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Market View & Insights
Es klingt zu schön, um wahr zu sein: eine nachhaltige Energiequelle, die fossile Brennstoffe für die industrielle Wärmeerzeugung ersetzt und gleichzeitig dafür sorgt, dass Bioabfälle nicht auf Deponien landen und die Umweltverschmutzung abnimmt. Das ist Biomasse - der kohlenstoffneutrale Brennstoff für eine nachhaltige Zukunft.
In den 1990er Jahren, den Anfangsjahren des mittlerweile zum weltweiten Massenphänomen gewordenen Wellness-Trends, begannen gesundheitsbewusste Menschen in Brasilien und darüber hinaus, die angeblichen gesundheitlichen Vorteile der Beeren einer Palme zu preisen, die in den Sümpfen und Überschwemmungsgebieten des östlichen Amazonasgebiets beheimatet ist.
Die Einheimischen hatten das violette Fruchtfleisch der Açaí-Beere schon lange genossen. Doch nun wurde Açaí zu einem Superfood, das in den Cafés und Naturkostläden von Melbourne, New York und London in Smoothies und Brunch-Bowls verwendet wurde. Riesige Flächen wurden für den Intensivanbau der Palme umgewidmet.
Doch das ist nicht der einzige Nebeneffekt des Açaí-Hypes. Nur etwa 15 % einer Beere sind essbar, und jedes Jahr fallen in Pará, dem nördlichen Bundesstaat, der fast die gesamte weltweite Açaí-Produktion beherbergt, eine halbe Million Tonnen Açaí-Kerne als Bioabfall ab. Die Abfälle werden in der Regel auf Deponien entsorgt, wodurch Rückstände in Flüsse und Bäche gelangen und in einem der empfindlichsten Ökosysteme der Welt zu Ablagerungen und biologischer Kontamination führen.
In den letzten Jahren hat man in Pará begonnen, sich mit dieser Abfallkrise durch das Superfood auseinanderzusetzen. Einfallsreiche Start-ups im Bereich Nachhaltigkeit haben neue Methoden entwickelt, um Açaí-Reste zu recyceln - von Biokunststoffflaschen über Kosmetikprodukte bis hin zu Faserplatten für den Bau.
Mehr als 2000 Kilometer südlich von Belem, der Hauptstadt von Pará, nutzt ComBio Energia Açaí als eine von dutzenden recycelten Energiequellen in seinen Heizkesseln. ComBio mit Sitz in São Paulo erzeugt auf diese Weise Wärme für die Schwerindustrie nicht mehr mit fossilen Brennstoffen, sondern mit Biomasse und gewinnt zunehmend an Bedeutung.
"Das hat gleich zwei Vorteile", sagt Paulo Skaf Filho, Mitbegründer und CEO von ComBio Energia. Das Unternehmen war bei der Gründung im Jahr 2008 seiner Zeit voraus und stösst mittlerweile auf grosses Interesse bei Investoren. "Der erste ist die Abkehr von der Nutzung fossiler Brennstoffe für die Wärmeerzeugung, der andere, dass die Rohstoffe nicht mehr auf Deponien landen, wo sie sich zersetzen und teilweise Methan in die Atmosphäre freisetzen."
ComBio ist ein Beispiel für ein Unternehmen in einem Sektor, in dem technologische und finanzielle Schranken sowie fehlende Anreize den Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit verlangsamen. Zu diesen Branchen gehören einige der weltweit grössten Umweltverschmutzer, darunter die Zement- und Stahlindustrie, aber auch Raffinerien und der Bergbau.
Skaf Filho war im Finanzsektor beschäftigt, als er die in Europa zunehmende Verwendung von Holzpellets als Brennstoff für die Wohnraumheizung entdeckte. Er erkannte Chancen für Industrien, die Wärme zur Erzeugung von Dampf für viele Fertigungsprozesse benötigen. "Die meiste Wärme wurde bislang mit fossilen Brennstoffen erzeugt, was zu einer hohen CO2-Belastung führte", sagt er. "Gleichzeitig gibt es in Brasilien ein staatliches Monopol auf diese Brennstoffe, was sie sehr teuer macht."
ComBio begann, Spezialkessel zu entwickeln und unter Berücksichtigung von Verfügbarkeit, Kosten und in einigen Fällen auch saisonalen Schwankungen neue Quellen für Biobrennstoffe zu erschliessen. Sie nutzen Bambusabfälle, Stroh und Bagasse, das breiige Nebenprodukt der Zuckerrohrzerkleinerung, sowie Abfälle aus der Holz- und Papierproduktion, der Landwirtschaft und der Düngemittelherstellung. Laut Skaf Filho alles Materialien, die sonst auf der Mülldeponie landen.
ComBio hat bisher 18 riesige Biomassekessel in elf Werken errichtet, die Dampf für die Lebensmittel- und Aluminiumherstellung, die chemische Industrie, die Papierproduktion und den Bergbau erzeugen. "Fast jede Industrieanlage benötigt eine bestimmte Menge Wärme", sagt Skaf Filho, dessen Unternehmen auch Biomasse direkt an Kunden wie Unilever verkauft.
Das brasilianische Unternehmen ist keineswegs alleine in der Biomasseindustrie, in der natürliche Materialien, so auch Holz aus der Forstwirtschaft, zur Herstellung von Biokraftstoffen und zur Energieerzeugung verwendet werden. Aber der besondere Fokus auf die Erzeugung von Wärme für die Industrie mit Kesseln, die eine breite Palette von Rohstoffen verarbeiten können, hat in letzter Zeit die Aufmerksamkeit der Investoren auf sich gezogen.
Im vergangenen Jahr sicherte sich das Unternehmen 90 Millionen USD in einer Finanzierungsrunde unter der Leitung von Lightrock, dem in London ansässigen Impact-Investor, der 2022 aus den bestehenden Impact-Investing-Aktivitäten der LGT hervorgegangen ist. "Wir sind überzeugt, dass der Sektor noch in den Kinderschuhen steckt, und das Potenzial von Biomasse als Alternative zu fossilen Brennstoffen noch weitgehend ungenutzt ist", sagt Gustavo Verdelli, Partner bei Lightrock.
"Angesichts der Emissionsreduktionsziele, die viele Unternehmen verfolgen, wird die von ComBio entwickelte Lösung immer mehr an Bedeutung gewinnen." Trotz der langen Geschichte von ComBio in Brasilien werde Biomasse erst seit Kurzem als ernstzunehmende Alternative zu fossilen Brennstoffen für die Dampferzeugung angesehen, so Verdelli. "Und weil in den verschiedenen Regionen des Landes immer wieder andere Arten von Rohstoffen für die Biomasseproduktion eingesetzt werden, ist spezielles Know-how notwendig, über das nicht viele andere Unternehmen verfügen."
Skaf Filho ist ebenfalls der Meinung, dass die Nutzung von Biomasse zur Wärmeerzeugung erst jetzt an Bedeutung gewinnt. Das liegt zum Teil daran, dass Solar- und Windenergie für die Stromerzeugung immer nachhaltiger und kostengünstiger werden, weshalb sich der Schwerpunkt bei der Nutzung von Biomasse auf die Produktion von Wärme verlagert hat. Ausserdem wächst in allen Branchen der Druck, die Klimaziele zu erreichen.
Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen gilt Biomasse als kohlenstoffneutral, da bei ihrer Verbrennung nur der Kohlenstoff freigesetzt wird, der während des Wachstums zum Beispiel der Açaí-Palme oder von Zuckerrohr gebunden wurde und somit einen Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs bildet. Auf dieser Grundlage stufte die Europäische Union im Jahr 2009 Biomasse als erneuerbare Energie ein.
Die brasilianischen Kunden von ComBio, bei denen das Unternehmen Heizkessel installiert und auch die Kosten für die Wartung übernimmt, profitieren auch von einem starken finanziellen Anreiz: Sie bezahlen für die Wärme mitunter bis zu 45 % weniger als für Wärme aus der Verbrennung von Öl.
Das weit verbreitete Wachstum der Biomasseindustrie hat in der Diskussion über Nachhaltigkeit allerdings auch einige Bedenken hervorgerufen. Kritiker hinterfragen beispielsweise die ökologische Logik der Holzverbrennung und bezweifeln, dass solche Quellen als Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs angesehen werden können. Nach Ansicht von Experten kann die Verbrennung von Holz zur Energiegewinnung mehr Treibhausgase pro erzeugter Energieeinheit freisetzen als fossile Brennstoffe, abhängig von der Effizienz der zur Verbrennung eingesetzten Technologie und den Emissionen in der Lieferkette bei der Ernte, dem Sammeln und dem Transport des Materials. Wenn das verwendete Material speziell für die Energieerzeugung aus Biomasse angebaut wird, können auch Fragen der Land- und Wassernutzung von Bedeutung sein.
Der 1996 in Brüssel gegründete gemeinnützige Europäische Verband der Biomasseindustrie benennt die Herausforderungen, denen sich der Sektor insgesamt gegenübersieht. Dazu gehören die Emissionen im Zusammenhang mit dem Transport von Rohstoffen und die Auswirkungen von Plantagen, die zur Herstellung von Biomasse genutzt werden. Zudem würden mancherorts Anwohner in der Nähe von Biomassekraftwerken über Atemprobleme klagen.
Skaf Filho weiss, wie wichtig es ist, den Einsatz von Rohstoffen detailliert zu erfassen und zu überwachen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass ihre Verwendung unter dem Strich einen Nutzen stiftet. ComBio hat hierfür eigens ein europäisches Zertifizierungsunternehmen beauftragt. Der Unternehmer sagt, dass seine Anlagen 800'000 Tonnen Emissionen pro Jahr vermeiden und er erwartet, dass diese Zahl durch die Inbetriebnahme weiterer Heizkessel in den nächsten drei Jahren auf zwei Millionen Tonnen jährlich ansteigen wird.
Er ist sich sicher, dass sich sein Geschäftsmodell zumindest kurzfristig auch auf anderen Märkten durchsetzen kann, insbesondere in Ländern wie den USA, wo fossile Brennstoffe, einschliesslich Schiefergas, noch relativ billig sind. Verdelli stimmt dem zu. "Ein Unternehmen wie ComBio hat nur in einem Land eine Chance, in dem die Rohstoffe in grosser Menge zur Verfügung stehen", sagt er. "Daher gibt es natürliche Grenzen für ein Unternehmen wie ComBio, in Regionen zu expandieren, in denen Biomasse nicht im Überfluss vorhanden und kostengünstig ist."
Skaf Filho sagt, dass selbst die fortschrittlicheren Unternehmen, zu denen auch seine Kunden gehören, erst vor Kurzem damit begonnen haben, über alternative Energiequellen nachzudenken. "Vor 2020 haben sie sich eigentlich gar nicht darum gekümmert", sagt er. "Aber jetzt sehen wir immer mehr Unternehmen, die sich mit ihren Emissions- und Reduktionszielen befassen und sich an uns wenden. An erster Stelle geht es dabei in der Regel um die Kostensenkung."
Wo die Umstellung eher mit Kosten als mit Einsparungen verbunden ist, setzt Skaf Filho, vielleicht mit einem gesunden Mass an Optimismus, auf einen pragmatischen Ansatz: Er hofft, dass solche Technologien mittel- bis langfristig auf Märkten weit über Brasiliens Grenzen hinaus vorangetrieben werden. "Letztlich werden sich alle Industrien in Richtung Netto-null-Energie bewegen müssen. Dann geht es nicht mehr um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber beispielsweise Erdgas. Man wird einfach auf erneuerbare Energien umsteigen müssen."
Lightrock investiert Wachstumskapital direkt in Unternehmen in Afrika, Europa, Indien und Lateinamerika, die sich durch einen guten Produkt-Markt-Fit und eine hohe Skalierbarkeit auszeichnen. Der Impact Investor konzentriert sich auf drei Anlagethemen: Menschen, Planet und Produktivität/Tech for Good. Die Wirkungsindikatoren jedes Portfoliounternehmens stehen in direktem Zusammenhang mit mindestens einem der wichtigsten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals / SDG).
Simon Usborne ist freiberuflicher Journalist und Redakteur in London, wo er für grosse britische Zeitungen schreibt.