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Market View & Insights
Wenn man der Geschichte und der herkömmlichen Wirtschaftstheorie Glauben schenkt, müsste die US-Wirtschaft schon seit einiger Zeit in einer Rezession stecken. Tatsächlich trotzt sie aber allen Voraussagen - auch wenn von einer Entwarnung noch nicht die Rede sein kann.
Verzweifelt über die üblichen Einerseits-Andererseits-Konjunkturprognosen soll Harry Truman, Präsident der USA von 1945 bis 1953, einmal gesagt haben: "Give me a one-handed economist!", auf Deutsch etwa: "Gebt mir einen Ökonomen mit nur einer Seite!" Dieses Zitat illustriert die Tatsache, dass Konjunkturprognosen häufig in Wahrscheinlichkeiten, relativen Konzepten und Ausgangsszenarien formuliert werden, anstatt als direkte, absolute Schlussfolgerungen.
Zur Verteidigung der Ökonomen sei gesagt, dass sie nicht wie Hellseher mit einer mystischen Konjunktur-Kristallkugel arbeiten, mit der sich die Zukunft präzise vorhersagen lässt. Stattdessen stützen sie sich auf komplizierte mathematische Modelle, die keine hundertprozentig akkuraten Aussagen liefern können. Genau dies - das Fehlen absolut präziser Aussagen - führt zu den eingangs zitierten Einerseits-Andererseits-Konjunkturprognosen, die Präsident Truman derart irritierten.
Wenn in der Vergangenheit bereits Bedingungen geherrscht haben, die mit den heutigen vergleichbar sind, können die Entwicklungen in der Vergangenheit eine nützliche Leitlinie für Prognosen darstellen. Aber auch sie können keineswegs mit einer Kristallkugel gleichsetzt werden. Ganz konkret hat sich in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass (insbesondere rasch aufeinanderfolgende) Zinserhöhungen der Notenbanken tendenziell zu einer rückläufigen Inflation führen, dass aber ein erhebliches Risiko eines Konjunkturrückgangs besteht.
Mit anderen Worten: Notenbanken treffen schwierige Entscheidungen - eine ausgeprägte Teuerung wirkt wie eine Steuer auf die gesamte Volkswirtschaft und die zugehörige Bevölkerung, wobei Haushalte mit geringen Einkommen und Haushalte mit Ersparnissen besonders zu leiden haben. Um die von einer Teuerung verursachten Schäden einzugrenzen, kann eine Notenbank allenfalls dafür sorgen, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einige aufeinanderfolgende Quartale lang negativ ausfällt.
Solche Rezessionen gehen normalerweise Hand in Hand mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und es kann viele Quartale dauern, bis das vorherige Beschäftigungsniveau wieder erreicht ist. Hinter solchen Massnahmen steht die Überlegung, dass die kurzfristigere gesellschaftliche Belastung durch Arbeitsplatzverluste längerfristig durch die mit einer stabilen, niedrigen Inflationsrate verbundenen Gewinne mehr als ausgeglichen wird.
Von der Theorie zur aktuellen Praxis: Die US Notenbank (Fed) sah sich wegen der massiven Teuerung in Folge der Covid-19-Pandemie dazu gezwungen, ihre Leitzinsen zwischen Anfang 2022 und Juli 2023 um 500 Basispunkte zu erhöhen. Die konventionelle Wirtschaftstheorie ging damals davon aus, dass eine Rezession Ende 2023 oder Anfang 2024 so gut wie sicher sei. Tatsächlich war dieser Zinserhöhungszyklus der schnellste in der Geschichte der USA, so dass die Annahme, eine Rezession sei vermeidbar, unter sonst gleichen Bedingungen, eine eher abweichende Sichtweise gewesen wäre.
Und dennoch wurden in den USA allein im ersten Quartal 2024 829’000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Somit sind seit dem Tiefpunkt im Beschäftigungsniveau, der im April 2020 während der Pandemie erreicht wurde, 27 Millionen Stellen (wieder) neu geschaffen worden. Die US-Arbeitslosenquote beträgt derzeit 3.8 Prozent - für die USA ein sehr niedriger Wert. Laut dem Atlanta Federal Reserve Board steigen die Löhne weiterhin. Im März 2024 betrug der Lohnanstieg im Jahresvergleich rund fünf Prozent und die US-Haushalte zeigen sich besonders ausgabefreudig.
In den USA erleben wir derzeit mit der Kombination aus sinkender Inflation, angemessenem Wirtschaftswachstum und niedriger Arbeitslosigkeit angesichts des historischen Anstiegs der Zinssätze ein unseres Erachtens sehr günstiges Ergebnis. Die wichtigere Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: "Was kommt als Nächstes?"
Heftige Debatten über die Finanzierung öffentlicher Programme dürften die US-Staatsverschuldung begleiten.
Einige Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer befürchten, dass sich die Inflation in den USA auf absehbare Zeit nicht wieder auf das angestrebte Niveau von zwei Prozent einpendeln wird. Wenn dem so ist, dürfte es schwierig sein, im Jahr 2024 Zinssenkungen zu rechtfertigen. Schlimmer noch: Es ist nicht auszuschliessen, dass die Teuerung wieder anzieht und eine neue Zinserhöhungsrunde einläutet. Die Hauptursache für diese konjunkturelle Hitzewelle könnte in der US-Finanzpolitik liegen, die seit der Pandemie weiterhin sehr hohe Defizite aufweist und die Ausgaben seit 2020 nicht diszipliniert reduziert.
Dies sind die Gründe, weshalb das Verhältnis zwischen der Staatsverschuldung der USA und dem BIP im laufenden Jahr die 100-Prozent-Grenze überschreiten dürfte. Sollte sich der gegenwärtige Trend fortsetzen, könnte die Schuldenquote nach Schätzungen des Congressional Budget Office bis 2054 auf 166 Prozent steigen. (Um diese Zahl in den richtigen Kontext zu setzen, sei darauf hingewiesen, dass die Verschuldung während des Zweiten Weltkriegs aufgrund der Umstellung auf eine Kriegswirtschaft auf 100 Prozent des BIP anstieg; dies war jedoch die einzige Periode in der Neuzeit, in der eine derart hohe Verschuldung zu verzeichnen war).
Man sollte jedoch nicht vergessen, dass solche Prognosen sehr empfindlich auf Veränderungen einer Reihe von zugrunde liegenden Annahmen reagieren. In den kommenden Jahren ist mit heftigen Debatten darüber zu rechnen, wie z.B. die öffentlichen Gesundheitsprogramme und die Sozialversicherungen finanziert werden sollen. Dies wiederum dürfte direkte Auswirkungen auf die Entwicklung der US-Staatsverschuldung haben. Derzeit aber stehen die Finanzmärkte immer noch vor dem Rätsel, wieso der Konsumentenpreisindex (CPI) in den USA hartnäckig auf einem hohen Niveau verharrt und wann - wenn überhaupt - somit Zinssenkungen seitens der Fed anstehen.