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Schweizer Präzision: Feinabstimmung der Geldpolitik auf Wirtschaftslage und Franken

25 oder 50 Basispunkte - das ist die entscheidende Frage, die Martin Schlegel, der neue Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), beschäftigt. Dass die SNB am 12. Dezember eine weitere Zinssenkung vornehmen wird, gilt als so gut wie sicher: Die Schweizer Wirtschaft wächst langsam, aber stabil, die Arbeitslosigkeit steigt allmählich an, bleibt aber niedrig, und der jährliche Preisdruck bewegt sich nahe der Mitte des SNB-Zielbands von 0% bis 2%. Diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sprechen für eine schrittweise Senkung um 25 Basispunkte.

Datum
Autor
Tina Jessop, Senior Economist, LGT Private Banking
Lesezeit
10 Minuten

Schweizer Franken
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Geldpolitische Überlegungen nehmen jedoch eine andere Dynamik an, wenn man eine kleine, offene Volkswirtschaft mit einer flexiblen Währung ist, die weltweit als sicherer Hafen anerkannt ist. 

Komplexe Dynamik: Handelsoffenheit und Status als sicherer Hafen

Der Anteil der Schweiz an der Weltwirtschaft beträgt 0.8%, doch ihre Exporte machen 2% aller international gehandelten Güter und Dienstleistungen aus. Der Gesamthandel - Exporte und Importe von Gütern und Dienstleistungen zusammengenommen - beträgt stolze 140% des Schweizer BIP. 0.2% der weltweiten Währungsreserven werden in Schweizer Franken gehalten. Dies mag in absoluten Zahlen bescheiden klingen, ist aber eine bemerkenswerte Position, die den starken Finanzsektor des Landes, die politische und regulatorische Stabilität und die solide Wirtschaft widerspiegelt, mit einer Staatsverschuldung von weniger als 40% des BIP, einem seltenen Haushaltsüberschuss und einem Leistungsbilanzüberschuss.

Diese Eigenschaften haben den Schweizer Franken in die Höhe katapultiert und deuten auf eine weitere Stärkung hin, die möglicherweise sogar durch geopolitische und handelspolitische Unsicherheiten noch verstärkt werden könnte, da Investorinnen und Investoren nach sicheren Häfen suchen. Der hohe Importanteil der Schweiz - Importe machen ein Viertel des Warenkorbs der Verbraucher aus - bedeutet, dass ein starker Schweizer Franken zu deflationärem Druck führen könnte, während die Exporte durch den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit geschwächt werden. Sinkende Exporte wiederum bedeuten eine geringere Kapazitätsauslastung und damit eine niedrigere Inflation. Die Aufrechterhaltung der Preisstabilität ist also angesichts des starken Schweizer Frankens schwierig.

Schweizer Franken: Stütze und Problem für die SNB

Nach der globalen Finanzkrise (GFC) musste die SNB in grossem Umfang auf unkonventionelle geldpolitische Instrumente zurückgreifen, um eine Aufwertung des Schweizer Frankens zu verhindern. Die Devisenreserven stiegen drastisch von CHF 50 Milliarden im Jahr 2007 auf einen Höchststand von fast CHF 1 Billion Ende 2021. Der Leitzins wurde mehr als sieben Jahre lang bei -0.75% gehalten, bevor der durch die Coronakrise ausgelöste Inflationsschub die Zentralbankzinsen im Jahr 2022 in die Höhe trieb. Seither konnte die SNB aufgrund der nachlassenden Inflation und des unter dem Trend liegenden Wachstums den Leitzins von 1.75% Anfang 2024 auf heute 1.0% senken. Gleichzeitig sind Währungsinterventionen als wichtigstes politisches Instrument den Zinssätzen gewichen. 

Schweizer Wirtschaftsaussichten: alles bleibt beim Alten

Im aktuellen Umfeld halten wir eine Reihe kleinerer Zinssenkungen mit einer gewissen Flexibilität zum jetzigen Zeitpunkt für das richtige Mass an Schweizer Präzision. Die Schweizer Wirtschaft hält sich mit einem realen BIP-Wachstum von 1.5% im Jahr 2024 relativ gut, eine Wachstumsdynamik, die sich unserer Einschätzung nach 2025 fortsetzen wird. Das Verbrauchervertrauen ist nach wie vor niedrig, aber der solide Arbeitsmarkt und das Reallohnwachstum dürften den Konsum in Zukunft stützen. Die Industrieproduktion ist nach wie vor uneinheitlich, hat aber in letzter Zeit eine gewisse positive Dynamik gezeigt, die von einem starken Pharmasektor getragen wird, der die Schwäche in den maschinen- und automobilbezogenen Sektoren überdeckt, die wiederum die anhaltende Rezession im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland widerspiegelt. Trotz des starken Schweizer Frankens hat die Kapazitätsauslastung im dritten Quartal 2024 einen Anstieg verzeichnet.

Die Exportschwäche ist das grösste Abwärtsrisiko für 2025. Die handelspolitische Unsicherheit, die sich aus der neuen Trump-Regierung in den USA ergibt, sowie die düsteren Aussichten für die deutsche Industrie könnten die Schweizer Produktion belasten. Wir sehen jedoch auch Gründe für Optimismus: Die EZB ist weit in ihrem Zinssenkungszyklus fortgeschritten, und die deutschen Wahlen und die chinesischen Konjunkturmassnahmen könnten die Stimmung beleben. Vorerst erachten wir die Risiken für unseren Wirtschaftsausblick als ausgewogen.

Inflation in der unteren Hälfte des SNB-Zielbandes

Der Gesamtindex der Verbraucherpreise (VPI) lag im November bei 0.7% im Jahresvergleich und damit unter der Mitte des SNB-Zielbands von 0% bis 2%. Ohne Energie und Lebensmittel liegt der Kern-VPI bei 0.9% im Jahresvergleich. Beide sind gegenüber dem Vormonat leicht gestiegen, liegen aber immer noch deutlich unter den Höchstständen von 2022.

Sinkende Energiepreise und der starke Schweizer Franken waren die Hauptgründe für den jüngsten rapiden Rückgang der Inflation. Im November fielen die Preise für importierte Güter im Jahresvergleich um -2.7%, während inländische Güter und die Preise für Dienstleistungen im Jahresvergleich um 1.7% bzw. 1.8% stiegen. Der Schweizer Franken wird gegenüber dem EUR auf einem nahezu historischen Höchststand gehandelt, und während er gegenüber dem USD langfristig stark bleibt, hat er in den letzten Wochen gegenüber dem Greenback an Wert verloren. Wir gehen davon aus, dass der importierte Inflationsdruck wieder zunehmen wird, sich aber aufgrund der jüngsten Dynamik und unserer Prognose für die wichtigsten Währungspaare für 2025 abkühlen wird. Die inländische Inflation dürfte sich weiter langsam zurückbilden. Wir erwarten daher, dass die VPI-Inflation im nächsten Jahr im Bereich von 0.5% bis 1% bleiben wird.

Graduelle Lockerung und verbale Unterstützung wahrscheinlicher

Im Einklang mit den moderaten Wachstums- und Inflationsaussichten erwarten wir, dass die SNB den Leitzins von derzeit 1% in drei weiteren Schritten um jeweils 25 Basispunkte senken wird. Wir erwarten eine Senkung um 25Bp am 12. Dezember 2024, eine im März 2025 und eine letzte Senkung im Juni 2025. Dies entspricht einem Endsatz der SNB von 0.25% bis Mitte 2025 und impliziert, dass die geldpolitischen Bedingungen nach der Zinssenkung im Dezember neutral oder expansiv werden.

Um eine weitere Aufwertung des Schweizer Frankens und damit Deflationsdruck zu vermeiden, erwarten wir, dass die SNB ihre Entschlossenheit zur Wahrung der Preisstabilität lautstark bekräftigen wird, auch in Form von Währungsinterventionen und Negativzinsen, falls dies als notwendig erachtet wird. Angesichts der Bedeutung von Zinsdifferenzen für den Wechselkurs könnten tiefere und schnellere Zinssenkungen der SNB erfolgen, wenn die Europäische Zentralbank ihren Zinssenkungskurs aufgrund des schwächeren Wachstums beschleunigt.

Ausblick: Die Auswirkungen der US-Handelspolitik auf das Wirtschaftswachstum und die Geldpolitik

Die USA sind der grösste Exportmarkt für Schweizer Waren. Die Güterexporte in die USA machen etwa 15% der gesamten Schweizer Güterexporte und 6% des Schweizer BIP aus. Die Schweiz verzeichnet daher einen hohen Handelsbilanzüberschuss mit den USA, was die Schweiz in den Fokus der neuen Trump-Administration rücken könnte.

Jede Abschwächung des externen Umfelds würde sich auf die Schweizer Exporte auswirken und das Wachstum belasten. 45% der Schweizer Güterexporte in die USA sind pharmazeutische Produkte, darunter Impfstoffe und Medikamente. Viele dieser Produkte weisen eine geringe Preiselastizität der Nachfrage auf, was bedeutet, dass Zölle auf Schweizer Importe in die USA wahrscheinlich ohne einen nennenswerten Nachfragerückgang an die Endverbraucher weitergegeben werden können. Die direkten Auswirkungen von Zöllen dürften daher trotz der Handelsoffenheit der Schweiz relativ gering sein. Indirekte Auswirkungen sind unter anderem über die Handelsbeziehungen mit Deutschland und eine allgemeine Investitionszurückhaltung in unsicheren Zeiten zu erwarten. Eine Studie des KOF-Instituts der ETH Zürich schätzt, dass Trumps Zölle das Schweizer BIP um 0.2% senken könnten. Im Falle eines ausgewachsenen Handelskrieges, bei dem Unternehmen ihre Produktion in die USA verlagern, könnten die Auswirkungen mit der Zeit bis zu einem Prozentpunkt betragen.

Zu bemerken ist hier, dass die Schweiz von der ersten Trump-Regierung im Jahr 2020 als Währungsmanipulator bezeichnet wurde. Der hohe Handelsbilanzüberschuss mit den USA fiel mit dem starken Anstieg der SNB-Bilanz aufgrund von Devisenmarktinterventionen zusammen. Sollte die SNB es für notwendig erachten, den Schweizer Franken durch Devisenmarktinterventionen künstlich zu schwächen, könnte das Risiko von US-Importzöllen auf Schweizer Waren steigen. Diese Überlegungen werden bei der Entscheidungsfindung der SNB sicherlich eine Rolle spielen und den Bedarf an Schweizer Präzision erhöhen.

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