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Nachhaltigkeit

Ist nachhaltiger Tourismus überhaupt möglich?

Optimismus, Innovation und gebrochene Versprechen: Warum die Reise- und Tourismusbranche im Kampf gegen den Klimawandel Vorbild und Sorgenkind zugleich ist.

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Lesezeit
10 Minuten

Futuristisches AI-Bild eines nachhaltigen
Zukunftsmusik: Könnte so die Zukunft des nachhaltigen Reisens aussehen? Gibt es überhaupt so etwas wie nachhaltigen Tourismus? © LGT

Hotels sind nicht die einzigen Gebäude, die einen grossen Kohlenstoff-Fussabdruck haben. Stellen Sie sich nur vor, wie viel Energie der Betrieb eines grossen Krankenhauses, einer Universität oder eines Regierungsgebäudes erfordert. Der Hauptunterschied zwischen diesen Bauten ist der Zweck. Wenn der einzige Grund für die Existenz eines entlegenen Luxushotels aber Genuss ist, wird es schwierig, die Auswirkungen auf das Klima zu rechtfertigen. Von Langstreckenflügen dorthin nur zu schweigen.

An das Hotel- und Gaststättengewerbe werden zu Recht höhere Anforderungen gestellt, Unternehmen dieser Branche einer besonders strengen Prüfung unterzogen. Oft werden sie verdächtigt, viel zu behaupten, aber ihre Versprechen nicht einzuhalten.

Holz-Hütten auf einer grünen Insel
Eine realistischere Version eines nachhaltigen Hotels: Die Soneva-Hütten in den Malediven und Thailand. © Soneva

Kein Wunder also, dass der Begriff "Greenwashing” in einem Luxus-Strandresort auf den Fidschi-Inseln erfunden wurde. Der junge Umweltschützer Jay Westerveld entdeckte Kärtchen im Badezimmer seines Hotels, die ihn stutzen liessen: Sie forderten die Gäste dazu auf, die Handtücher wiederzuverwenden, um die empfindlichen Korallenriffe dort draussen zu schützen. Gleichzeitig bauten sie neue Beton-Bungalows an der Küste. Westerveld war überzeugt, dass eine solche Täuschung nur bis zu einem bestimmten Punkt erfolgreich sein würde, und nannte das Vorgehen 1986 in einem Essay Greenwashing.

Auch heute noch, fast 40 Jahre später, wirken bestimmte Umweltschutzmassnahmen in dieser Branche wie Greenwashing. Natürlich ist der Verzicht auf Plastikstrohhalme für ein Kreuzfahrtschiff mit 5000 Betten eine gute Sache. Aber das sollte uns nicht von den riesigen Dieselmotoren ablenken, die unter Deck tuckern.

Was sich in den letzten Jahren jedoch geändert hat, ist die spürbare Dynamik des Themas. Die Klimakrise hat sich verschärft und wirkt sich unmittelbar auf unser Leben aus. Dementsprechend wurden die regulatorischen Anforderungen erhöht und Technologien weiterentwickelt. Die Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten nach wirksamen Massnahmen ist ebenso gestiegen wie die moralischen und - in zunehmendem Mass - auch die wirtschaftlichen Argumente für Veränderung.

Emissionen senken und Innovationen voranbringen 

Einige der bisher grössten nachhaltigen Verpflichtungserklärungen und Ziele stammen von Branchenriesen, die das Potenzial haben, eine Führungsrolle zu übernehmen und grosse Wirksamkeit zu entfalten. 2018 gab beispielsweise Hilton bekannt, die Emissionen in seinem Hotelportfolio bis 2030 um 75% senken zu wollen. 2021 gehörten Marriott International und Accor zu den Gründungsunterzeichnern der Glasgow Declaration for Climate Action in Tourism. Mehr als 300 Reiseunternehmen und -institutionen unterzeichneten auf der COP26 in Glasgow die Erklärung und verpflichteten sich damit, die Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 netto null zu erreichen.

Taucherin schwimmt über bunten Korallen
Nachhaltige Hotelketten initiieren zum Beispiel Projekte zum Wachstum von Korallen, was sowohl der Biosphäre hilft als auch die Taucherlebnisse der Gäste verschönert. © istock/apsimo1

Accor legt einen starken Fokus auf den Energieverbrauch, der 75 % des CO2-Fussabdrucks der Gruppe ausmacht. Schon seit einiger Zeit begrenzt das Unternehmen den Energieverbrauch in Zimmern, wenn sich keine Gäste darin aufhalten, mit Hilfe von Belegungssensoren. Inzwischen sorgen KI-Systeme für eine Echtzeitüberwachung der Gebäude und des Betriebs, um Verbrauchsmuster und Bereiche zu identifizieren, die effizienter bewirtschaftet werden können. Und 2019 gab Hilton an, dass die Verringerung der Kohlendioxidemissionen, die auf das LightStay-Programm zurückzuführen ist, der Stilllegung von fast 400'000 Autos entspricht. Ausserdem wurden dadurch die Energiekosten über einen Zeitraum von zehn Jahren um etwa eine Milliarde US-Dollars reduziert.

Die Messung des Verbrauchs von Wasser, Lebensmitteln und Abfällen kann zu Verhaltensänderungen und damit zu ähnlichen Einsparungen führen. Dies hat Start-ups wie Winnowv und Orbisk Auftrieb gegeben, die mit ihren KI-gesteuerten Abfalleimern erhebliche Investitionen anziehen. Über den Behältern angebrachte Kameras erkennen, was weggeworfen wird, während intelligente Waagen unterhalb des Behälters das Hinzugefügte wiegen und konstant aufzeichnen, wie viele Produkte aus der Küche im Abfall landen.

Koch am Zubereiten von Essen
Geschaffen zum Wegwerfen: Bei Accor machen Lebensmittel in der Regel mehr als 40 % der gesamten Betriebsabfälle aus - im Durchschnitt fast 20 Tonnen pro Hotel und Jahr. © istock/LeoPatrizi

Jedes weggeworfene Frühstücks-Croissant hatte schliesslich bereits Auswirkungen auf den Kohlenstoffausstoss in der Landwirtschaft und dem Transport. Hinzu kommt eine riesige Anzahl gefüllter Mülltonnen. Bei Accor machen Lebensmittel in der Regel mehr als 40 % der gesamten Betriebsabfälle aus - im Durchschnitt fast 20 Tonnen pro Hotel und Jahr. Die französische Gruppe serviert jährlich 200 Millionen Mahlzeiten in mehr als 10'000 Restaurants und Bars. In einem grossen Londoner Hotel, in dem Accor das Winnow-System getestet hat, konnten durch besser geplanten Einkauf die Lebensmittelabfälle nach eigenen Angaben um 40 % gesenkt und Kosteneinsparungen im gleichen Umfang erzielt werden.

Jedes weggeworfene Frühstücks-Croissant erhöht die Kohlenstoff-Emissionen.

Nachhaltiger Strukturwandel erfordert mehr Kapital

Solche Initiativen erhalten immer mehr Aufmerksamkeit. Bei den ersten, im September 2024 verliehenen World Sustainable Travel & Hospitality Awards wurden viele davon vorgestellt. Soneva etwa gehörte zu den Luxusmarken, die dafür ausgezeichnet wurden, die höchsten Standards zu setzen. Die Gruppe, die Häuser auf den Malediven und in Thailand besitzt, war schon immer eine Vorreiterin, wenn es darum ging, die Fragilität der Ökosysteme in ihrem Umfeld zu erkennen, und wartete nicht erst darauf, dass die Konsumentinnen und Konsumenten Veränderungen einfordern.

 CEO des World Travel and Tourism Council (WTTC) Julia Simpson
CEO des World Travel and Tourism Council (WTTC) Julia Simpson: "Die Erklärung von Glasgow hat in der gesamten Reise- und Tourismusbranche ein enormes Echo ausgelöst." © Anastasiia Smolienko/Polaris/laif

Seit 2008 verzichtet Soneva auf Plastikflaschen und hat stattdessen ein Wasserfiltersystem und Glasflaschen eingeführt. Mit Hilfe externer Investitionen wurden kürzlich ein Solaranlagen und Stromspeicher installiert, die über 50 % der von den Resorts auf den Malediven benötigten Energie liefern (der Grossteil des Stroms wird in dem Inselstaat bislang durch Generatoren erzeugt). Das Unternehmen hat ausserdem den Lebensmittelanbau intensiviert und ein Projekt zum Wachstum von Korallen eingeführt, das sowohl die Biosphäre schützt als auch den Gästen beim Schnorcheln mehr offeriert.

Die Soneva-Stiftung, eine Non-Profit-Organisation des Resort-Betreibers Soneva, die sich aus einer zweiprozentigen Abgabe auf Gästeübernachtungen speist, arbeitet weltweit an Umwelt- und Armutsprojekten, welche die Auswirkungen der Reiseangebote des Unternehmens zumindest teilweise kompensieren und gleichzeitig solche Emissionen verringern sollen, die das Unternehmen nicht beeinflussen kann - etwa die Flüge. (Soneva schätzt, dass seine Resorts nur rund 20 % des CO2-Fussabdrucks der Reise eines Gastes verursachen und der Rest fast ausschliesslich auf den Flugverkehr zurückzuführen ist.)

Wo sind all die Klimaschutzpläne?

Die Aussichten für den Reise- und Tourismussektor sind natürlich nicht nur rosig, und es gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Je umfangreicher beispielsweise strukturelle Veränderungen ausfallen sollen, desto mehr Vorlaufkapital wird dafür benötigt. Gerade in den aktuell wirtschaftlich unruhigen und instabilen Zeiten können die kostenträchtigen Anpassungen mitunter nur schwer gestemmt werden.

Sorge bereitet auch der nur langsame Fortschritt im Finanzsektor bei der Vergabe von "grünen Krediten" für die Vorfinanzierung von Projekten, die nicht nur Kosten einsparen, sondern auch dem Umweltschutz dienen. Und zudem werden auch die Schwerpunkte neu gesetzt: Die jüngste Deloitte-Umfrage unter Top-Managerinnen und -Managern der europäischen Hotelbranche und Anlegerinnen und Anlegern ergab, dass Nachhaltigkeits- und Klimaschutzinitiativen im Jahr 2024 nur noch von 45 % der Befragten als eines der Themen mit höchster Priorität für die kommenden Jahre genannt werden - gegenüber 61 % im Jahr 2023.

COP26 in Glasgow 2021
Mehr als 300 Reiseunternehmen und -institutionen verpflichteten sich auf der COP26 in Glasgow, ihre Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 netto null zu erreichen. © KEYSTONE/AFP/Paul Ellis

Erneut im Mittelpunkt stand die Tourismusbranche auf der COP29, die im November 2024 in Baku, Aserbaidschan, stattfand. Sie bestätigte den bereits 2021 auf der COP26 in Glasgow festgelegten Rahmen sowie den Ansatz für Klimamassnahmen und die Ziele der Tourismusbranche.

Das Dokument aus Glasgow, das einen Zehn-Jahres-Plan für Verbesserungen vorsieht, hat inzwischen mehr als 900 Unterzeichnende. In Baku wurde allerdings vermehrt von einer Verlangsamung der Fortschritte gesprochen. Und viele Unternehmen, darunter grosse Fluggesellschaften und Kreuzfahrtanbieter - die grössten Emittenten der Branche - haben die Erklärung bislang noch nicht unterzeichnet. Zudem haben mehr als 75 % der unterzeichnenden Organisationen ihre Klimaschutzpläne nicht innerhalb der vereinbarten zwölf Monate veröffentlicht.

Nach der COP29 sagte denn auch die Präsidentin und Geschäftsführerin des World Travel and Tourism Council Julia Simpson in einem Gespräch mit der New York Times: "Die Erklärung von Glasgow hat in der gesamten Reise- und Tourismusbranche ein enormes Echo ausgelöst... Was die Welt jetzt braucht, sind messbare Massnahmen - und wir dürfen keine Zeit mehr verlieren." 

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