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Darf’s noch ein bisschen wärmer sein?

2024 setzt sich der alarmierende Trend globaler Rekordtemperaturen fort und übertrifft die erst im letzten Jahr erreichten Höchstwerte. Der 22. Juli war der heisseste jemals aufgezeichnete Tag und der anhaltende Temperaturanstieg unterstreicht die dringende Notwendigkeit von Klimaschutzmassnahmen. Da extreme Wetterereignisse immer häufiger und heftiger auftreten, sind die Auswirkungen dieser Veränderungen weltweit zu spüren, von Hitzewellen in Europa bis hin zu wirtschaftlichen Störungen auf der ganzen Welt.

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Autor
Cedric Baur, Equity Analyst, LGT Private Banking
Lesezeit
10 Minuten

Temperarturrekorde
© Shutterstock

Nach einem milden Winter zwischen den Jahren 2023 und 2024 wollte der Sommer in der Schweiz und in anderen Ländern Mitteleuropas auf ähnlichen Breitengraden gefühlt nicht so richtig durchstarten. Warme Sommer- oder Hitzetage gab es zwar bereits Anfang April, so früh wie noch nie seit Aufzeichnungsbeginn, bis in den Juni hinein waren sie dann aber eher wieder ein rares Gut. Vor allem die erste Jahreshälfte war von sehr wechselhaftem Wetter geprägt. Hinzu kamen erneut Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen, die durch Starkregen getrieben wurden und angesichts des Ausmasses der Zerstörung die Schlagzeilen beherrschten. 

Ein ganz anderes Bild zeigte sich zu Beginn des Jahres beispielsweise in Katalonien. Dort regnet es seit etwa drei Jahren deutlich zu wenig, weshalb die Lokalregierung Anfang 2024 erneut den Dürrenotstand ausrufen musste, um Wasser zu sparen. Gegen Mitte des Jahres wurde es dann stetig wärmer und eine regelrechte Hitzewelle begann sich von Südeuropa nach Norden auszubreiten. Nachdem in Griechenland die Brandgefahr bereits deutlich zugenommen hatte und auch touristische Attraktionen aufgrund der extremen Hitze tagsüber geschlossen werden mussten, stiegen die Temperaturen auch in der Schweiz und Deutschland Richtung 30 °C und darüber. Dazu kamen die ersten tropischen Nächte, in denen die Temperaturen nachts nicht unter die 20 °C Grenze fielen. Neben Europa, waren auch die USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, sowie der Nahe Osten und Nordafrika von Hitzewellen betroffen. Die ungleiche Verteilung und Häufigkeit von Wetterphänomenen sowie die Intensität entsprechender Extremwetterereignisse werden aufgrund des sich erwärmenden Klimas voraussichtlich weiter zunehmen. Haupttreiber ist nach wie vor der stetige Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Erdatmosphäre.

2024 auf dem Weg zum nächsten Rekordjahr

Die hohen Lufttemperaturen setzen sich nach dem Rekordjahr 2023 auch 2024 fort. Laut dem EU-Erdbeobachtungsprogramm Copernicus war der 22. Juli 2024 der bisher heisseste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1940. Der milde Winter zum Jahreswechsel war sicherlich eine Folge dieser Temperaturentwicklung. Auch das Wetterphänomen El Niño dürfte dazu beigetragen haben, denn es sorgt in gewissen Abständen für höhere Wassertemperaturen in Teilen des Pazifiks und damit auch für höhere Lufttemperaturen. Die am 22. Juli gemessene globale Durchschnittstemperatur von rund 17.2 °C, übertraf den bisherigen Höchstwert vom 6. Juli 2023 (17.1 °C). Auch der langfristigen Durchschnitt des Monats Juli mit 16.2 °C (1990-2020) wurde deutlich übertroffen. Der Erwärmungstrend zeigt sich weiter ungebrochen und die bisher gemessenen Werte dürften nur ein Zwischenschritt zu weiteren Rekordwerten sein. 

Dies zeigen auch die durchschnittlichen Tagestemperaturen der letzten 50 Jahre. So wurden die zehn höchsten Werte alle in den letzten zehn Jahren erreicht. Die Jahre 2023 und 2024 lagen dabei nochmals deutlich über den Vorjahreswerten. Hinzu kommt, dass auch die globale Erdtemperatur in jedem der letzten zwölf Monate bereits mindestens +1.5 °C über dem vorindustriellen Temperaturdurchschnitt von 1850-1900 lag. Trotz kühler Witterung und vieler Niederschläge wurde es demnach nicht wirklich kühler. Das Pariser Klimaabkommen ist damit aber noch nicht gescheitert, denn das Ziel ist es, den durchschnittlichen Temperaturanstieg über längere Zeiträume auf möglichst unter +2.0 °C, wenn möglich +1.5 °C, zu begrenzen. Eine formal vereinbarte Definition unter den Mitgliedsstaaten, ab wann eine Überschreitung des +1.5 °C Ziels erfolgt ist, gibt es noch nicht. Expertinnen und Experten gehen jedoch davon aus, dass das Ziel nur noch schwer zu erreichen ist und schon in den nächsten Jahren überschritten wird. Eine Umfrage unter Wissenschaftlern und WIssenschaftlerinnen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigte kürzlich, dass diese eher mit einem Temperaturanstieg von 2.5-3.0 °C bis Ende 2100 rechnen.

Jedes Zehntel Grad entscheidend

Dies wäre eine katastrophale Entwicklung, da bereits heute signifikante Wetterextreme, wie längere und intensivere Hitzewellen, zu beobachten sind. Zunehmende Hitze hat dabei nicht nur Auswirkungen auf die eigene Gesundheit, sondern auch auf die Wirtschaft. Die internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt in ihrer Hitzestudie für 2024, dass verlorene Arbeitsstunden, vermehrte Krankheitstage und Produktivitätsverluste durch Hitzestress am Arbeitsplatz die Weltwirtschaft bis 2030 rund USD 2.4 Billionen kosten könnten. Auch der Wirtschaftsausschuss des US-Senats stellte letztes Jahr fest, dass hitzebedingte Produktivitätsverluste aufgrund des Klimawandels zu erheblichen wirtschaftlichen Kosten führen dürften. Hinzu kommen weitere hitzebedingte Kosten für Unternehmen, die sich auf mehrere hundert Milliarden US-Dollar pro Jahr belaufen könnten. Beispiele hierfür sind neben Ernteausfällen auch Waldbrände, die Firmengebäude oder Produktionsstätten in Mitleidenschaft ziehen, Stromausfälle oder eine Unterbrechung der Kühlkette. 


Es ist wichtig, den Temperaturanstieg so gering wie möglich zu halten, denn mit jedem Zehntel Grad zusätzlicher Erwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit irreversibler Veränderungen am globalen Klimasystem. Aktive Emissionsreduktionen sind dafür unumgänglich. Um dies zu erreichen, muss die internationale Zusammenarbeit beim globalen Klimaschutz deutlich verstärkt werden. Die Klimakonferenz (COP 29) Mitte November in Aserbaidschan bietet dazu die nächste Gelegenheit. Darüber hinaus müssten bestehende Regierungsprogramme wie der EU Green Deal oder der Inflation Reduction Act (IRA) in den USA verlängert, oder durch neue, verbesserte Programme ersetzt werden. Ein wichtiger Hebel bleibt der Ausbau erneuerbarer Energien. Vor allem, um fossile Brennstoffe zu ersetzen, die immer noch einen grossen Anteil der globalen Treibhausgasemissionen ausmachen. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein und bestimmen, in welche Richtung sich die Weltgemeinschaft bewegt und ob es noch (ein bisschen) wärmer sein darf. 
 

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