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Market View & Insights
Ist New Work nur ein Hype oder ist das Konzept zukunftsweisend für Unternehmen? Was hinter dem Begriff steckt.
"Wir schreiben das Jahr 2030: Das Grossraumbüro und Überstunden gibt es nicht mehr, dafür genauso viele Chefinnen wie Chefs. " So beginnt ein Text in der "Zeit" zum Thema New Work. Es seien "Nachrichten aus einer besseren Welt", verspricht die Autorin, die von Vertrauens- und flexibler Arbeitszeit sowie mehr Produktivität träumt. Davon, wie sie mithilfe einer VR-Brille Teamkollegen in einem virtuellen Raum trifft und ihren Arbeitsalltag fernab eines Büros dank ihrer Smartwatch strukturiert. Dazwischen kocht sie, holt ihre Tochter aus der Kita ab und macht kurze Workouts, um ihren Rücken zu entlasten.
Eine Utopie? Und wenn nicht: Was ist das überhaupt, New Work?
Zuerst einmal: Nein, New Work ist keine Utopie. Der Begriff steht für eine moderne, an den Mitarbeitenden orientierte und selbstbestimmte Art zu arbeiten. Die zentrale Frage dabei sei, so der New Work-Experte Michael Trautmann, wie "wir die Arbeitsbedingungen für alle verbessern" können.
Der Begriff New Work stammt von Frithjof Bergmann. Bereits Mitte der 1970er-Jahre entwickelte der Sozialphilosoph seine These der "Arbeit der Zukunft" und entwarf Ideen für eine neue Arbeitswelt, die durch persönliche Erfüllung und Selbstbestimmung geprägt ist. Bergmann war als 18-Jähriger vor den Nazis aus Österreich in die USA geflüchtet. Dort finanzierte er sich sein Studium mit Boxkämpfen, als Hafen-, Land- und Waldarbeiter. Und ihm fiel auf, dass Arbeit seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert im Erledigen oder dem Abarbeiten von Aufgaben bestand, der Mensch bloss als Mittel zur Zweckerfüllung diente.
In Bergmanns Vorstellung sollte der Mensch sich mit Arbeit selbst verwirklichen können und daneben auch Zeit haben für persönliche Projekte sowie für Gemeinnütziges. Nur aus sinnstiftender Arbeit könnten neue Berufe und sinnvolle Produkte entstehen, welche die Menschen haben wollen, glaubte er. In den 1980er-Jahren gründete Bergmann in der US-Autostadt Flint in Michigan das Center for New Work. Weil damals bei Firmen wie General Motors in Folge der Automatisierung Massenentlassungen drohten, nahm GM einen Vorschlag von Bergmann an: Die Beschäftigten sollten ihre Arbeitsplätze behalten, allerdings nur noch sechs Monate im Jahr im Unternehmen arbeiten, den Rest sollten sie für sich und ihre Umgebung tätig sein.
Obwohl sich Bergmanns Theorie nicht ohne Probleme in die Praxis umsetzen liess und die Wirtschaft in den 1980er- und frühen 90er-Jahren nicht bloss im amerikanischen Rust Belt in eine Krise stürzte, verschwand das New Work-Konzept nicht. Mit der Digitalisierung und der zunehmenden Bedeutung von künstlicher Intelligenz bekam es wieder Aufwind. So glaubt Milliardär Jack Ma, Gründer des Tech-Giganten Alibaba, dass die Menschen künftig mithilfe von künstlicher Intelligenz nur noch 12 Stunden pro Woche arbeiten werden.
Auch der Experte Michael Trautmann ist überzeugt, dass die Zukunft der Arbeit weniger Arbeit bedeutet. Allerdings bedeute New Work auch noch viel mehr, sagt der Mann, der Werbeagenturen führte, Marketingchef bei Audi war. Trautmann plädiert dafür, dass Menschen und Unternehmen einen purpose brauchen, ähnlich wie ihn Frithjof Bergmann definierte: Die Arbeit in Unternehmen muss für Arbeitnehmende, für das Unternehmen und - nicht zuletzt - für die Kundinnen und Kunden einen Sinn haben. Diesen zu ermitteln und weiterzugeben, ist die Aufgabe von Führungskräften.
Einzelne Personen bekommen in einem Unternehmen mehr Verantwortung, herkömmliche Hierarchien werden durch selbst organisierende Teams, Lean Management oder agiles Arbeiten ersetzt. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsumfeld besser werden müssen: Deep Work, ablenkungsfreies, konzentriertes Arbeiten, sinnvolle Zusammenarbeit und Remote Work werden unabdingbar – ebenso wie lebenslanges Lernen.
Doch wie sieht der Reality-Check aus? Funktioniert New Work? Braucht es die neue Arbeitswelt überhaupt?
Vieles deutet darauf hin, dass New Work gekommen ist, um zu bleiben. Das Arbeitskonzept sei zwar noch ein "eher unpräzises Gedankenmodell", heisst es in einem Bericht des Schweizer Forschungsbüro Ecoplan von 2023 zum Potenzial von New Work. Die Expertinnen und Experten sind sich aber auch einig, dass es sich um einen Trend handelt, nicht um eine Fantasterei. Die Corona-Pandemie hat das Ihrige dazu beigetragen und einigen Aspekten der neuen Arbeitswelt zu einem breiten und raschen Durchbruch verholfen - insbesondere Remote Work.
So verwundert es nicht, dass in vielen Firmen in Liechtenstein, in der Schweiz, in Deutschland und Österreich zeitlich und örtlich flexibel gestaltbare Arbeit, aber auch projektbasierte und agile Organisationsformen sowie die sinnstiftende Komponente der Arbeit bereits Realität sind. Oft sind es Kombinationen aus "alten" und "neuen" Arbeitsformen. So gibt es auch bei LGT Teams und Unternehmenseinheiten, die agil arbeiten, wie HR-Chefin Liechtenstein & Schweiz Elvira Knecht erklärt.
Gleichzeitig wird New Work nach wie vor auch kritisch betrachtet. Bestehende soziale Ungleichheiten könnten verstärkt werden, warnt der Ecoplan-Bericht. Das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz spiele zudem eine wichtigere Rolle als je zuvor: Einerseits bringe die neuartige Arbeitsweise "erhebliche gesundheitliche Risiken" mit sich, weil durch neue Technologien und Arbeitsformen neue psychische Krankheiten entstehen. Andererseits haben Unternehmen noch nie so gut auf die Gesundheit ihrer Arbeitnehmenden geachtet wie heute.
Für viele unter den Arbeitnehmenden wird "Brave New Work", wie das Konzept in Anlehnung an den dystopischen Zukunftsroman von Aldous Huxley von 1932 auch genannt wird, ein (zu) grosses Versprechen bleiben.
Sie sehnen sich danach, wie es in einer NZZ-Kolumne heisst, wieder "echte Chefs" zu haben, die ihnen Grenzen aufzeigen und einen konkreten Auftrag erteilen. Und sie hoffen, dadurch weniger unglücklich zu sein. Dabei wird es wahrscheinlich immer so sein, dass Arbeit beides kann: erfüllen und glücklich oder krank und todunglücklich machen – egal ob mit oder ohne Chefin und Chef, im Homeoffice, am Strand oder im Büro.