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Market View & Insights
Die Vorherrschaft der USA als Weltmacht dürfte heutzutage von vielen in Frage gestellt werden - und damit auch die Rolle des US-Dollars als führende Reservewährung der Welt. Skeptische Stimmen haben schon in der Vergangenheit das Ende der Dominanz des US-Dollars eingeläutet - und wurden eines Besseren belehrt.
Kriege toben. In den USA steht eine äusserst kontroverse Präsidentschaftswahl an. Die Feinde beobachten sich argwöhnisch und bei den Verbündeten macht sich Nervosität breit. Daher wird die Frage immer lauter, ob der US-Dollar als Hauptreservewährung ausgedient hat. Noch nicht ganz, sagen Expertinnen und Experten.
"Geopolitische Spannungen können die wirtschaftliche Wahrnehmung beeinflussen und die Dominanz des US-Dollars mit der Zeit untergraben", sagt Sebastian Petric, Head of FX Strategy bei der LGT. Dennoch gibt er zu bedenken: "Auch wenn es den Anschein haben mag, dass die wirtschaftliche Dominanz des Westens im Schwinden begriffen ist, entspricht dies nicht ganz der Realität", fügt er an. "Die Tiefe und Komplexität der US-Finanzmärkte sowie die Rolle des US-Dollars im Welthandel untermauern weiterhin seine Stärke."
Kurzum: Der US-Dollar dürfte seine dominante Stellung zumindest vorerst behalten. Doch wie ist es überhaupt zu dieser Entwicklung gekommen? Wie konnte er sich über 70 Jahre an der Spitze des Weltfinanzsystems halten?
Die Rolle des US-Dollars als wichtigste Reservewährung der Welt ist Ausdruck des Aufstiegs der USA zur grössten und stärksten Volkswirtschaft der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Bretton-Woods-Abkommen von 1944 schuf ein kollektives internationales Wechselkurssystem, das den US-Dollar an Gold und die meisten anderen Währungen an den US-Dollar koppelte.
Der Status als Reservewährung spiegelt die weltweite Nachfrage nach einer Währung wider, und die US-Wirtschaft hat sich durch ihre schiere Grösse, den freien Kapitalverkehr und ein robustes Bankensystem eindeutig das internationale Vertrauen verdient, das notwendig ist, um diesen Status zu behalten. Inzwischen hat Washington erheblich von dem profitiert, was der ehemalige französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing einmal als "exorbitantes Privileg" bezeichnet hat.
Der US-Dollar ist nicht immun gegen politische Umwälzungen.
Die US-Regierung (um nur ein Beispiel zu nennen) kann den Status des US-Dollars nutzen (und nutzt ihn auch), um Wirtschaftssanktionen gegen Regime und Einzelpersonen zu verhängen, die sie für unerwünscht hält, und so ihren geopolitischen Einfluss stärken.
Die hohe weltweite Nachfrage nach US-Dollars ermöglicht es sowohl der US-Regierung als auch US-Unternehmen, Kredite zu niedrigeren Kosten aufzunehmen. Dieses Privileg birgt zwar die Gefahr einer hohen Verschuldung, aber der Wert der Schulden ändert sich nicht mit den Wechselkursschwankungen und ist daher relativ leicht zu bedienen. Wie Petric anmerkt, "ist die Seigniorage [der Gewinn, den eine Regierung durch die Ausgabe von Devisen erzielt] vielleicht der wichtigste Vorteil der Vorherrschaft des Dollars."
Sebastian Petric ist der Ansicht, dass es sich "bei der Entdollarisierung in erster Linie um eine Wahrnehmung handelt und nicht die Realität". Dennoch kommt es seit den 1970er-Jahren, als die Ölkrise die Bindung des US-Dollars an den Goldpreis ein Ende bereitete, immer wieder zu Endzeitprognosen für die Vorherrschaft der US-Währung. So erlebte der Dollar Index (eine Messgrösse für die Stärke des US-Dollars gegenüber einem aus sechs anderen Währungen bestehenden Währungskorb) im Jahr 2020 nach einem Drei-Jahres-Hoch einen der dramatischsten Einbrüche seiner Geschichte.
Dieser Einbruch lässt sich jedoch grösstenteils auf das massive COVID-19-Hilfsprogramm der USA und die expansive Geldpolitik der US-Notenbank Fed zurückführen, die sich inzwischen beide als temporär erwiesen haben. Trotz des Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems, des fluktuierenden Wechselkurses und des Aufstiegs anderer globaler Wirtschaftsmächte legen die IWF-Daten zur Zusammensetzung der Fremdwährungsreserven den Schluss nahe, dass der Anteil des US-Dollars an den weltweiten Reserven im Grossen und Ganzen unverändert ist – bis anhin ist er noch nie unter 50 Prozent gefallen. Ferner werden über 60 Prozent des Welthandels nach wie vor in US-Dollar abgewickelt.
Keine andere Währung bietet eine echte Alternative, obwohl die potenzielle Konkurrenz gross ist. Der Euro zum Beispiel scheint zahlreiche Anforderungen an eine globale Reservewährung zu erfüllen: Er ist die gemeinsame Währung eines Wirtschaftsraums, der fast so gross wie die US-Volkswirtschaft ist und historisch eine relativ solide makroökonomische Politik verfolgt hat. Zudem ist er frei konvertierbar und gehört neben dem US-Dollar zu den Ankerwährungen.
Doch obwohl die gesamte ausstehende Staatsverschuldung im Euroraum mit der der USA zu vergleichen ist und viele Beobachterinnen und Beobachterinnen und Beobachter davon ausgehen, dass die gemeinsame Währung im Laufe der Zeit bei der Zuteilung durch die Zentralbanken an Bedeutung gewinnen wird, bleibt die Währungsunion unvollständig.
Die Tatsache, dass keine der Währungen der Schwellenländer einen sichtbaren Anteil an den weltweiten Devisenreserven hält, ist auf ähnliche Faktoren zurückzuführen. Nur wenige Schwellenländer haben sich zu internationalen Handelsmächten entwickelt. Einige haben in der Vergangenheit eine solide makroökonomische Politik betrieben, die zu niedriger Inflation und tragfähiger Staatsverschuldung geführt hat. Aber selbst relativ grosse Schwellenländer, wie einige der BRICS+, verfügen in der Regel nicht über gut entwickelte und offene Finanzmärkte.
Im Laufe der Zeit werden sich die Finanzmärkte vieler Schwellenländer mit ziemlicher Sicherheit weiterentwickeln und in die globalen Kapitalmärkte integriert werden, was eine grössere internationale Rolle ihrer Währungen und eine stärkere Diversifizierung der globalen Währungsreserven erwarten lässt.
Zudem stellt das aktuelle geopolitische Klima die Vorherrschaft der USA zweifellos vor Herausforderungen. "Das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft ist ein Eckpfeiler der Währungsstabilität", wie Sebastian Petric anmerkt. "Die anhaltende Dollarstärke angesichts dieser Herausforderungen spricht für die Verwurzelung der US-Währung im globalen Wirtschafts- und Finanzsystem. Damit ist der US-Dollar jedoch nicht immun gegen die Folgen politischer Umwälzungen."
Sebastian Petric beruft sich auf die Arbeiten von Barry Eichengreen, Wirtschaftswissenschaftler an der Berkeley University, und Eswar Prasad, Professor an der Cornell University: Ihre Recherchen untermauern seine Überzeugung, dass die Stärken des US-Dollars nach wie vor grösser als seine Schwächen sind.
Eichengreens Untersuchungen legen nahe, dass systemische Veränderungen in der globalen Wirtschaftslandschaft zwar die Vorherrschaft des Dollars mit der Zeit in Frage stellen könnten, dass aber die enormen strukturellen Vorteile der USA, zu denen eine seit langem etablierte Finanzinfrastruktur und das Vertrauen in die US-Wirtschaftsführung gehören, eine Widerstandsfähigkeit gegenüber raschen geopolitischen Veränderungen gewährleisten. Prasad hebt seinerseits die Rechtsstaatlichkeit, die Effizienz der Finanzmärkte und den innovativen Charakter der US-Wirtschaft hervor, die er als tragende Säulen der Wirtschaftskraft der USA einstuft.
"Das Thema 'Entdollarisierung' ist nicht neu", merkt Sebastian Petric abschliessend an, "aber die USA setzen sich immer durch."
Die LGT Experten analysieren laufend die globale Markt- und Wirtschaftsentwicklung. Mit unseren Research-Publikationen zu den internationalen Finanzmärkten, Branchen und Unternehmen treffen Sie fundierte Anlageentscheide.