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Market View & Insights
Inflation, Pandemie, Krieg – Katastrophen entziehen sich unserer Kontrolle. Wie wir auf sie reagieren jedoch nicht. Wir müssen lernen, mit Unsicherheit umzugehen.
Anfang dieses Jahres versuchte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu verstehen, wie sich die Covid-19-Pandemie weltweit auf die psychische Gesundheit auswirkt. Die Forscher fanden heraus, dass Angstattacken und Depressionen im ersten Jahr nach dem Ausbruch der Covid-Pandemie um 25 Prozent zunahmen. Diese Nachricht sollte niemanden überraschen. Der Beweis trägt zu einer Flut von Forschungsergebnissen bei, die auf einen einzigen, einfachen Punkt hinweisen: Wir machen uns mehr Sorgen als früher.
Und das nicht erst seit der Pandemie. Wir befinden uns in einem Zeitalter zunehmender Angst. Viele haben den Anstieg des Burnouts im letzten Jahrzehnt (die WHO hat diesen Begriff 2019 offiziell anerkannt und definiert) auf eine Arbeitskultur zurückgeführt, die von Produktivität und ständiger digitaler Arbeit besessen ist. In der Zwischenzeit führten grosse politische, ökologische und humanitäre Krisen zusammen mit Echtzeit-News und Live-Tickern zum «Doomscrolling»: Wir scrollen uns die Daumen wund, süchtig nach allen Details apokalyptischer Nachrichten.
Im Jahr 2022 ist es für die meisten offensichtlich, dass die Flut besorgniserregender, weltverändernder Ereignisse eher zunehmen als abnehmen wird. Als Einzelne können wir den Krieg in der Ukraine nicht aufhalten, die Inflation nicht in den Griff bekommen und die steigenden Lebenshaltungskosten nicht senken. Aber wir können mit ein paar praktischen Bewältigungsmechanismen lernen, besser mit unseren Ängsten umzugehen.
Die Gründe für Ängste sind vielschichtig, verwirrend, komplex. Doch wenn man sie entschlüsselt, entdeckt man das Geheimnis eines glücklicheren, selbstsicheren Lebens. Sam Conniff, ein britischer Schriftsteller und Unternehmer, glaubt, dass es eine gemeinsame Wurzel für unsere Sorgen gibt: Unsicherheit. «Wir sind nicht für die Welt gemacht, die wir geschaffen haben», sagt er. «Wenn Menschen von Ängsten, mangelndem Selbstvertrauen bei der Arbeit oder schlechten Beziehungen zu ihren Partnern und Mitmenschen reden, dann ist es das halbpräsente-halbpermanente Gefühl der Unsicherheit, das sie alle verbindet.»
Laut Conniff ist unsere Fähigkeit, mit Ungewissheit umzugehen, entscheidend für den persönlichen und beruflichen Erfolg. Er verweist auf psychologische Untersuchungen zum Aushalten von Ungewissheit aus dem Jahr 1980. Dieses Forschungsgebiet zeigt, dass Menschen, die Unbekanntes stört, anfälliger sind für Propaganda, für populistische Politik und für Verschwörungstheorien. Grauzonen verunsichern Menschen mit einer geringen Toleranz gegenüber Ungewissheit; sie finden schneller Zuflucht in einem Extrem, statt widersprüchliche und komplexe Antworten zu suchen.
Wenn Sie dies lesen und denken: "Bin ich das Problem?", keine Sorge. Für diejenigen, die mit Unsicherheit besser umgehen lernen wollen, gibt es eine Lösung: The Uncertainty Experts, ein Dokumentarfilmkonzept, das sich auf die Erfahrungen von Menschen stützt, die mit extrem schwierigen Szenarien konfrontiert waren und – durch geschickten Umgang mit der Ungewissheit – als Sieger hervorgegangen sind. Die Live-Dokumentation stützt sich auf Forschungsergebnisse des University College London und soll die Toleranz der Teilnehmer gegenüber Ungewissheit erhöhen. Die ersten Folgen liefen gut, und Conniff, der die Sendung mitbegründet hat und moderiert, führt derzeit Gespräche mit Netflix.
Wenn Ungewissheit die Hauptursache für unsere psychischen Probleme ist, könnte sie auch der Schlüssel sein, um unser volles Potenzial als Spezies auszuschöpfen. Wenn wir besser in der Lage sind, Unbekanntes anzunehmen und darüber hinauszudenken, können wir besser zusammenarbeiten, uns einfühlen und etwas schaffen, so Conniff: «In den Erregungszuständen, die Ungewissheit hervorruft, erhöht sich unsere geistige Kapazität und es kommt zur Neuroplastizität», sagt er. «Wenn wir unsere Emotionen im Griff haben und Angstreaktion regulieren können, birgt Ungewissheit in der Tat eine unglaubliche Freischaltung für Kreativität, Informationsbeschaffung, Einfallsreichtum, Innovation und Problemlösung.»
Nach erhöhten Zuständen von Panik und Angst folgen Depression und Ohnmacht. Weil wir selbst nicht in der Lage sind, die Welt um uns herum zu verändern, berichten viele von Gefühlen der Sinnlosigkeit und Langeweile. Es gibt jedoch Lösungen: Wie im Falle der erlernten Toleranz gegenüber Ungewissheit gibt es neue Methoden, um Gefühle der Antriebslosigkeit zu überwinden.
Dr. Olivia Remes ist Forscherin an der Universität Cambridge. Sie beschäftigt sich in ihren Studien mit Angst, Depression und Resilienz. Ihr Buch «The Instant Mood Fix: Emergency Remedies to Beat Anxiety, Panic or Stress» zeigt, dass die Mittel, um sich besser zu fühlen, oft einfacher sind, als wir uns vorstellen. Remes arbeitet als Life Coach und hilft ihren Kundinnen und Kunden, ihren Elan wiederzufinden. «Für Menschen, die feststecken, sich machtlos und träge fühlen, ist das Gegenmittel einfach», sagt sie. «Man fängt damit an, die Dinge zu vernachlässigen, die man nicht kontrollieren kann, und erhöht dann den Grad der Kontrolle über die Dinge, die man kontrollieren kann.»
Einige von Remes Überlegungen basieren auf einer Studie, an der sie mit ihrem Institut an der Universität Cambridge gearbeitet hat. Die Studie untersuchte das Leben von 20’000 Menschen im Vereinigten Königreich, von denen die Hälfte Frauen waren. Remes und ihr Team fanden heraus, dass bei Frauen benachteiligte Verhältnisse mit Angstzuständen verbunden waren. Bei näherer Betrachtung entdeckten die Forscher, dass diejenigen, die über bestimmte Bewältigungsmechanismen verfügten, besser mit Ängsten umgingen, selbst wenn sie in schwierigen Verhältnissen lebten.
«Wir haben uns andere Studien angeschaut und ein ähnliches Muster festgestellt», sagt sie. «Ein Teil der Menschen, die Kriege oder Naturkatastrophen erlebt hatten, wies ein hohes Mass an schlechter psychischer Gesundheit auf, z. B. posttraumatische Belastungsstörungen oder Depressionen. Andere waren in der Lage, ihre psychische Gesundheit zu erhalten. Die Frage lautete: Welche Bewältigungsstrategien können uns helfen, wieder auf die Beine zu kommen?»
Unsere Fähigkeit, glücklich zu sein, hängt also nicht davon ab, welchen äusseren Ereignissen wir ausgesetzt sind, sondern von unseren Reaktionen auf diese Ereignisse. Die gute Nachricht ist, dass Remes wie Conniff davon überzeugt ist, dass wir unsere Reaktionen besser in den Griff bekommen können. Sie rät Menschen, die sich festgefahren oder handlungsunfähig fühlen – sei es in ihrer Karriere oder im Leben allgemein –, ihr eigenes Scheitern zu akzeptieren – in einem Prozess, den sie "do it badly" nennt.
«Dinge schlecht zu machen, reduziert die Angst vor Perfektionismus», sagt Dr. Remes. «Die Lähmung, die vom Druck kommt, Dinge gut machen zu müssen, nimmt ab, und wir sind plötzlich in der Lage, Trägheit zu überwinden. Etwas schlecht zu machen hilft, die Angst vor einer bestimmten Handlung in Begeisterung zu verwandeln.»
Diese Technik ist wertvoll für Anlegerinnen und Anleger. Angst ist ein mächtiger Motivationsimpuls, der über Tausende von Jahren verfeinert wurde, um uns am Leben zu erhalten – aber das Erkennen verschiedener Arten von Angst ist der Schlüssel zur Entfaltung unseres Potenzials als Spezies. Ron Carson, Gründer der Vermögensberatungsfirma Carson Group, unterscheidet produktive und unproduktive Angst. Bei produktiver Angst geht es darum, echte Risiken zu erkennen und sie zu mindern, während unproduktive Angst die Art von Angst ist, die Sie davon abhält, die Risiken einzugehen, die Ihr Leben verbessern oder Ihr Vermögen vermehren. In seinem Artikel für Forbes betont er, wie wichtig es ist, beide Arten von Angst zu erkennen, wenn man über Strategien nachdenkt und Anlageportfolios verwaltet.
«Selbst kurzfristige Marktbewegungen reichen aus, um bei manchen Anlegern Zweifel zu wecken und sie dazu zu bringen, ihre Strategien zu hinterfragen», sagt er. «Dieser Mangel an Vertrauen kann dazu führen, dass Emotionen die Oberhand gewinnen, was zu schlechten oder reaktiven Entscheidungen führt, die nicht mit den Zielen der Anleger übereinstimmen.»
Es liegt auf der Hand, dass die externen Faktoren, die zur aktuellen Epidemie von Furcht, Angst und Depression beitragen, nicht verschwinden werden. Ein kurzer Blick auf die Schlagzeilen zeigt, dass Krisen nicht abnehmen, sondern dabei sind, sich zu verschärfen. Wenn der Wandel nicht um uns herum stattfindet, muss er vielleicht stattdessen in uns selbst stattfinden.
1. Erhöhen Sie Ihre Unsicherheitstoleranz. Wenn Sie besser mit ungewissen Zeiten umgehen können, werden Sie nicht nur glücklicher, sondern können auch bessere Entscheidungen treffen.
2. Vermeiden Sie Perfektionismus. Manchmal fühlen wir uns beim Streben nach Erfolg oder dem idealen Ergebnis wie gelähmt. Fehler zu machen und von ihnen zu lernen ist ein wirksames Mittel zur Überwindung von Angst.
3. Unterscheiden Sie zwischen produktiver und unproduktiver Angst. Beide sind wertvoll, aber in der falschen Situation schädlich.