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Market View & Insights
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gilt als Mass für den Zustand der Wirtschaft eines Landes. Doch kritische Ökonomen fordern Kennzahlen, die auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen.
Die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko vor zehn Jahren hatte verheerende Folgen für Mensch und Natur. Die Aufräumarbeiten und milliardenschweren Bemühungen zur Rettung der Natur schlugen in wirtschaftlichen Statistiken hingegen nicht als Kostenposition zu Buche. Im Gegenteil: Sie liessen die gemessene Wirtschaftsleistung laut BIP sogar wachsen.
Grund dafür ist die Berechnungsmethode des BIP, der aktuell wichtigsten Messgrösse für die Leistung einer Volkswirtschaft und damit auch des Wohlstands. Es misst den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen und damit die Wertschöpfung eines Landes. Das Problem: Ein steigendes BIP erfasst mögliche negative Folgen einer wirtschaftlichen Betätigung wie Unfälle, Katastrophen oder wachsende soziale Ungleichheit nicht immer. Deshalb entwickeln sich Volkswirtschaften mit wachsendem BIP nach kurzfristigen ökonomischen Einschätzungen zwar positiv. Langfristige Auswirkungen, auch in ökologischer und gesellschaftlicher Hinsicht, bleiben aber unberücksichtigt.
Ökonomen suchen deshalb nach Alternativen zum BIP, die die Leistungsfähigkeit und den Zustand von Volkswirtschaften und Gesellschaften umfassender beschreiben. Zu den bekanntesten Indikatoren zählt der Genuine Progress Indicator (GPI), der in den USA basierend auf dem Konzept des US-Ökonomen und Nobelpreis-Trägers James Tobin entwickelt wurde.
Als "Indikator des echten Fortschritts" ergänzt er das BIP um sozial negative und positive Faktoren und berücksichtigt auch, wie ungleich der Wohlstand eines Landes verteilt ist. Ergebnis: Der GPI weist für die vergangenen Jahrzehnte in den USA ein weit weniger starkes Wachstum als das BIP aus und stagniert teils sogar. Einzelne US-Bundesstaaten wie zum Beispiel Maryland berechnen das GPI bereits seit Jahren und nutzen die Ergebnisse, um beispielsweise den öffentlichen Nahverkehr zu stärken und Steuern auf fossile Brennstoffe zu erhöhen.
Auch die europäische Politik hat das Thema entdeckt. Die Europäische Union hat vor elf Jahren das "Beyond-GDP"-Projekt gestartet. Experten sollten den Wohlstand in den Mitgliedsländern über die Wirtschaftsleistung hinaus erfassen und die 17 Sustainable Development Goals (SDGs), die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, einbeziehen. Dabei werden auch Faktoren wie Gesundheit, Umwelt und Bildung berücksichtigt.
Das Ergebnis der Messungen: Auch die laut "Beyond GDP" führenden Länder im Norden der EU sind von einem nachhaltigen "Wohlstand für alle" weit entfernt. Nahezu überall in Europa leiden laut den Erhebungen Menschen an Hunger. Nahezu alle EU-Mitglieder haben beim nachhaltigen Wirtschaften und Klimaschutz grosse Defizite, vor allem wegen des immer noch hohen CO2-Ausstosses.
Weitere Initiativen gibt es auch in einzelnen Staaten der EU. In Deutschland erweitert das Umweltbundesamt das BIP zu einem Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) und ergänzt rund 20 wohlfahrtssteigernde und wohlfahrtsmindernde Faktoren.
Zu Letzteren zählen Luft- und Wasserverschmutzung, aber auch die unproduktive Fahrtzeit zur Arbeit. Hausarbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten werden hingegen als wohlstandssteigernd berücksichtigt. Im Ergebnis ist der NWI mit acht Prozent seit Anfang der 90er Jahre weit weniger stark gestiegen als das BIP (40 Prozent).
Andere Indizes gehen noch einen Schritt weiter. Der "Better Life Index" der OECD umfasst verschiedene Themenfelder - darunter Einkommen und Beschäftigung, Bildung, Sicherheit und Work-Life-Balance. Das Besondere dabei: Jeder Bürger kann auf einer eigens eingerichteten Website den Wohlstand seines Landes anhand seiner eigenen Wahrnehmung bewerten und angeben, was ihm besonders wichtig ist.
Als Vordenker einer ganzheitlichen Sicht des Wohlstands gilt Bhutan. Bereits in den 1970er Jahren hatte der damalige König Jigme Singye Wangchuck dort die Vermehrung der "Gross National Happiness" - des "Bruttonationalglücks" - zum Mass aller Dinge erklärt. Zuletzt lag die Quote der "glücklichen" Menschen in Bhutan bei rund 40 Prozent, Tendenz steigend. Der ausführliche Report wird alle fünf Jahre erstellt und dient als Grundlage für das politische Handeln. Für Bhutan ist dieser nationale Index zentral, im World Happiness Report rangiert das Königreich interessanterweise trotzdem im hinteren Mittelfeld, auf Rang 95 von 156.
An der Spitze landen hier regelmässig europäische Länder, wiederum klar angeführt von der nördlichen Hälfte. Im aktuellen Report führt Finnland vor Dänemark, die Schweiz folgt auf Rang drei, Österreich auf Rang neun und Deutschland auf Rang 17 - verschiedene Rankings, unterschiedliche Ergebnisse.
Alternative Wachstumsbegriffe haben bislang überwiegend informativen und appellierenden Charakter - was es noch braucht, ist eine stärkere Verankerung nachhaltiger Wachstumsziele in der politischen Agenda. Aus Investorensicht machen zwar nicht alle Wachstumsbegriffe Sinn. Die Indizes zeigen aber, wie wichtig die Integration von Nachhaltigkeit in Investmententscheidungen ist.
Für Anleger hat das Umdenken der Ökonomen schon heute konkrete Auswirkungen: Je stärker Nachteile eines einseitigen und ressourcenzehrenden Wachstums sichtbar und bewertet werden, desto höher steigt der Druck auf Regierungen und die Wirtschaft. Und desto mehr wird es sich für Unternehmen auszahlen, nachhaltig zu wirtschaften. Auf Dauer könnte dieses Umdenken auch auf die Unternehmensfinanzierung durchschlagen.
Denn je stärker der Staat als Investor, die Banken als Kreditgeber und private Anleiheinvestoren umsteuern und ihre Engagements an Nachhaltigkeitszielen ausrichten, umso mehr geraten SDG-Sünder ins Hintertreffen. Die weltweite Divestment-Bewegung, die gezielt umweltschädliche Investitionen meidet und beispielsweise Kapital aus dem traditionellen Energiesektor abzieht, hat dies bereits eindrucksvoll bewiesen: So zählt beispielsweise der mit Öl-Milliarden aus der Nordsee prall gefüllt norwegische Staatsfonds heute zu den grössten und prominentesten Vorreitern für nachhaltige Investments.
Auch Investmenthäuser orientieren sich bei der Anlagestrategie ihrer Fonds immer stärker an Nachhaltigkeitskriterien wie den SDGs. Ziele wie sauberes Wasser, nachhaltige Energie, Klimaschutz und Gesundheit lassen sich schliesslich auch durch unternehmerisches Handeln befördern. Neue Wachstumskonzepte werden so konkret investierbar.
Die Kapitalmärkte schwenken also in Teilen zu einer nachhaltigeren Wirtschaft um, wie die stark wachsende Zahl von ESG-konformen Fonds zeigt. Viele Impact-Investing-Strategien richten sich ebenfalls konkret an SDG-Zielen aus, etwa bei Anlagen in nachhaltige Energieträger. Und in der Covid-19-Pandemie könnten sich angesichts der jetzt schon erkennbar reduzierten globalen Umweltbelastung auch die neuen Wachstumskennziffern positiver entwickeln als das weltweite BIP.
Unsere Gesellschaft ist sowohl im ökologischen Bereich als auch in sozialen, technologischen und politischen Fragen mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Es ist die Aufgabe aller, ihre gesellschaftliche und unternehmerische Verantwortung wahrzunehmen und einen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft zu leisten. Die LGT tut das in unterschiedlichen Bereichen:
Die LGT investiert mit ihren Nachhaltigkeitsfonds in Unternehmen, Organisationen und Länder, die sich in Bezug auf ökologische und soziale Kriterien und ihre Unternehmensführung auszeichnen und eine langfristige finanzielle Wertschöpfung erwirtschaften.