ausgewählte US-Makrodaten wie der Arbeitsmarkt überraschend widerstandsfähig bleiben, hat die Eurozone in letzter Zeit wiederholt einen Verlust an Wachstumsdynamik verzeichnet, was die Divergenz zwischen den beiden Volkswirtschaften vergrössert. Nimmt man die Unsicherheiten im Zusammenhang mit den bevorstehenden US-Wahlen, die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten und die Risiken eines sich verschärfenden Handelskrieges mit China hinzu, so spiegelt sich dies in einer höheren Aktienvolatilität. 

Dennoch haben viele Aktienindizes kürzlich neue Rekordhöhen erreicht, was durch den Beginn eines neuen und weltweit synchronisierten Zinssenkungszyklus begünstigt wurde. Dieses Umfeld eröffnet neue Möglichkeiten. In gewisser Weise stehen die Sterne für kleinkapitalisierte Unternehmen in Europa zunehmend günstig, um sowohl zu ihren grösseren Konkurrenten als auch zu den globalen kleinkapitalisierten Firmen aufzuschliessen. Dies liegt daran, dass der nachlassende Inflationsdruck und die lockerere Geldpolitik ein günstigeres Umfeld für eine Aufholjagt kleinerer Unternehmen schaffen.

Hier sind verschiedene Kräfte am Werk. Die Unterbrechung der globalen Lieferketten, während der Covid-Krise hatte unverhältnismässig grosse Auswirkungen auf kleinere Unternehmen. Grosse Firmen konnten ihre stärkere Kaufkraft nutzen, um die Lieferung der erforderlichen Komponenten sicherzustellen. Jetzt, da die Lieferketten wieder reibungslos funktionieren, hat sich der erhöhte Margendruck auf kleinkapitalisierte Firmen abgeschwächt.

Sinkende Inflation stützt kleinkapitaliserte Firmen

Ein älterer Herr in Anzug und Krawatte mit Akten in der Hand schreitet über eine Bühne, auf der die amerikanische Flagge steht.
US-Notenbankchef Jerome Powell will geldpolitische "Rekalibrierung" © Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo

Auch die steigenden Refinanzierungskosten bekamen kleinere Unternehmen, die auf kurzfristige Kredite angewiesen sind und tendenziell weniger überschüssige Barmittel zur Seite legen, schneller und stärker zu spüren als grosse Unternehmen. Da sich der geldpolitische Trend nun also umkehrt, dürften sie entsprechend stärker von sinkenden Zinssätzen profitieren. 

Und dieser Trend scheint sich tatsächlich umzukehren. Weltweit wurden im September 26 Zinssenkungen verzeichnet, die vierthöchste monatliche Zahl in diesem Jahrhundert, vergleichbar mit den Werten im Dezember 2008 (27 Senkungen) und März 2009 (28 Senkungen) während der grossen Finanzkrise. Es wird erwartet, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen weiter senken wird, wenn die Inflation näher an ihr Ziel von 2 % rückt.

Wenn wir einen Schritt zurücktreten, ist es wichtig zu wissen, wo wir uns im Konjunkturzyklus befinden. Die Weltwirtschaft ist zwar bisher von einer Rezession verschont geblieben, scheint sich aber dennoch allmählich abzuschwächen. Tatsächlich hat die LGT kürzlich ihre Rezessionsprognose für die Eurozone von 20 % auf 25 % angehoben, während sie das Rezessionsrisiko für die USA von 25 % auf 20 % gesenkt hat.

Bullenmärkte entstehen aus Pessimismus, wachsen mit Skepsis, reifen mit Optimismus und sterben mit Euphorie

Sir John Templeton

Bisher befinden sich die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe grösstenteils noch im Kontraktionsbereich. Eine Erholung des Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe könnte jedoch, selbst wenn sie erst mit der Zeit eintritt, als positiver Katalysator für kleinkapitalisierte Unternehmen und ihre Gewinnwachstumsperspektiven wirken.

Nahaufnahme eines alten Mannes in Anzug und Krawatte vor einer Plakatwand.
Sir John Templeton, amerikanisch-britischer Investor © Keystone/AP Photo/Ed Bailey

Eine potenziell erfolgreiche sanfte Landung der US-Wirtschaft in Kombination mit den jüngsten chinesischen Konjunkturprogrammen könnte sich in dieser Hinsicht im Laufe der Zeit unterstützend auswirken. Wenn wir die Geschichte als möglichen Gradmesser für die Zukunft betrachten, so deutet diese darauf hin, dass eine überdurchschnittliche Performance möglich ist, insbesondere im ersten Jahr nach dem Tiefpunkt des Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe.

Der bekannte Investor Sir John Templeton sagte: "Bullenmärkte entstehen aus Pessimismus, wachsen mit Skepsis, reifen mit Optimismus und sterben mit Euphorie." Der aktuelle Bullenmarkt entstand aus dem Pandemie-Pessimismus, wobei seine Entwicklung von Phasen grosser Skepsis hinsichtlich des Weltwirtschaftswachstums und der Inflationsrisiken begleitet wurde.

Ausgehend von der Positionierung der Anlegerinnen und Anleger befinden wir uns aktuell irgendwo zwischen Optimismus und Euphorie - eindeutig in einem spätzyklischen Umfeld. Dies schafft ideale Bedingungen für potenzielle Rotationen im Markt, wie in diesem Fall von grösseren zu kleineren Aktien.

Überzeugende Bewertungsniveaus

In der Anfangsphase von Pessimismus und Skepsis tendieren Anleger dazu, sich in Aktien mit hoher Marktkapitalisierung und höherer Qualität zu positionieren. Dieser Trend war in diesem Zyklus extrem ausgeprägt, und wir glauben, dass die extreme Konzentration auf ein enges Marktsegment allmählich nachlässt. Selbst eine bescheidene Rotation in kleinkapitalisierte Unternehmen, die nur 15 % der gesamten europäischen Marktkapitalisierung ausmachen, könnte einen grossen Unterschied machen. Sollte sich jedoch ein Rezessionsszenario abzeichnen, dann deutet die Geschichte darauf hin, dass grössere und qualitativ hochwertigere Aktien besser positioniert wären, um sich in einem solchen Umfeld zurechtzufinden.

Ein Mann in Anzug und Krawatte schaut freundlich in die Kamera.
Georg Ruzicka, LGT Private Banking

Grundsätzlich sollte die Betrachtung der Bewertung - respektive der Unterbewertung - europäischer kleinkapitalisierter Firmen für Anleger jedoch ermutigend sein. Der MSCI Europe Small Caps Index weist ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (eine der gängigsten Bewertungskennzahlen) von etwa dem 14-fachen des erwarteten Gewinns über die kommenden zwölf Monate auf. In den letzten 20 Jahren waren die Bewertungen nur in Zeiten grosser Turbulenzen spürbar günstiger, wie z. B. während der globalen Finanzkrise 2009, der europäischen Staatsschuldenkrise 2011 sowie während und nach der COVID-19-Pandemie. Rückblickend betrachtet hätte sich eine Investition in europäische, kleinkapitalisierte Unternehmen, zu jedem dieser Zeitpunkte gelohnt.

Um auf unsere Einleitung zurückzukommen: Das globale wirtschaftliche und geopolitische Umfeld bleibt offensichtlich sehr anspruchsvoll und herausfordernd, und es drohen mehrere Risiken. Zu diesen Risiken gehören eine ausgeprägte Rezession in der Industrie, neue Handelszölle nach den US-Wahlen, eine Eskalation im Nahen Osten mit höheren Ölpreisen und in der Folge einem erneuten Inflationsdruck, der den Spielraum für weitere Zinssenkungen einschränken würde.

Da wir jedoch von unserem Basisszenario einer sanften Landung der US-Wirtschaft, einer nachlassenden Inflation und weiteren Zinssenkungsschritten ausgehen, dürften kleinkapitalisierte Unternehmen in Europa von attraktiven Bewertungen und einem Mangel an Anlegerinteresse profitieren. Daher könnten risikotolerante Anlegerinnen und Anleger die aktuellen Bedingungen als Chance zur Diversifizierung ihrer Aktienpositionen nutzen.

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