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Das Monaco des Nordens? Ein Überbleibsel aus dem Mittelalter? Wir beseitigen fünf Missverständnisse über Liechtenstein.
Was als exotisch gilt, ist eine Frage des Kontextes. Die Erfahrung, ohne eigenes Zutun etwas Spezielles zu sein, machen Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner im Ausland andauernd. Kaum haben sie erwähnt, woher sie kommen, packt das Gegenüber überrascht und erfreut einen schon hundertmal gehörten Fragenkatalog aus. Deshalb fühlen sich viele meiner Landsleute beinahe als wandelndes, kleines Liechtenstein-Wikipedia.
Dass Kleinstaaten wie San Marino, Monaco, Malta oder Andorra als exotische Phänomene gelten, ist natürlich wenig überraschend; genauso wie die Erkenntnis, dass viele Klischees nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Aber dennoch: Genau diese Missverständnisse decken die liechtensteinische Identität wohl am besten auf. Wenn wir sie denn auch eingehend analysieren.
Anbei finden sich die fünf grössten Irrtümer über Liechtenstein - sowie ein wahrer Fun Fact am Ende.
Ein erstes verbreitetes Missverständnis ist, Liechtenstein für ein "Monaco der Zentralalpen" zu halten: Die Schönen und Reichen wohnen in ihren Luxusvillen, schwimmen in ihren Pools, gehen an ihre Champagnerpartys. Das entspricht weder der Realität noch dem Liechtensteiner Selbstverständnis.
Anders als etwa Monaco ist und war Liechtenstein über Jahrhunderte ein sehr ländliches Gebiet. Die bäuerlichen Traditionen und Lebensgewohnheiten wurden erst in den letzten Jahrzehnten durch zunehmenden Wohlstand verdrängt. Eine betont bodenständige Mentalität bleibt aber typisch für Liechtenstein.
Den mentalen Wandel "von den Heuwendern zu den Treuhändern" - so der beliebte Spruch - hat die Bevölkerung in Liechtenstein noch nicht überall mitgemacht. Auch wenn die Verklärung dieser Bodenständigkeit manchmal dazu neigt, selbst zum nationalen Mythos zu werden, ist der ländliche Charakter Liechtensteins als Staat ohne Stadt bis heute kaum zu übersehen.
Mit einem zweiten Irrtum kann man sich in Liechtenstein sehr leicht unbeliebt machen. Den Bewohnerinnen und Bewohnern wird nämlich gerne gesagt, dass sie doch "eigentlich" wahlweise Schweizer, Österreicher, manchmal sogar Deutsche seien. Aus geographischer Unkenntnis werden die Liechtensteiner auch oft für Luxemburger gehalten.
Dass diese Bemerkungen nicht gerne gehört werden, hängt damit zusammen, dass die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner meist besser wissen, was sie nicht sind, als was sie wirklich sind. Das typisch Liechtensteinische zu definieren ist gar nicht so einfach. Jedoch ist allen klar, dass es nicht schweizerisch, österreichisch oder deutsch ist.
Diese negative Selbstdefinition hängt sicher damit zusammen, dass die Entstehung Liechtensteins ziemlich zufällig war, wenn man die Geschichte betrachtet. Dass der Kleinstaat heute noch existiert, hatte vor allem geographische und politische Gründe, die ausserhalb des Einflusses seiner Bewohnerinnen und Bewohnern lagen. Einer nationalen Identitätsfindung, einem verbindenden Liechtensteinischen "Wir-Gefühl", hilft das wenig.
Deshalb erfolgt eine Abgrenzung nach aussen gerne über ein Nicht-Dazugehören: weder zur schweizerischen noch zur österreichischen Geschichte.
Wer Liechtenstein für ein "Überbleibsel" längst vergangener Zeiten hält, sitzt einem dritten Irrtum auf. Zunächst einmal deshalb, weil nach dieser Logik nur grosse oder zumindest grössere Staaten "modern" sein könnten. Ein solches Denken folgt jedoch einer nationalen Vorstellung des 19. Jahrhunderts, die Kleinheit als überkommen und "mittelalterlich" betrachtete. In Wirklichkeit sind jedoch viele Institutionen und Symbole des liechtensteinischen Staates nicht älter als in den anderen europäischen Nationalstaaten.
Wer das über Liechtensteins Hauptstadt Vaduz thronende Schloss betrachtet, blickt nicht auf ein mittelalterliches Gebäude, sondern auf einen romantisierenden Wiederaufbau aus dem frühen 20. Jahrhundert. Auch die Fürstenfamilie lebt nicht seit dem Mittelalter auf dem Schloss, sondern seit ihrem Umzug von Österreich nach Liechtenstein im Jahr 1938. Wer durch die Souvenirläden in Vaduz streift, wird dort mehr von schweizerischem Tourismusmarketing inspirierte Alpenromantik vorfinden als einen realen Blick auf das heutige und vergangene dörflich-ländliche Leben.
Staaten mussten sich in den letzten 200 Jahren häufiger politisch und wirtschaftlich neu erfinden. Das gilt auch für Kleinstaaten.
Viertens gibt es immer wieder viele Missverständnisse über die Monarchie in Liechtenstein. 2019 feierte das Land sein 300-jähriges Jubiläum, und damit die Erhebung zum Fürstentum im Jahr 1719. Die Existenz des Staates ist also eng mit der Monarchie verknüpft, was deren hohen symbolischen Stellenwert erklärt und auch ein wesentlicher Grund ist, warum sie eine sehr breite Unterstützung geniesst.
Das macht Liechtenstein aber weder zum absolutistisch regierten Staat, noch negiert es seine demokratischen Traditionen. Für Belustigung sorgt gerne der Spruch "Für Gott, Fürst und Vaterland", der manchmal in Liechtenstein auf Autoaufklebern prangt oder am Staatsfeiertag mit Pyrotechnik an die Mauer des Schlosses in Vaduz geschrieben wird. Genau dieser Spruch verweist aber auf den symbolischen Charakter der Monarchie, denn er wurde insbesondere in den 1930er- und 40er-Jahren populär, als er als Parole gegen NS-Propaganda eingesetzt wurde.
Fürst und Monarchie wirken ausserordentlich identitätsstiftend im Kleinstaat Liechtenstein, weshalb diese Institutionen auch immer wieder leidenschaftlich verteidigt werden.
Der fünfte Irrtum über Liechtenstein hat wieder mit dem Verhältnis zur Schweiz zu tun. Gerne wird insbesondere von Schweizern gescherzt, Liechtenstein sei doch eigentlich der 27. Kanton des Landes. Auch wenn mit der Zoll- und Währungsunion natürlich eine enge politische und wirtschaftliche Verbindung zur Schweiz besteht, trifft diese Vorstellung nicht die Realität.
Der Vorwurf ist alt: Bis zum Ersten Weltkrieg wurde Liechtenstein gerne als "Annex" Österreich-Ungarns beschrieben. Die liechtensteinische Aussenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg ist aber ein guter Gegenbeweis zu dieser Annahme. Aussenpolitik im Kleinstaat wurde seither vor allem als Souveränitätspolitik verstanden, die auch die eigene nationale Identität stärken soll. So war Liechtenstein früher als die Schweiz UNO-Mitglied und ist als Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auch besser in Europa integriert als sein westliches Nachbarland. Das soll die Bedeutung der Partnerschaft zur Schweiz nicht kleinreden, aber der Eidgenossenschaft beitreten will in Liechtenstein kaum jemand.
Im Internet kursierte einmal der Fun Fact, dass Liechtenstein in seinem letzten Krieg im Jahr 1866 mit 80 Soldaten auszog. Und mit 81 zurückkehrte.
Die Geschichte ist ausnahmsweise kein Irrtum, sie ist tatsächlich wahr: Ein mitmarschierender österreichischer Leutnant ist zu skurrilem Nachruhm gekommen. Bei Liechtenstein-Fragerunden im Ausland macht sich solch ein Wissen ganz gut.
Titelbild: © Keystone/Evan Agostini/Invision/AP
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