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Market View & Insights
Sind Preissenkungen bei Pharmaprodukten in den USA für Anlegerinnen und Anleger ein Anlass zur Sorge? Verliert der Sektor an Attraktivität?
Vor Kurzem veröffentlichte die Regierung Biden die erste Medikamentenliste mit zehn Präparaten, für die bis 2026 Preisverhandlungen nach den Vorgaben des 2022 verabschiedeten Inflation Reduction Act (IRA) abzuschliessen sind. Wir nehmen die Folgen des neuen US-Gesetzes für die direkt betroffenen Pharmaunternehmen, den Sektor insgesamt und insbesondere auch die Auswirkungen für Anlegerinnen und Anleger unter die Lupe.
Kein anderes Gesundheitswesen der Welt ist auch nur annähernd so teuer wie das der USA. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass im Jahr 2020 in den USA insgesamt 18,8 Prozent des nationalen BIP in das Gesundheitswesen geflossen sind. Das entspricht 11 702 USD pro Kopf.
In den USA sind rezeptpflichtige Medikamente bis zu 40 Prozent teurer als in Europa - für die Pharmaindustrie ist dies ein äusserst profitabler Markt. (Das Preisstellungs- und Rückvergütungssystem ist in den USA wesentlich komplexer als in Europa, was ein Nachteil ist.)
Der Inflation Reduction Act ist ein breit abgestütztes, milliardenschweres Gesetz zur Eindämmung der Inflation. Es umfasst auch weitere Massnahmen, etwa zur Bekämpfung des Klimawandels. Mit drei grossen Ansätzen soll der IRA die Preise für Medikamente in Schranken halten:
Die Auswirkungen des IRA auf Pharmaunternehmen, bei denen Preisverhandlungen anstehen, erläutern wir am Herzmittel Entresto des Schweizer Pharmariesen Novartis.
Im Jahr 2022 betrug der weltweite Umsatz von Entresto 4,64 Mrd. USD (9 Prozent des Gesamtumsatzes von Novartis). Rund die Hälfte dieses Umsatzes (2,35 Mrd. USD) wurden auf dem US-amerikanische Markt generiert, wobei wiederum die Hälfte dem Medicare-Programm für rezeptpflichtige Medikamente (Teil D) zuzuschreiben ist. Entresto steht somit für zwei Prozent des Gesamtumsatzes von Novartis, auf den sich die Preislimite ab 2026 auswirken werden.
Sowohl in den USA als auch in Europa hat sich der Pharmasektor in den letzten fünf Jahren durchaus positiv entwickelt. In Europa lag seine Performance deutlich über derjenigen des Marktes. In den USA blieb er leicht hinter dem Gesamtmarkt zurück. Diese Entwicklung führen wir allerdings auf die ausserordentlich starke Performance der Indexschwergewichte aus dem Technologiesektor - der sogenannten "ruhmreichen sieben Mega-Unternehmen" wie beispielsweise Meta Platforms und NVIDIA - zurück, bei denen zum Teil Kursgewinne von über 100 Prozent zu beobachten waren.
Da der Patentschutz für Entresto in den Jahren 2025 bis 2027 ausläuft und Generika auf den Markt kommen dürften, ging Novartis bereits vor dem IRA von einem markanten Umsatzeinbruch und einem rückläufigen Stellenwert bei Entresto aus. Die Preissenkungen werden zwar nicht folgenlos bleiben - bei bestehenden Medikamenten dürften sie sich jedoch im Rahmen halten. Für die Hersteller ist dies nicht die erste Fluktuation im Rahmen ihrer Produktlebenszyklen.
Langfristig dürfte die Preisgestaltung bei neuen Medikamenten komplexer ausfallen. Niedermolekulare Medikamente mit Patentschutz sind nach der Zulassung neun Jahre lang vor Preisverhandlungen geschützt; bei Biopharmazeutika sind es 13 Jahre. Somit dürften sich direkte und heftige Auswirkungen in Grenzen halten. Zu Beginn der 2030er-Jahre steht allerdings eine einschneidende Trendwende an, da die derzeit noch neuen Medikamente dann nach und nach unter den IRA fallen werden.
Wie werden die Pharmaunternehmen reagieren? Am einfachsten wäre es, deutlich höhere Einführungspreise für neue Medikamente auszuhandeln. Allerdings ist nicht klar, ob sich diese durchsetzen lassen.
Pessimisten stellen sich bereits die Frage, ob sich die Entwicklung neuer Medikamente überhaupt noch lohnt. Gegen solche Zweifel spricht, dass sich der Bedarf an Medikamenten durch die stetige Alterung der Bevölkerung langfristig erhöhen dürfte, sodass die rückläufigen Preise durch steigende Absatzmengen kompensiert werden.
Zudem ist davon auszugehen, dass die Preisbremse den Pharmasektor erst recht zu weiteren Innovationen antreiben wird. Obwohl der Sektor bereits hochgradig innovativ ist, besteht nach wie vor ein grosses Innovationspotenzial. Das nicht zuletzt dank neuer - unter anderem KI-basierter - Technologien, die massgeblich zur rascheren Entdeckung und Entwicklung neuer Wirkstoffe beitragen könnten.
Die Auswirkungen des zweiten Ansatzes des IRA, wonach sich Preiserhöhungen auf die Teuerungsrate zu beschränken haben, dürften sich in Grenzen halten und das Wachstum nur leicht dämpfen.
Big Pharma weist nach wie vor deutlich höhere Margen auf als andere Industriezweige.
Der dritte Punkt, die Erweiterung der Versicherungsdeckung, dürfte das Wachstum ankurbeln, da die Versichertenzahlen steigen werden. Auf den Gewinn der Pharmaunternehmen dürfte dies wegen der Preisobergrenzen allerdings kaum einen Einfluss haben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Wachstum mittelfristig möglicherweise etwas nachlassen könnte. Dennoch weist Big Pharma nach wie vor deutlich höhere Margen auf als andere Industriezweige. Effizienzsteigerungen bei der Entwicklung von Medikamenten, insbesondere durch den Einsatz von KI, dürften auch in Zukunft für überdurchschnittliche Margen sorgen.
Wir sind der Ansicht, dass die aktuellen Bewertungen auf Basis des KGV und des Unternehmenswerts/EBITDA der deutlich höheren Profitabilität oder den überdurchschnittlichen Ertragsaussichten des Pharmasektors nicht gerecht werden. Der demografische Wandel, die überdurchschnittliche Visibilität und die soliden Mittelflüsse sorgen dafür, dass Medikamentenhersteller trotz der mittelfristig leicht rückläufigen Wachstumsaussichten auf lange Sicht eine lohnenswerte Anlage sein können.
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