- Home
-
Private Banking
-
Market View & Insights
In Saudi-Arabien mitten im Ramadan ein Geschäftsvisum zu beantragen ist kein Honigschlecken. Über die Hürden des Business zwischen den Kulturen und neue Bedeutungen des Wortes "Inschallah".
Vor vielen Jahren wurde Yang Soo Kim gebeten, für seinen bald aus Seoul anreisenden Chef ein Visum zu beantragen. Für Führungskräfte in einem internationalen Unternehmen war das eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch am Wohnort des Südkoreaners stellte sich die Sache anders dar. Denn Kim lebte zu dieser Zeit nicht in ihm vertrauten Gegenden wie Taipeh oder Tokio, sondern in Saudi-Arabien. Und die Dinge liefen aus dem Ruder.
Die Reise des Vorgesetzten fiel in den Ramadan - eine Zeit, in der die saudische Bürokratie fast zum Stillstand kommt. Es half Kim auch nicht weiter, bereits lange genug im Nahen Osten gelebt zu haben, um über die recht entspannte Art der Menschen in seinem Gastland Bescheid zu wissen. "Überhaupt kein Problem! Inschallah!" Mit diesem arabischen Begriff, der "so Gott will" bedeutet, quittierte der Beamte in der Visastelle seinen Eilantrag. "Ich verstand, was das hiess, nämlich nein", so der Südkoreaner.
Kim, der heute als Professor für interkulturelle Kommunikation an der Middle Tennessee State University lehrt, war mit Entlassung gedroht worden, falls er das wichtige Visum nicht besorgen konnte. Deshalb legte er sich ins Zeug: Zwei Stunden lang schmeichelte er dem Beamten, diskutierte mit ihm und bettelte um die Bearbeitung des Antrags. Schliesslich erhielt er die feste Zusicherung, das Dokument werde rechtzeitig vorliegen - was dann tatsächlich der Fall war. "Sie dachten wahrscheinlich, ich sei ein verrückter Koreaner", erinnert sich Kim an diese Erfahrung - und gesteht nach einer kurzen Pause, dass er umgekehrt dasselbe von seinem Gegenüber gedacht habe.
Den meisten Geschäftsleuten dürfte ein solch dramatischer Kulturclash, wie ihn der gut organisierte, aber gestresste Koreaner Yang Soo Kim in der gelassenen arabischen Welt erlebt hat, zwar erspart bleiben. Aber angesichts eines Welthandelsvolumens von USD 28,5 Billionen im Jahr 2021 stellt sich durchaus die Frage, was Berufstätige konkret tun sollten, um mit fremden Kulturen zurechtzukommen. Und vielleicht unterscheiden sich die Provinzämter dieser Welt - einmal abgesehen vom geschilderten Visa-Drama - ja weniger stark voneinander, als wir denken?
Die Geschäftsbeziehungen werden immer internationaler, und dasselbe gilt für die Unternehmenskulturen. Laut einer kürzlich durchgeführten Studie von Technavio, einem führenden globalen Marktforschungsunternehmen, wird der weltweite Markt für interkulturelles Training bis 2027 voraussichtlich um 7,05% pro Jahr wachsen. Dies entspricht einer Zunahme des Marktvolumens um mehr als USD 1,8 Milliarden.
Dieser Trend spiegelt sich auch in den Gesprächen, die Fachleute mit Führungsverantwortlichen geführt haben. In den letzten Jahrzehnten haben sich viele Diskussionen in den Führungsetagen darum gedreht, "wie bedeutend internationale Kulturunterschiede sind", sagt der auf Unternehmenskultur spezialisierte Professor Vasyl Taras von der University of North Carolina.
Vom blossen wirtschaftlichen Druck einmal abgesehen: Wenn 99 der 100 grössten US-Industrieunternehmen mittlerweile Produkte im Ausland herstellen (lassen) und Marken wie Heineken und Subway bereits über Falschinformationen hinsichtlich der dort herrschenden kulturellen Usanzen gestolpert sind, ist dieses grosse Interesse verständlich.
Taras unterstreicht zum einen den zunehmenden Fokus auf das Thema "Sensitivität" im Geschäftsleben. Zum anderen können Mitarbeitende dank Zoom nun Erfahrungen mit fremden Gepflogenheiten machen, ohne dabei das eigene Haus zu verlassen. Und das ist alles andere als ungewöhnlich: Eine aktuelle Untersuchung hat ergeben, dass 89% der Angestellten "zumindest gelegentlich" virtuelle Projekte mit ausländischen interkulturellen Kolleginnen und Kollegen abwickeln.
Die praktischen Folgen eines kulturellen Ausrutschers können gravierend sein - und sogar schlimmer als ein nicht erhaltenes Visum. Diese Erfahrung musste ein amerikanischer Geschäftsmann machen, der eine chinesische Delegation im Rahmen einer bevorstehenden Vertragsunterzeichnung eingeladen hatte. Beim festlichen Dinner, das aus diesem Anlass abgehalten wurde, lud er sein Gegenüber dazu ein, sich einen beliebigen Sitzplatz auszusuchen. Die Gäste fühlten sich gekränkt, weil sie nicht nach ihrer jeweiligen Stellung platziert wurden. Sie reisten ab, ohne den Vertrag zu unterzeichnen.
Die Äusserungen des KLM-Chefs führten zum Scheitern der Übernahme, wodurch dem Unternehmen 250 Millionen Euro entgingen.
Auch Humor kann problematisch sein. Als es 1999 um die Übernahme der italienischen Alitalia ging, ignorierte der frühere CEO der holländischen Fluglinie KLM die subtilen kulturellen Unterschiede zwischen Italien und den Niederlanden, als er scherzhaft bemerkte: "Die Holländer mögen italienische Pizza und die Italiener mögen holländischen Fussball." Es war keine gute Idee, die sportliche Leistungsfähigkeit der Azzurri infrage zu stellen. Die Äusserung führte zu einem Eklat und zum Scheitern der Übernahme, wodurch KLM letztlich EUR 250 Millionen entging.
Diese Missgeschicke zeigen: Wer sein Publikum einschätzen kann, bevor er den Mund aufmacht, hat gute Chancen auf ein langfristiges Miteinander. "Ich rate generell dazu, keine Witze zu machen, wenn Sie die Kultur nicht verstehen" empfiehlt Firmencoach Chris Smit Geschäftsleuten, die viel auf ihren Humor halten. Dieser Grundsatz lässt sich natürlich auch auf andere Lebensbereiche übertragen.
Wie das chinesische Bankett-Debakel zeigt, können die internationalen Unterschiede im Geschäftsleben sehr subtil sein. Smit veranschaulicht dies am Beispiel der Kunden- bzw. Besuchergeschenke. Während die französischen Geschäftsleute zur Pflege von Beziehungen gerne auf Wein zurückgreifen, bevorzugen indische Unternehmerinnen und Unternehmer Whisky - und zwar teuren Whisky. Und ein Geschenk, das in Holland vor dem Beginn von Vertragsverhandlungen überreicht wird, könnte dort leicht als Bestechungsversuch interpretiert werden. Geschäftsleute aus anderen Ländern sehen das nicht unbedingt so.
Die wenigsten Topmanager werden sich in Anthropologen verwandeln können - also, was tun? Vielleicht kann es hilfreich sein, sich kulturelle Klischees bewusst zu machen, um derartige Fallstricke zu vermeiden.
Kim weist zum Beispiel darauf hin, dass seine koreanischen Landsleute bei der Arbeit viel Wert auf persönliche Beziehungen legen. Deswegen könne der Vorschlag, zwischen befreundeten Geschäftspartnern einen förmlichen Vertrag abzuschliessen, leicht als Beleidigung wahrgenommen werden. Die vertragsfokussierten Europäerinnen und Europäer hingegen würden auf einer schriftlichen Vereinbarung bestehen. Und laut Kim kommunizieren Menschen aus Korea - und dem Grossteil Ostasiens - weniger direkt. Deswegen falle es einem ausländischen Management mitunter schwer, die Wahrheit über die tatsächlichen Fortschritte eines Projekts herauszufinden.
Einige der Klischees schlagen sich deutlich in den Statistiken nieder. So ergab eine Studie aus dem Jahr 2020, dass rund 24% der Befragten aus dem Nahen Osten grossen Wert auf Autorität am Arbeitsplatz legen. Osteuropäern scheinen derweil Handlungsbereitschaft und Geschäftskontinuität wichtig zu sein, während Südamerikaner das offenbar lockerer sehen.
Diese Unterscheidungen sind allesamt nicht aus der Luft gegriffen, und auch allgemeine Klischees haben einen realen Hintergrund. Doch Taras meint, dass die verbindenden Gemeinsamkeiten viel stärker ins Gewicht fallen würden. "Das Protokoll kann unterschiedlich sein", sagt der Universitätsprofessor, "doch seine Auswirkungen auf das Verhalten am Arbeitsplatz erscheinen mir eher übertrieben." Vor allem in unserer globalisierten Welt würden sich persönliche Eigenheiten wie Zuspätkommen oder Rechthaberei laut jüngsten Forschungserkenntnissen oft viel stärker auf das Arbeitsklima auswirken als kulturelle Gräben, so Tara.
Kim argumentiert ähnlich. Ehrlichkeit, Integrität und die Bereitschaft, hart zu arbeiten, seien Eigenschaften, die bei jedem Menschen Loyalität erzeugen würden.
Und was tun, wenn Sie chinesische Sitzordnungen und die indische Begeisterung für Whisky befremdlich finden? Angesichts seiner einschlägigen Erfahrungen in Saudi-Arabien mag es überraschend klingen, doch Kim wirbt für mehr Anpassungsfähigkeit. "Ich habe gemerkt, wie ethnozentrisch ich war", sagt er mit Blick auf seine Auseinandersetzung in der Visastelle. "Das heisst nicht, dass wir bei allem einen Kompromiss eingehen müssen - aber flexibler sollten wir schon sein." Und vielleicht ist Inschallah ja wirklich ein gutes Lebensmotto.