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Market View & Insights
Gelder von Kundinnen und Kunden möglichst geschickt anzulegen ist das tägliche Brot von Gérald Moser. Der Chief Investment Officer von LGT Private Banking Europe spricht im Interview über die Herausforderungen beim Anlegen und die Vorteile von Teamarbeit.
Gérald Moser: Es ist wichtig, sich gegenseitig kennenzulernen, Vertrauen aufzubauen sowie ehrliche und offene Diskussionen zu führen. Wenn 160 Leute an einem Call teilnehmen, wird niemand etwas sagen. Anlegen ist schwierig, und gegenseitige Unterstützung ist dabei entscheidend. Es wird immer Kolleginnen und Kollegen geben, die in bestimmten Bereichen besser qualifiziert sind als man selbst. Und je grösser das Vertrauen und je enger die Zusammenarbeit, desto besser für alle. Ich glaube, einige unserer besten Ideen stammen aus Diskussionen in kleinen Gruppen, bei denen die Leute frisch von der Leber weg sprechen konnten.
Natürlich kann man, und das geschieht auch regelmässig. Wenn ich in Vaduz bin, sitze ich mit den Kolleginnen und Kollegen von der Vermögensberatung zusammen. Und wenn ich in Zürich bin, habe ich keinen festen Schreibtisch. Ich ziehe also umher zu verschiedenen Teams. Wenn man sich mit den Leuten zusammensetzt, wie bei Kaffee und Croissants, dann kommt es zu einem echten Austausch.
S.D. Prinz Max von und zu Liechtenstein, Chairman LGT, hat uns aufgrund seiner Karriere im Bereich Privatmärkte und seines starken Netzwerks verschiedene Anlageideen vorgestellt, um auszuloten, ob sie für unsere Kundinnen und Kunden von Interesse sein könnten. Aber es gab nie Druck von ihm oder der Familie. Sie haben uns immer sehr unterstützt.
Der US-Investor Howard Marks sagte einmal: "Man kann nichts vorhersagen, aber man kann sich vorbereiten." Und um sich vorzubereiten, braucht man ein ausgewogenes und diversifiziertes Modellportfolio. Wir stellen dieses im Rahmen eines Prozesses zusammen, der sich strategische Vermögensallokation nennt, und überprüfen es regelmässig. In der Folge gehen wir davon aus, dass das Portfolio die Auswirkungen von Börsenbaissen abfedert und uns gleichzeitig hilft, in einem günstigen Umfeld gute Ergebnisse zu erzielen. Würde man sein Geld zum Beispiel ausschliesslich in Aktien, Schwellenländeranleihen und Anlagen in "riskanten" Währungen investieren, wäre das ein sehr volatiles Portfolio, das entweder stark steigen oder stark sinken kann.
Wir führen regelmässig Stresstests durch, die uns zeigen, wie sich das Portfolio in Zeiten hoher Inflation, in einer Rezession oder bei einem Zusammenbruch des chinesischen Aktienmarktes verhalten würde. Zu den weiteren Parametern gehören unsere Schätzungen der Renditen über die nächsten fünf Jahre für alle von uns abgedeckten Anlageklassen. Auch die Korrelationen zwischen ihnen verfolgen wir, um sicherzustellen, dass sie das Portfolio nicht alle in dieselbe Richtung "ziehen". Und einmal im Monat findet dann die sogenannte taktische Allokation statt, bei der wir entscheiden, ob wir von unserer strategischen Zuteilung abweichen wollen.
Wenn sie über ein sogenanntes diskretionäres Mandat verfügen, entscheiden wir in ihrem Namen. Dann gibt es diejenigen Kundinnen und Kunden mit sogenannten Advisory Mandates, also Beratungsmandaten. Hier beginnen wir mit einer Diskussion über das Musterportfolio, entfernen uns aber in der Regel davon, weil es spezielle Wünsche und starke Meinungen der Parteien zu einigen Titeln zu beachten gilt. In solchen Fällen stehen wir den Kundinnen und Kunden beratend zur Seite, aber sie entscheiden.
In schwierigen Zeiten erwarten Anlegerinnen und Anleger von uns Orientierung und Halt. Lassen Sie mich das anhand des massiven Einbruchs des japanischen Nikkei-Indexes Anfang August erläutern. Bei uns sah der 5. August folgendermassen aus: Am Morgen publizierten wir als Erstes eine kurze Mitteilung darüber, ob sich unsere Einschätzung zur amerikanischen Wirtschaft geändert hat - schliesslich lösten aufkommende Rezessionsängste in den USA die Baisse aus. Um die Mittagszeit folgte eine Ad-hoc-Sitzung des Anlagekomitees, um über unsere nächsten Schritte zu informieren. Das Zielpublikum waren Kundinnen und Kunden, deren Gelder wir direkt verwalten. Am Nachmittag legten wir unsere Entscheidungen in einem Newsletter dar und erläuterten, was in den verschiedenen Portfolios mit Vermögensverwaltungsauftrag geschehen ist.
Auch hier lohnt sich ein Blick zurück auf jenen Tag im August, nachdem die japanischen Aktien um 12 % in die Tiefe gesaust waren. Damals wechselten wir von einer leichten Übergewichtung von Aktien zu einer neutralen Haltung. Dies spiegelte den tatsächlichen Zustand des Portfolios wider, da unser Aktienanteil im Vergleich zu anderen Anlageklassen nach dem Mini-Crash an Gewicht verloren hatte.
Unsere Haltung ist eher aktiv als passiv. Wir wissen, wie man in Europa und den USA investiert, und dort hoffen wir, Alpha zu schaffen - mit anderen Worten, wir möchten die breiten Aktienindizes durch eine optimale Aktienauswahl übertreffen. Aber Investieren ist keine exakte Wissenschaft, und aktiv unterwegs zu sein funktioniert nicht immer. Manchmal nutzen wir passive Instrumente wie ETFs, also börsengehandelte Indexfonds, weil sie praktisch sind.
Die Verlustaversion ist bei uns allen ziemlich stark ausgeprägt.
Wenn man beispielsweise ein Engagement in Aktien schnell erhöhen will, kann man einen "globalen" Aktienindexfonds kaufen. Das geht sehr schnell und einfach. Wenn man dies über Einzelinvestitionen tut, sind weitere Analysen nötig: Welche Aktien will man kaufen? Wie wirkt sich die Transaktion auf die Eigenschaften des gesamten Aktienportfolios aus? Wenn die Zeit drängt, sind ETFs ein gutes Werkzeug, und sie bieten auch Chancen in Märkten, in denen wir manchmal nicht über das nötige Fachwissen oder eine starke Überzeugung bezüglich der betreffenden Aktien verfügen. Natürlich können ETFs, wie jedes Investment, mit gewissen Risiken einhergehen.
Viele Kundinnen und Kunden wollen mehr über bestimmte Titel erfahren und erwarten, dass wir zu den Unternehmen Stellung nehmen. Das ist für uns in Ordnung. Wir müssen aber auch darüber nachdenken, ob der richtige Zeitpunkt für Investitionen in bestimmte Regionen, Sektoren oder Faktoren gekommen ist. Und ja, unsere Entscheidungen werden auch hinterfragt - beispielsweise, wenn wir bei einer Überflieger-Aktie nicht dabei sind.
Manchmal hören wir: "Oh, ihr seid nicht sehr aktiv, ihr seid neutral." Aber neutral bringt durchaus eine Meinung zum Ausdruck, nämlich die, dass man von der Richtigkeit der strategischen Allokation überzeugt ist. Begriffe wie neutral sind immer relativ - das geht oft vergessen. Wenn wir zum Beispiel Aktien untergewichten, macht deren Anteil in einem ausgewogenen Profil wahrscheinlich etwa 40 % des Portfolios aus. Wenn Kundinnen und Kunden mit einem solchen Profil nur 30 % an Aktien halten, würde die Empfehlung in diesem Fall lauten, Aktien zu kaufen, trotz unserer Untergewichtung.
Zudem ist ein ausgewogenes Portfolio nicht überall dasselbe. In den USA zum Beispiel, wo eher eine risikofreudige Haltung vorherrscht, bevorzugt man normalerweise Aktien gegenüber Staatsanleihen. Dort hat ein ausgewogenes Portfolio wahrscheinlich einen neutralen Anteil von 60 % an Aktien, während er bei uns eher bei 45 % liegt.
Wenn ich mit meinem Gegenüber in Grossbritannien spreche, sagt er mir, ein Aktienanteil von 55 % in einem ausgewogenen Portfolio sei niedriger als bei den meisten Konkurrenten, die eher 60 % anpeilen. Hier in der Schweiz hingegen liegt man mit 45 % wahrscheinlich genau in der Mitte der Skala. Einige andere Privatbanken haben einen Aktienanteil von 40 %, und der höchste Anteil beträgt 50 %.
Ich würde sie eher als qualitätsbewusst denn als vorsichtig bezeichnen. Die meisten unserer Kundinnen und Kunden sind bereits vermögend. Sie wollen ihr Vermögen vermehren, aber auf eine sichere Art und Weise, die es ihnen erlaubt, dieses im Wert zu erhalten. Die Verlustaversion, ein wohlbekanntes Konzept aus der Verhaltensökonomie, ist bei uns allen ziemlich stark ausgeprägt, denke ich. Wenn man 10 % verliert, ist der Schmerz grösser als die Freude über einen Zugewinn von 10 %.
Wir suchen in der Regel nach Unternehmen mit soliden Bilanzen und vor allem überzeugenden Geschäftsmodellen. Wenn es den Firmen dank einer guten Marktposition gelingt, bei Umsatz und Gewinn Quartal um Quartal zu überzeugen, wird sich dies an der Börse irgendwann in Kursgewinnen der Aktien niederschlagen. Das bedeutet aber nicht, dass wir nur Aktien von sogenannten defensiven Unternehmen wie zum Beispiel Nahrungsmittel- oder Pharmaunternehmen kaufen, die unabhängig vom wirtschaftlichen Umfeld stete Gewinne erwirtschaften können.
Wir sind eine Privatbank, kein Hedgefonds, und wir investieren normalerweise nicht mit einem hohen Risiko. Wir sind zum Beispiel nicht auf der Suche nach sogenannten Penny Stocks - also nach Titeln, die extrem günstig zu haben sind -, und wir werden nicht in stark fremdfinanzierte Unternehmen mit schwachen Bilanzen investieren, auch wenn sie gerade an der Börse in der Gunst stehen. Ein solcher Anlagestil mag kurzfristig funktionieren, aber niemals auf lange Sicht.
Ebenso wenig werden wir aktiv in Schwellenländern anlegen, da dies spezifische Kenntnisse für jedes einzelne Land erfordert. In diesem Fall würden wir ETFs oder Fonds von Drittanbietern nutzen, um uns in diesen Märkten zu engagieren.
Wenn von Unternehmen die Rede ist, denkt man zumeist an Aktien. Bei Anleihen stehen eher technische Aspekte im Vordergrund. Es gilt zu beachten, dass sich beispielsweise drei vom gleichen Unternehmen ausgegebene Firmenanleihen in Bezug auf Laufzeiten, Währungen und Renditen unterscheiden können. In Europa ist das entsprechende Wissen nicht unbedingt vorhanden, und die Anzahl der Fragen hält sich in Grenzen. Mehr Nachfrage sehen wir im Bereich Schwellenländeranleihen. Weil hier die Zinssätze historisch gesehen viel höher sind als in den Industrieländern, haben Anlegerinnen und Anleger Bedarf an Ideen, Beratung und Investitionsmöglichkeiten.
Die besten Ideen entstehen, wenn man frisch von der Leber weg sprechen kann.
Das Anlagekomitee, dem der Leiter des Portfoliomanagements, der Leiter Research und Strategie, ich selbst und einige andere Kollegen angehören, entscheidet auf der Grundlage der Beiträge unserer zahlreichen Anlageteams über die Mittelzuteilung. Sobald wir an dem Punkt angelangt sind, an dem wir einen Beschluss umsetzen müssen, wird die Entscheidung anderweitig getroffen. Für Aktien, Anleihen oder Investmentfonds haben wir Expertinnen und Experten, und die entscheiden über die konkreten Schritte.
Es gibt Dokumente, die wir allen zur Verfügung stellen. Sie werden veröffentlicht, und wenn der Relationship Manager beschliesst, sie zu verschicken, gehen sie an die Kundinnen und Kunden. Ausserdem finden viermal im Jahr Veranstaltungen statt, an denen es um den Ausblick geht - wir machen dies auf Englisch, Deutsch und jetzt auch auf Französisch - und an denen wir auch Fragen beantworten. Je nach Aktualität äussern wir uns auch zu bestimmten Themen wie den US-Präsidentschaftswahlen. Und dann haben wir natürlich verschiedene Beratungsstufen, je nach Gebührenmodell. In der obersten Kategorie können Kundinnen und Kunden ihre Kontaktpersonen bei der LGT praktisch immer anrufen, wenn ihnen der Sinn danach steht.
Eine Immobilientransaktion in London hat sich als brillanter Schachzug erwiesen. Was Engagements an der Aktienbörse betrifft, so habe ich einige gute Investitionen getätigt, aber auch eine wirklich schlechte in sogenannte Dividend Futures, ein Anlagevehikel mit einem Hebel. Das ging während einer starken Marktkorrektur ziemlich nach hinten los. Ich hätte mir den Ausspruch von Howard Marks zu Herzen nehmen und mich besser vorbereiten sollen...
Zur Person
Als Head Investment Services und Chief Investment Officer Europe ist Gérald Moser für alle anlagebezogenen Themen in Europa zuständig, insbesondere für Portfolio Advisory, Research & Strategy, Discretionary Portfolio Management und Sustainable Investing. Nach einem Abschluss in internationalem Management an der Universität Paris-Dauphine führte ihn seine berufliche Laufbahn zu Barclays, Goldman Sachs, Credit Suisse und 2021 zur LGT. Als echter Franzose liebt er gutes Essen und Wein sowie das Radfahren. Gérald lebt mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter in der Nähe von Zürich.