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Market View & Insights
Ohne das Capital Asset Pricing Model und die Sharpe Ratio sähe unsere heutige Anlagelandschaft ganz anders aus. Beide wurden von ein und demselben Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger entwickelt.
William F. Sharpe, amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Stanford University, hat nicht nur bahnbrechende Theorien über Investitionen entwickelt. Er setzte sie auch in die Praxis um, indem er grosse institutionelle Anlegerinnen und Anleger beriet und in den 1990er Jahren das Unternehmen Financial Engines mitbegründete, das Privatpersonen eine automatisierte Altersvorsorgeberatung anbietet.
Für seine bahnbrechenden Arbeiten zur Theorie der Finanzwirtschaft erhielt der gebürtige Bostoner 1990 gemeinsam mit Harry Markowitz und Merton Miller den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Sharpes Beitrag bestand in der Entwicklung des Capital Asset Pricing Model (CAPM). Mit diesem Modell lässt sich die Performance eines Portfolios anhand des mit seinen Anlagen verbundenen Risikos messen. Zudem unterstützt es Portfoliomanagerinnen und Portfoliomanager bei der Entscheidung, ob potenzielle Renditen das mit ihnen verbundene Anlagerisiko wert sind.
Dass Sharpe intellektuelle Fähigkeiten mit praktischem Engagement in der realen Welt verband, ist unter Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträgern selten anzutreffen. Seinen Ursprung hat diese Kombination in seiner Zeit bei der RAND Corporation, einem einflussreichen US-Think-tank, in den 1950er- und 1960er-Jahren. Hier lernte Sharpe nicht nur seinen Mentor Harry Markowitz kennen, sondern auch die damals neuen Forschungszweige Programmieren, Spieltheorie und angewandte Wirtschaftswissenschaften. Markowitz war der Urheber einer Theorie über Portfolios unter Unsicherheit, die heute als Grundlage der Finanzwirtschaft als anerkanntes Forschungsgebiet gilt.
Sharpe optimierte das Modell von Markowitz, indem er es von der Mikroanalyse auf Marktanalysen der Preisbildung bei finanziellen Vermögenswerten ausweitete. Das CAPM beschreibt die Beziehung zwischen dem systemischen Risiko, d. h. den allgemein mit Anlagen verbundenen Risiken, und der erwarteten Rendite der einzelnen Vermögenswerte wie etwa Aktien. In der ersten, von Sharpe 1962 in einem Aufsatz veröffentlichten Fassung ging das Modell von einer linearen Beziehung zwischen Risiko und Rendite aus. Das Risiko besteht hier aus zwei Komponenten: einerseits dem Beta des Titels, d. h. dem risikofreien Zinssatz (im Allgemeinen dem Zins von Staatsanleihen), und der Prämie für das mit dem Titel verbundene Aktienrisiko bzw. der Marktrendite nach Abzug des Beta andererseits.
Das CAPM hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt, so wie sich auch die Märkte durch die Entwicklung neuer Finanzinstrumente und Rechenleistungen verändert haben. Mithilfe des CAPM lässt sich ermitteln, ob ein Wertpapier oder Portfolio fair bewertet ist. Heutzutage ist das CAPM allerdings nur ein Bestandteil eines facettenreichen Anlageansatzes, da eine CAPM-Berechnung für ein Wertpapier oder ein gesamtes Portfolio auf einer Reihe von Annahmen beruht, die in der Realität nur selten oder nie erfüllt sind. So geht das Modell beispielsweise davon aus, dass alle Anlegerinnen und Anleger von Natur aus risikoavers sind, dass ihnen allen derselbe Zeitraum zur Evaluation von Informationen zur Verfügung steht, dass das zum risikofreien Zinssatz aufnehmbare Kapital in unbegrenzter Menge verfügbar ist und - dies dürfte der wichtigste Punkt sein - dass zwischen Risiken und Renditen eine lineare Beziehung besteht.
Im Zuge der Entwicklung der Finanzwirtschaft werden Modelle wie das CAPM immer wieder zerlegt und aktualisiert. Aufgrund seiner Einfachheit und Eleganz wird das CAPM jedoch nach wie vor zum Verständnis von Portfoliorisiken und erwarteten Renditen verwendet, wenn auch häufig in Verbindung mit anderen Konzepten wie der Effizienzgrenze und der modernen Portfoliotheorie. So kann das Modell beispielsweise zur Untersuchung von Kapitalkosten im Zusammenhang mit Akquisitionsentscheidungen oder als Grundlage für Preisentscheidungen in regulierten Industrien verwendet werden.
Sharpe entwickelte ein einfaches Mass für das Investitionsrisiko.
Sharpe verbrachte einen Grossteil der 1960er und 1970er Jahre als Dozent, zuerst an der University of Washington, dann an der University of California in Irvine, bevor er 1973 nach Stanford berufen wurde. In dieser Zeit konzentrierte sich seine Forschung auf Fragen im Zusammenhang mit dem Gleichgewicht der Kapitalmärkte und den Auswirkungen auf die Portfolioentscheidungen der Anlegerinnen und Anleger. Er baute seine ursprüngliche CAPM-Theorie aus, entwickelte neue Ideen und nutzte empirische Analysen, um herauszufinden, wie sich die Theorie in der Realität umsetzen lässt.
Im Jahr 1966 publizierte Sharpe das Konzept der Reward-to-Variability Ratio, die inzwischen den Namen Sharpe Ratio trägt. (Nach seiner Aussage wurde die Formel vom renommierten Finanzökonomen Eugene Fama so benannt.) Einmal mehr profilierte sich Sharpe als Entwickler einer einfachen - allenfalls zu einfachen - Messgrösse für das Anlagerisiko.
Die Sharpe-Ratio misst die Überrendite gegenüber dem risikofreien Zinssatz pro Einheit Volatilität. Wenn zwei Portfolios ähnliche Renditen erzielen können, zeigt die Sharpe Ratio, welches Portfolio mehr Risiken eingegangen ist, um diese Rendite zu erzielen, die so genannte risikoadjustierte Rendite.
Ein sehr einfaches Beispiel zeigt anhand eines Einzeltitels, wie die Sharpe Ratio funktioniert. Annahmen:
Die höhere Sharpe Ratio von Titel X zeigt an, dass das Risiko zum Erreichen derselben Rendite bei Titel X geringer ist als bei Titel Y.
Natürlich handelt es sich auch bei der Sharpe Ratio um ein Modell auf Basis einer Reihe von Annahmen, die nicht immer der Realität entsprechen. Sie geht davon aus, dass sich vergangene Ereignisse wiederholen und dass der risikofreie Zinssatz im Verlauf der Zeit stabil bleibt.
Ist die Sharpe Ratio zu stark vereinfachend?
Die als Standardabweichung der Renditen bezeichnete Messgrösse für die Volatilität beruht auf einer statistischen Normalverteilung von Wahrscheinlichkeiten, der bekannten Gaussschen Glockenkurve. Allerdings bewegen sich die Marktschwankungen häufig ausserhalb der Normalverteilung im Bereich der sogenannten Tail Risks (Extremrisiken, die unvorhersehbare Ereignisse mit sich bringen). Dieser Teil des Volatilitätsrisikos wird bei der üblichen Berechnung der Sharpe Ratio unterschätzt.
Der vielleicht wichtigste Einwand gegen die Sharpe Ratio besagt, dass die Formel schlicht zu einfach ist. Auch Sharpe ist der Ansicht, dass sich Anlegerinnen und Anleger angesichts der aktuellen ungeheuren Rechenleistungen von Computern nicht nur auf eine einzige Zahl abstützen sollten. Die Sharpe Ratio hat durchaus ihre Berechtigung. Sie sollte aber intelligenter genutzt werden als zu blossen Manager- oder Portfoliovergleichen, etwa unter Berücksichtigung der für die Erwirtschaftung der Renditen erforderlichen Zeiträume und der Exaktheit der verwendeten Marktwerte.
Sharpe ist vielleicht am besten für seine theoretischen Beiträge bekannt, aber seit den 1970er Jahren ergänzte er seine akademische Arbeit durch die Beratung von Finanzinstituten, half bei der Entwicklung der ersten passiven Indexfonds bei Wells Fargo und beriet Merrill Lynch Pierce Fenner Smith. Bei Sharpe-Russell Research, einem 1986 in Partnerschaft mit der Frank Russel Company gegründeten Unternehmen, und später bei William F. Sharpe Associates entwickelte und realisierte er neue Konzepte zur dynamischen Asset Allocation, Modelle für die Performancebeurteilung von Portfoliomanagerinnen und Portfoliomanagern und Absicherungen von Verbindlichkeiten für Pensionskassen und Stiftungen.
Als in den 1990er Jahren beitragsorientierte Pensionspläne zur vorherrschenden Altersvorsorgeform amerikanischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden, erkannte Sharpe, dass Millionen von Einzelanlegerinnen und Einzelanlegern eine massgeschneiderte Anlageberatung benötigten. Denn im Gegensatz zu leistungsorientierten Plänen, bei denen die Anlageentscheidungen zentral getroffen werden und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Rentenzahlungen auf der Grundlage ihres Gehalts erhalten, verfügt bei beitragsorientierten Plänen jede und jeder Erwerbstätige über ihr respektive sein eigenes Anlageportfolio und trifft eigene Anlageentscheidungen. Das von Sharpe 1996 mitgegründete Unternehmen Financial Engines bot einen "Robo-Advisor" an, d. h. eine Online-Maschine, die Planteilnehmende dabei unterstützt, auf ihre Umstände zugeschnittene Anlageentscheidungen zu treffen. Sharpe ist inzwischen aus dem Unternehmen ausgeschieden, Financial Engines besteht jedoch bis heute.
Sharpe ist nach wie vor emeritierter Professor für Finanzwissenschaft an der Graduate School of Business der Stanford University.