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Market View & Insights
In einem Wahlkampf, in dem wirtschafts- und sozialpolitische Fragen im Mittelpunkt stehen, stellen Harris und Trump die Wählerinnen und Wähler vor eine schwierige Aufgabe - zumindest auf der rhetorischen Ebene. Die Auswirkungen der beiden politischen Programme auf das BIP-Wachstum und das Haushaltsdefizit der USA sind allerdings nicht so gravierend, wie man meinen möchte, während die Inflationsaussichten stark vom Wahlausgang abhängen.
Kandidatinnen und Kandidaten versprechen im US-Wahlkampf immer viel, und die anstehende Wahl bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Trump stellt eine Verlängerung bestehender Einkommenssteuersenkungen und allenfalls auch Erleichterungen bei der Körperschaftssteuer in Aussicht. Auch verspricht er eine schärfere Gangart bei der Umsetzung der Einwanderungsgesetze und wichtiger noch: Signifikant höhere Zölle auf importierte Güter. Die Auswirkungen davon wären geringere Steuereinnahmen und eine höhere Inflation.
Harris hingegen will die Besteuerung von Reichen und von grossen Unternehmen verschärfen und kleineren Unternehmen vermehrt steuerlich entlasten. Sie verspricht auch, die Mittelschicht zu stärken, Kinderfreibeträge zu erhöhen und für mehr bezahlbare Wohnungen zu sorgen, was sowohl die Steuereinnahmen als auch die Staatsausgaben anheben würde.
So weit sind dies gangbare Alternativen für die Wählerschaft. Was dabei vergessen wird ist die Frage, ob die zukünftige Präsidentin oder der zukünftige Präsident diese Massnahmen auch effektiv umsetzt, wenn sie oder er an der Macht ist? Schliesslich wählen die US-Bürgerinnen und -Bürger nicht nur die nächste Präsidentin oder den nächsten Präsidenten, sondern auch einen neuen Kongress. Je nach dessen Zusammensetzung dürften sich viele der vorgeschlagenen Massnahmen im derzeitigen Umfang als politisch nicht umsetzbar erweisen.
Nach den Wahlen wird der Kongress die Rolle des "strengen Elternteils" einnehmen und die Ausgaben begrenzen. Besser ordnet man deshalb die Wahlversprechen als kindliche Geburtstagswunschliste ein, anstatt als verlässliche Vorhersage für die zukünftige Politik, denn die Wahlprogramme werden sich sehr wahrscheinlich nie als Ganzes umsetzen lassen. Vielmehr dürften die Vorschläge verwässert werden, vor allem wenn die beiden Kammern des Kongresses mit unterschiedlichen Mehrheiten besetzt sind.
Massnahmen im Steuerbereich wie etwa Harris' Kinderfreibeträge oder Trumps Verlängerung der Steuersenkungen von 2017 erfordern die Zustimmung sowohl des Repräsentantenhauses als auch des Senats. Realistisch ist das nur, wenn beide Kongresskammern und die Präsidentschaft in der Hand derselben Partei sind.
Anders bei den Zöllen: Sie können durch einen Präsidialerlass eingeführt werden. Sowohl Harris als auch Trump sprechen sich für höhere Zölle auf chinesische Güter aus. Trump verspricht Zölle von 60% auf Importe aus China und eine strategische Entkopplung zahlreicher weiterer Aktivitäten. Harris' Vorschläge zu Zolltarifen sind weniger klar. Sie scheinen sich aber im Interesse der nationalen Sicherheit und der militärischen und technologischen Dominanz auf die Beibehaltung der derzeitigen Position zu konzentrieren. Trump möchte zudem alle Importgüter mit einem allgemeinen Zoll von 10% belegen, um die US-amerikanische Industrie zu schützen und wiederzubeleben.
Die LGT hat sich mit der Frage befasst, wie sich die politischen Programme von Harris und Trump auf das Wachstum und die Inflation in den USA auswirken würden. Wir sind der Meinung, dass keines der beiden Massnahmenbündel das BIP-Wachstum der USA wesentlich beeinflussen sollte. Trumps Steuersenkungen könnten die Konsumnachfrage ankurbeln, im Gegenzug dürften höhere Zölle den Verbrauch drosseln und die Wirkung tieferer Steuern neutralisieren. Die Agenda von Harris dürfte das BIP nicht oder allenfalls leicht positiv beeinflussen, da sie keine Steuererhöhungen für Personen mit niedrigen Einkommen beinhaltet.
Die Inflationsentwicklung hängt wesentlich davon ab, welche Teile der jeweiligen politischen Agenda umgesetzt werden. Harris gibt zu verstehen, dass sie die Politik Joe Bidens grösstenteils weiterführen wird, begleitet von einigen Änderungen im Steuerbereich und höheren Sozialausgaben. So liesse sich die Inflation in Schach halten.
Ein ausgeglichener Staatshaushalt erscheint in keiner der beiden politischen Agenden als Priorität.
Wenn Trumps Zollpolitik in vollem Umfang umgesetzt wird, könnte dies den PCE-Index, der die Entwicklung der Konsumausgaben von Privatpersonen und Haushalten misst, um einen ganzen Prozentpunkt erhöhen. Die Tragweite einer solchen Entwicklung wäre erheblich, da der PCE schon heute bei 2.6% und somit über den von der Notenbank angestrebten 2% liegt. Die Berechnung der LGT lässt allerdings potenzielle wirtschaftspolitische Gegenmassnahmen anderer Länder oder auch Währungsschwankungen ausser Acht. Es steht aber ausser Frage, dass ein Anstieg in dieser Grössenordnung die Arbeit der Federal Reserve Bank erheblich erschweren würde.
Die LGT hat sich auch mit den möglichen Auswirkungen der angekündigten Politik von Harris und Trump auf das Haushaltsdefizit befasst. Das Congressional Budget Office (CBO) prognostiziert für die nächsten zehn Jahre ein kumuliertes Defizit in der Grössenordnung von 26 Billionen USD, was einem jährlichen Haushaltsdefizit von 6 bis 7 % des BIP bis 2034 entspricht.
In beiden politischen Agenden geniesst ein ausgewogener Staatshaushalt keine Priorität. Soweit das Programm von Harris bis jetzt bekannt ist, dürfte ihre Massnahmen in etwa haushaltsneutral ausfallen. Noch aber sind viele Punkte unklar und könnten je nach Umsetzung das Haushaltsdefizit weiter erhöhen. Nach unserer Einschätzung dürfte sich der kumulierte Fehlbetrag analog zur CBO-Projektion auf 7% oder leicht darüber belaufen. Aber Achtung: Selbst wenn die Massnahmen haushaltsneutral umgesetzt werden, beträgt das zusätzliche Defizit bis 2034 noch immer rund 26 Billionen USD.
Die Agenda von Trump könnte das Haushaltsdefizit durch die angekündigten massiven Steuersenkungen jährlich um 1 bis 1.5% des BIP erhöhen. Andererseits dürften neue und höhere Importzölle erhebliche Mehreinnahmen bringen - potenziell zwischen 2 und 4 Billionen USD im Verlauf des Jahrzehnts. Auch in diesen Überlegungen sind Gegenmassnahmen anderer Länder nicht berücksichtigt.
Wahlen werden nicht immer durch politische Voraussagen gewonnen oder verloren. Vielmehr können Wahrnehmungen das Blatt durchaus wenden. Die Wirtschaft gehört bis jetzt zu den zentralen Themen des Wahlkampfs. Interessanterweise sind die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nach wie vor unzufrieden, obwohl sich die US-Wirtschaft gemäss den aggregierten Wirtschaftsdaten relativ robust zeigt. Gemäss Umfragen vertraut die Wahlbevölkerung Trump in Wirtschaftsfragen mehr als Harris, auch wenn die Biden-Präsidentschaft ein starkes, aber sehr ungleich verteiltes wirtschaftliches Ergebnis geliefert hat. In sozialen Fragen steht Harris bei den Wählerinnen und Wählern hingegen deutlich höher im Kurs.
Die LGT Experten analysieren laufend die globale Markt- und Wirtschaftsentwicklung. Mit unseren Research-Publikationen zu den internationalen Finanzmärkten, Branchen und Unternehmen treffen Sie fundierte Anlageentscheide.