The Strategist

Rekordhoch trifft auf Rezession

Am 19. Mai kletterte der bekannteste deutsche Aktienindex auf ein neues Rekordhoch. Der DAX, der die 40 grössten deutschen Unternehmen beinhaltet, erreichte mit einem Punktestand von 16'331.94 einen neuen Höchstwert und übertraf damit die Marke von 16'291.19 aus dem Schlussquartal 2021. Da der DAX ein Performance-Index ist - also inklusive Dividendenzahlungen - und kein Preisindex wie beispielsweise der S&P 500 oder der Swiss Market Index (SMI), sprachen einige Analysten sofort von einem "Fake-Rekord".

Datum
Autor
Thomas Wille
Lesezeit
8 Minuten

Deutsche Fahne
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Aus unserer Sicht ist diese Sichtweise nicht haltbar und sollte genau umgekehrt betrachtet werden. Dividendenzahlungen sind heute ein integraler Bestandteil des Renditepotenzials einer Anlage und nicht nur die Kursentwicklung. Als Analyst oder Investor sollte man immer das Gesamtpaket - Kurspotenzial und Dividendenrendite - im Blick haben.

Rezession in Deutschland

Nur sechs Tage später, am 25. Mai, kam die Nachricht, dass sich Deutschland in einer Rezession befindet, wenn auch in einer milden. Von einer Rezession spricht man offiziell, wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in zwei aufeinander folgenden Quartalen negativ ist. Mit einem Wachstum von -0.5% im vierten Quartal 2022 und -0.3% im ersten Quartal 2023 war dies in der grössten Volkswirtschaft Europas der Fall.

Man darf diese Zahlen nicht überinterpretieren, denn ein extrem schwaches Wachstum war bereits erwartet worden und der Unterschied zwischen -0.3% und +0.1% ist sowohl für den Konsumenten als auch für den Investor kaum spürbar. Hinzu kommt, dass während der Grossen Finanzkrise das BIP um 6.9% und während der Rezession infolge der Coronakrise sogar um über 10% eingebrochen war. Dennoch bleibt die Situation mit schwachen Wachstumsaussichten unerfreulich.

Ein Rätsel? - Nein

Als Anleger fragt man sich natürlich, wie eine solche Konstellation - Rekordhoch des DAX und Rezession - überhaupt möglich ist. Es wäre zu einfach zu sagen, dass die Börse nicht immer eins zu eins die Volkswirtschaft abbildet oder das der Aktienmarkt einer der besten Frühindikatoren ist. Das ist bis zu einem gewissen Grad richtig, greift aber in diesem speziellen Fall definitiv zu kurz.

Aus unserer Sicht ist der primäre Faktor, dass die Erwartungen der Investoren vor sechs bis neun Monaten noch viel schlechter oder schlimmer waren als die heutigen Bedingungen. Als im Herbst 2022 der Winter vor der Tür stand, wussten die Investoren weder, dass es ein milder Winter werden würde, noch, dass die Gaspreise um mehr als 90% einbrechen würden. Diese Worst-Case-Szenarien wurden aus den Märkten wieder ausgepreist. Die Kursgewinne der letzten Monate basierten vor allem auf dem Mantra - weniger schlecht ist gut. Dies war auch einer der Gründe, warum wir europäische Aktien per Ende des ersten Quartals auf "neutral" hochgestuft haben.

Wie geht es weiter?

Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte dürfte der Weg für den DAX und europäische Aktien holpriger werden. Der nächste Winter kommt, und die Herausforderungen bei der Energieversorgung sind nicht nur in Deutschland geblieben. Es bleibt auch abzuwarten, ob die aktuellen Inflationserwartungen der Marktteilnehmer realistisch sind oder die Kernteuerungsrate hartnäckig hoch bleibt und in der Folge die EZB unter Druck setzt, die Zinsen deutlich über 4% anzuheben. In diesem Umfeld ist für uns nicht nur am deutschen Aktienmarkt, sondern auch auf globaler Ebene die Selektion innerhalb der Sektoren und Branchen der Erfolgsfaktor Nummer eins. Inwieweit es zu einer Rückkehr der "Stockpicker" kommen wird, bleibt abzuwarten. Aktives Management wird jedoch in den kommenden Quartalen von entscheidender Bedeutung sein.
 

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