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US-Wahlen: Kristallisiert sich eine vorzeitige Entscheidung heraus oder bleibt es knapp?

Nach der ersten Präsidentschaftsdebatte zwischen US-Präsident Joe Biden und dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump ist es an der Zeit, einen Blick auf die wichtigsten Wahlversprechen und die entscheidenden Faktoren für den Ausgang der US-Wahl zu werfen. Die Debatte als solche hat keine neuen politischen Richtungen aufgezeigt, aber sie hat die Fragilität der Gesundheit von Präsident Biden hervorgehoben und ein grosses Medienecho hervorgerufen. Viele sahen darin ein Problem für die Biden-Kampagne, aber die Medienaufmerksamkeit kann auch als positiver Aspekt gesehen werden.
 

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Autor
Tina Jessop, Senior Economist, LGT Private Banking, Sebastian Petric, LGT Senior FX Strategist
Lesezeit
10 Minuten

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Die Reaktion der Wähler (nationale Umfragen) auf die Debatte fiel etwas verhaltener aus als jene der Medien. Nach Monaten relativ konstanter Umfragewerte konnte Trump nun seinen Vorsprung auf nationaler Ebene und in den so genannten "Swing States" weiter ausbauen. Je näher der Wahltermin rückt - und sofern sich Bidens Zustand nicht deutlich verbessert oder er nicht durch einen anderen Kandidaten ersetzt wird - ist davon auszugehen, dass die Unterstützung für Trump zunehmen wird.

Ob Biden die Wiederwahl gelingt oder nicht hängt jedoch weitgehend von den Ereignissen während der Debatte am vergangenen Donnerstag ab. Biden steht im Rampenlicht und beherrscht die Schlagzeilen und die Medienberichterstattung. Zeitungen auf der ganzen Welt bringen Biden an prominenter Stelle auf ihren Titelseiten. Interessanterweise liegt der Fokus nicht auf Trump, dem vermeintlichen Gewinner der Debatte, sondern auf Biden, der als schwächelnd wahrgenommen wird. 

Wie dieses Narrativ genutzt wird, wird letztlich den Verlauf der Ereignisse bestimmen. Das Sprichwort "Es gibt keine schlechte Presse" trifft jedoch in der Regel zu. Wenn es Biden gelingt, die aktuelle Situation zu überwinden, hat er weiterhin die Chance, verlorene Unterstützung zurückzugewinnen. Im Moment macht jedenfalls der Name Biden Schlagzeilen und zieht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich.

Die nächsten bekannten Meilensteine sind die Parteitage der Republikaner am 15. bis 18. Juli und der Demokraten am 19. bis 22. August sowie die zweite und letzte Präsidentschaftsdebatte am 10. September. Auch die Debatte der Vizepräsidentschaftskandidaten am 25. September könnte angesichts der Ungewissheit im Zusammenhang mit der Wahl und des fortgeschrittenen Alters der Kandidaten mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als üblich.

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© LGT, Bloomberg

Was beeinflusst den Ausgang der Wahl, abgesehen von Bidens Gesundheit? Die Wirtschaft! 

Die Inflation und der Zustand der Wirtschaft sind zweifellos die Hauptsorgen der US-Wähler. Laut einer Guardian/Harris-Umfrage vom Mai 2024 glaubt die Hälfte der Befragten, dass sich die USA in einer Rezession befinden und die Arbeitslosigkeit ein Mehrjahreshoch erreicht hat. Dies steht in krassem Gegensatz zum überdurchschnittlichen realen BIP-Wachstum von 3% im Jahr 2023 und einer nahezu rekordverdächtig niedrigen Arbeitslosenquote.

Die starken gesamtwirtschaftlichen Wachstumszahlen verbergen jedoch die Lage der Privathaushalte mit niedrigem Einkommen. Sie besitzen kein Wohneigentum und keine Aktien. Die meisten von ihnen haben nicht vom Anstieg der Marktkapitalisierung von US-Aktien um USD 20 Billionen seit 2019 profitiert. Sie konnten auch den Anstieg des durchschnittlichen Verkaufspreises von Eigenheimen in den USA um 30% im gleichen Zeitraum nicht für sich nutzen. Was sie jedoch zu spüren bekommen, ist, dass sie einen unverhältnismässig grossen Teil ihres Einkommens für Dinge ausgeben, deren Preise stark angestiegen sind. 

Eine Inflationsrate von 3% gegenüber dem Vorjahr heisst nicht, dass die Preise sinken. Es bedeutet lediglich, dass die jährliche Steigerungsrate niedriger ist. Die Preise in den USA - und übrigens auch in Europa - liegen 20% über dem Niveau von 2019 und 10% über jenem, auf dem sie liegen müssten, wenn sie im Zeitraum 2000-2019 mit derselben Rate gestiegen wären. Güter des täglichen Bedarfs, wie Benzin an der Tankstelle und Lebensmittel, sind sogar noch stärker gestiegen. Darunter leiden die unteren Einkommensschichten aller Bevölkerungsgruppen, und viele machen Präsident Biden dafür veranwortlich.

Man könnte annehmen, dass Bidens Pläne für Sozialausgaben und Steuersenkungen für die unteren Einkommensschichten diese Wähler anziehen würden. Tatsächlich fühlen sie sich von der derzeitigen Regierung jedoch im Stich gelassen. Unentschlossene Wähler, auch Minderheiten, könnten sich für die Alternative entscheiden. 

Was zu erwarten ist: Schlüsselthemen der Wahl

Zu den wichtigsten Wahlkampfthemen gehören neben der Wirtschaft unter anderem Steuerpolitik, Einwanderung, Abtreibung, soziale Sicherheit, sowie Aussenhandel und geostrategische Politik.

Unter einer zweiten Biden-Amtszeit, sollte er im Rennen bleiben, würden wir Kontinuität bei Wirtschafts- und Aussenpolitik erwarten, mit einer harten, aber zielgerichteten Haltung gegenüber China und einer weiteren Konzentration auf das Klima (Inflation Reduction Act, IRA). Die Steuerlast für Spitzenverdiener und sehr Reiche würde steigen, zusammen mit einer möglichen Anhebung des Unternehmenssteuersatzes, während Trumps Einkommensteuersenkungen von 2017 für Haushalte mit geringerem Einkommen verlängert würden. 

In der Aussenpolitik wäre Trump wahrscheinlich unberechenbarer und würde seine "Amerika first"-Politik fortsetzen. Er hat eine harte Haltung gegenüber allen Handelspartnern angedroht - die Idee eines allgemeinen Zolls von 10% auf sämtliche importierte Waren wurde geäussert - und gegenüber NATO-Mitgliedern, die die Anforderung von 2% des BIP für Verteidigungsausgaben nicht erfüllen. Innenpolitisch versprach Trump eine Verlängerung der Einkommensteuersenkungen von 2017, Deregulierung und eine teilweise Aufhebung des IRA. In den Bereichen Geopolitik und Einwanderung würde er sich ebenfalls stärker auf die USA konzentrieren und entschlossener auftreten.

Auswirkungen auf die US-Wirtschaft und die Staatsfinanzen

Die Amerikaner wählen im November nicht nur einen neuen Präsidenten, sondern, vielleicht entscheidender, auch einen neuen Kongress. Alle Sitze im Repräsentantenhaus und ein Drittel der Sitze im Senat stehen zur Wahl. Die Zusammensetzung des Kongresses wird entscheidend dafür sein, inwieweit der Präsident politische Veränderungen in bestimmten Bereichen durchsetzen kann. 

Was die wirtschaftlichen Auswirkungen anbelangt, so erwarten wir, dass sich eine Präsidentschaft Trumps leicht positiv auf das BIP-Wachstum auswirken könnte, angesichts einer unternehmensfreundlichen Politik und einer stärkeren privaten Nachfrage durch die Verlängerung der Steuersenkungen. Wir gehen auch davon aus, dass Trumps Politik aufgrund von Zöllen, Nearshore-Investitionen und Verteidigungsausgaben sowie einem möglichen Arbeitskräftemangel infolge eines Rückgangs der Einwanderung die Inflation anheizen wird. Einwanderungspolitik und Zölle könnten vom US-Präsidenten per "Executive Order" direkt umgesetzt werden. Anders als die Verlängerung von Steuersenkungen oder die Aufhebung des IRA bedarf dies nicht der Zustimmung des Kongresses.

Bei den Steuerausgaben haben die Kandidaten unterschiedliche Prioritäten, aber das Endergebnis werden ein dauerhaft höheres Haushaltsdefizit und eine steigende Staatsverschuldung sein. Beide Kandidaten sind sehr ausgabefreudig. Das durchschnittliche jährliche Haushaltsdefizit während Trumps Präsidentschaft lag bei fast -7% des BIP, während es unter Biden bei -7.5% des BIP liegt. Beide Werte sind weit über den entsprechenden Werten der Nachkriegszeit. Selbst ein gespaltenes Parlament wird an dieser Entwicklung kaum etwas ändern können.

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