The Strategist

Macrons riskantes Spiel droht Europa in die Krise zu stürzen

Die Entscheidung des französischen Präsidenten, vorgezogene Parlamentswahlen auszurufen, hat Schockwellen durch Europa gesendet und die Finanzmärkte verunsichert. Die Staatsverschuldung Frankreichs bereitet dem Land und der Europäischen Union schon seit geraumer Zeit Kopfzerbrechen. Die Aussicht, dass die französische extreme Rechte oder eine linke Koalition - die für höhere Staatsausgaben und Euroskeptizismus steht - eine Mehrheit im Parlament erlangen könnte, belastet nun die Beziehungen zur EU und hat zu Verkäufen an den Anleihe- und Aktienmärkten geführt. 

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Antonia Strachwitz, LGT
Lesezeit
10 Minuten
Französische Wahlen
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Ein neues Risiko für die Weltwirtschaft ist entstanden, und es kommt aus dem Herzen Europas. Nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei den jüngsten Europawahlen hat der französische Präsident Emmanuel Macron die Nationalversammlung aufgelöst und vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt. Der erste Wahlgang findet am 30. Juni statt, der zweite am 7. Juli. Macron geht das Risiko ein, dass die Wählerinnen und Wähler die Kandidaten und Kandidatinnen der Rechten erneut ablehnen werden, wenn sie vor die Qual der Wahl gestellt werden, und dass seine Partei in der Lage sein wird, die Wählerschaft von Mitte-Rechts und Mitte-Links in Frankreichs zweistufigem Wahlsystem zu konsolidieren. Jüngste Umfragen deuten jedoch darauf hin, dass dies der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN) erhebliche Macht in der französischen Legislative verschaffen könnte, möglicherweise sogar die vollständige Kontrolle. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire warnte vor einer drohenden Staatsschuldenkrise, sollte Le Pens Partei ihr teures fiskalisches und protektionistisches Programm "Frankreich zuerst" umsetzen. Der vorgeschlagene politische Rahmen könnte eine Finanzkrise "à la Liz Truss" auslösen, die das bereits kritische Haushaltsdefizit des Landes weiter verschärfen und die europäische Einheit gefährden würde.

Ein politischer Patt in einem der stärksten Verfechter der Europäischen Union?

Wichtiger als die kurzfristigen Auswirkungen einer populistischen Regierung auf die Steuer- und sonstige Politik ist vielleicht die entscheidende Rolle Frankreichs für das europäische Projekt im weiteren Sinne. Die deutsch-französische Partnerschaft ist seit Jahren das Herzstück der Europäischen Union. Sollte in einem der beiden Länder eine euroskeptische Partei an die Macht kommen, könnte dies zu einer erheblichen Destabilisierung führen. Das RN schlägt allerdings nicht mehr vor, aus der Union und der Eurozone auszutreten, sondern will die Freizügigkeit von Migranten durch nationale Grenzkontrollen einschränken und die EU-Klimaschutzvorschriften aufweichen. Die Beziehungen zur EU und zu anderen Partnern dürften sich daher unmittelbar nach den Wahlen nicht dramatisch ändern. Selbst wenn das RN die absolute Mehrheit im Parlament erringt, behält Macron die verfassungsmässige Macht über die Beziehungen zu Europa, die Aussenpolitik und die Verteidigung.

Das französische Wahlsystem mit zwei Wahlgängen macht es besonders schwierig, den Ausgang der Wahlen vorherzusagen. Die Umfragen deuten jedoch darauf hin, dass das RN deutlich an Sitzen gewinnen könnte, während Macrons Lager einen ähnlichen Verlust hinnehmen müsste.

Von den möglichen Ergebnissen würde eine absolute Mehrheit für das RN die einschneidendsten Veränderungen mit sich bringen. Die Partei würde den Premierminister stellen und einige ihrer Gesetzesvorschläge und politischen Massnahmen durchsetzen, die darauf abzielen, die öffentlichen Ausgaben für Rentner und Haushalte zu erhöhen und gleichzeitig die Mittel für die Einwanderung zu kürzen. Eine Situation, in der Präsident und Premierminister aus rivalisierenden politischen Parteien stammen, die so genannte "Kohabitation", ist in der Fünften Republik erst dreimal vorgekommen und birgt die Gefahr einer politischen Lähmung. Relative Mehrheiten für das RN oder die Linke, die in der Wählergunst deutlich zugelegt hat und in den Umfragen mit 27% knapp hinter dem RN liegt, könnten Frankreich ebenfalls in eine politische Sackgasse führen. Sollte es Macrons Partei gelingen, ihre relative Mehrheit trotz aller Widrigkeiten zu halten, würde Frankreich im Status quo verharren, d.h. es müsste sich um Allianzen bemühen, um eine Politik der Wettbewerbsfähigkeit zu verabschieden, die durch weithin unpopuläre Arbeitsmarktreformen und Sparmassnahmen auf lokaler Ebene finanziert wird. 

Unabhängig vom Wahlausgang wird die Haushaltslage Frankreichs nach den EU-Regeln schwierig bleiben, was den finanzpolitischen Spielraum jeder Regierung einschränken dürfte. 

Angst vor drohender Schuldenkrise wird Volatilität hoch halten

Die Aussicht, dass entweder die Linkskoalition oder das RN auf der Grundlage ungedeckter öffentlicher Ausgaben eine parlamentarische Mehrheit erlangen könnten, hat die Finanzmärkte verunsichert und zu einem Ausverkauf an den Anleihe- und Aktienmärkten geführt. Die Kreditkosten des französischen Staates sind seit Macrons Ankündigung sprunghaft angestiegen. Frankreich zahlt nun einen höheren Zinssatz als Portugal und seine Kreditaussichten verschlechtern sich. Bereits im Mai hatte S&P die langfristige Kreditwürdigkeit des Landes auf AA- herabgestuft. Weitere Herabstufungen um eine Stufe werden in den nächsten zwölf bis 24 Monaten erwartet, höhere Defizite als derzeit erwartet könnten zu früheren oder sogar weiteren Herabstufungen führen. Die Renditedifferenz zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren verzeichnete den grössten wöchentlichen Anstieg seit Ende 2011 während der Staatsschuldenkrise in der Eurozone und liegt mit 77 Basispunkten auf einem Zehnjahreshoch. Diese Entwicklungen haben am Markt zu Gerüchten über ein mögliches Eingreifen der EZB geführt, auch wenn die Entscheidungsträger der EZB-Berichten zufolge nicht beabsichtigen, die Aktivierung von Notfallanleihekäufen zur Stützung der französischen Staatsschulden zu diskutieren.

Französische Unternehmensanleihen sind weniger volatil als Staatsanleihen und dürften von den Wahlen nicht wesentlich beeinflusst werden. Die Finanzwerte hingegen wurden von den Sorgen um die vom RN sowie der Linkskoalition vorgeschlagenen Ausgabenerhöhungen und deren Auswirkungen auf das Defizit mit am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Politische Unsicherheit wirkt sich in der Regel negativ auf Aktien aus, da höhere Anleiherenditen und politische Risikoprämien den Markt belasten. Der Finanzsektor ist besonders betroffen, da Banken und Versicherungen benachteiligt sind. Sie halten grosse Bestände an Staatsanleihen, und es wird erwartet, dass eine populistische Regierung versuchen wird, mehr Steuern auf Gewinnmitnahmen, Dividendenbeschränkungen und Aktienrückkäufe einzuführen. Der CAC 40 fiel in der vergangenen Woche um 6% und verzeichnete damit den grössten Wochenverlust seit März 2022. Anekdotische Belege und Stimmungsindikatoren deuten darauf hin, dass Frankreich in der vergangenen Woche zum unbeliebtesten Aktienmarkt in Europa geworden ist und nun nahe an technisch überverkauften Niveaus gehandelt wird. Dies hat auch Auswirkungen auf den breiteren europäischen Markt: Einer der positiven Aspekte für europäische Aktien war der potenzielle Zufluss ausländischer Investoren, die durch die jüngsten Ereignisse abgeschreckt werden könnten. Die politische Unsicherheit hat auch den Euro belastet, aber die Auswirkungen waren bisher relativ gering. 

Die bevorstehenden Wahlen in Frankreich haben erhebliche Auswirkungen auf verschiedene Anlageklassen. Es wird erwartet, dass die Unsicherheit hoch bleibt, da die Angst vor einer möglichen Schuldenkrise und einer politischen Destabilisierung in der Europäischen Union anhält.

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