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Market View & Insights
Die Hansestadt umwehen viele Klischees: Arrogant, unfreundlich, unterkühlt. Stimmen sie auch? Jörg Finck von der LGT in Hamburg zeigt, wie die Stadt wirklich tickt.
"Hamburg, das sind rote Backsteinhäuser, die sich im Kanalwasser spiegeln. Hamburg, das ist der Werftarbeiter, der an der Imbissbude neben der Multimillionärin in seine Currywurst beisst. Hamburg, das ist das Willkomm Höft an der Elbe, das jeden einlaufenden Frachter einzeln begrüsst. Hamburg, das sind die Kioskverkäuferinnen, die dich lachend zurechtweisen, dass dir ein "moin moin" ausschliesslich in den dunklen Morgenstunden über die Lippen darf - "für den Rest des Tages sagt man schlicht moin, Mensch!". Hamburg spricht Plattdeutsch, Missingisch, Hochdeutsch, Englisch, Türkisch, Polnisch, Paschtu. Hamburg schlägt Brücken - über 2500. Und wenn du genug hast vom rauen Hafen und endlich im Villenviertel Blankenese - einem ehemaligen Fischerdorf - an der Elbe durch die englischen Parkanlagen und vorbei an den kleinen Bauerngärten schlenderst, die Treppchen und Gassen hoch, dann hinunter zum Elbstrand und hinein in die italienische Bar, dann fragst du dich: "Gibt es eigentlich eine schönere Stadt als Hamburg?" Und die Antwort ist Nein.
Ich lebe nun seit 25 Jahren hier. Damit gehe ich als sogenannter "gemässigter Quiddje" durch. So nennen die Einheimischen die Zugezogenen. Matrosen verwenden den Begriff auch für Landratten. Kein Wunder also ist es ein weit verbreitetes Vorurteil, dass die Hamburgerinnen und Hamburger am liebsten unter sich bleiben. Und ja, es gibt sie noch vereinzelt, die Einheimischen, die neue Bekanntschaften als Erstes fragen, ob ihre Familie denn in Hamburg geboren worden sei (ich verneine jeweils, aber wenigstens kommt meine Familie aus Kiel, da kann ich dialekttechnisch noch auf Wohlwollen zählen), und ob man denn immerhin mit einer Hamburgerin verheiratet sei (ich bejahe jeweils erleichtert). Als waschechter Hamburger gilt man erst ab drei Generationen.
Meiner Erfahrung nach ist diese Hamburger Ablehnung Fremden gegenüber aber vor allem Eines: ein überzeichnetes Klischee - und trifft auf die jungen Generationen nicht mehr zu. Schliesslich ist Hamburg eine Hafenstadt. Früher voller Kaufmannsfamilien und Matrosen, heute voller Expats - wir können gar nicht verschlossen sein. Dass Hamburg so viele Menschen anzieht, überrascht nicht. Denn es ist eine Zukunftsstadt: Wir haben eine starke Wirtschaft, sind einer der grössten Industrie-, Luftfahrt-, Kultur-, Musical- und Medienstandorte Deutschlands. Das zieht Menschen aus der ganzen Welt an.
Dennoch schaut man in Hamburg vor allem in eine Richtung: Nach Norden. "Wenn es in London regnet, spannen sie in Hamburg den Regenschirm auf", höre ich hier immer wieder. Unsere Verbundenheit mit London ist architektonisch - die Backsteinhäuser, die Kneipen, die grossen Kaufmannsvillen mit den englischen Gärten -, sportlich - die beliebtesten Sportarten haben wir alle aus England importiert: Rudern, Segeln, Hockey -, sprachlich - typisch für den Hamburger Dialekt ist das spitze S; so betonen manche "Stein" statt mit dem deutschen "sch" wie das englische Wort "stone" -, musikalisch - die Beatles sind hier das erste Mal ausserhalb der UK aufgetreten, im Rotlichtviertel St. Pauli bei der Reeperbahn - und auch im Umgang: Wie die Kolleginnen und Kollegen auf der Insel mögen wir keine Übertreibungen. Wenn uns etwas begeistert, ist das Zeichen der höchsten Anerkennung ein "nicht schlecht". Kann schon sein, dass das bei anderen als unterkühlt rüberkommt - wir sind aber nicht unfreundlich, nur direkt.
Haben Sie bemerkt, dass Hamburg keine Prachtboulevards, kein altehrwürdiges Opernhaus, keinen Palast und keine Schlösser hat? Auch das zeichnet uns aus: Hamburg ist eine Hansestadt (daher das Autokennzeichen "HH" für Hansestadt Hamburg). Wir hatten weder Königinnen noch Herzoge. Wir sind eine Stadt der Kaufmannsfamilien, der Seefahrer, der Händler. Ich glaube, das ist mit ein Grund, warum Hamburg die höchste Stiftungsdichte in Deutschland aufweist: Die Menschen konnten nie auf jemanden "dort oben" zählen, der alles richtet. Sie mussten schon immer selbst Hand anlegen, fühlen sich der Stadt gegenüber verantwortlich. Wenn man es sich leisten kann, ist es für Hamburgerinnen und Hamburger selbstverständlich, dass man sich philanthropisch engagiert, dass man der Gemeinschaft etwas zurückgibt, dass man der Stadt Sorge trägt.
Diese Hamburger Eigenverantwortung, diese Selbstständigkeit, diese Bescheidenheit verkörpert ein Mann wie kein zweiter: Helmut Schmidt, von 1974 bis 1982 Deutscher Bundeskanzler, in Hamburg geboren, in Hamburg gestorben. Während der furchtbaren Hamburger Sturmflut 1962, der mehr als 300 Menschen zum Opfer fielen, war er hier Senator. Und wurde plötzlich zum Krisenmanager. Er organisierte den Grosseinsatz der Polizei, der Rettungsdienste, des Katastrophenschutzes, spannte sogar die Bundeswehr und die Alliierten ein. Damit hat er viele Menschenleben gerettet. Auf seinen Verdienst, ja seinen Heldenstatus angesprochen, meinte er nur, "alles Quatsch. Ihr hättet auch so reagiert". Manche dachten, er wäre arrogant, aber er war einfach nur cool, unaufgeregt, pragmatisch.
Wie unsere Stadt halt."
… sing: "Livin’ in Hamburg" von Hamburger Arroganz. Köstliche Selbstironie – "denn hier bin ich cool, hier darf ich's sein".
… eat: Labskaus – da wagen sich aber die wenigsten Touris ran. Das sind gestampfte Kartoffeln und gepökeltes Fleisch, das früher den zahnlosen Matrosen als Proviant diente. Eine süsse Alternative sind Franzbrötchen zum Kaffee; eine Art Croissant mit Zimt.
… drink: Astra Bier oder Helbing; ein Kümmelschnaps, den es nach dem Essen gibt.
… say: "Wat mutt, dat mutt". Eine plattdeutsche Redensart, in etwa "Was sein muss, muss sein". Dieser Ausspruch ist typisch für den Pragmatismus der Hansestadt: Jammern wir nicht lange rum, packen wir es an. So schliessen wir auch oft unsere Meetings ab.
… know: Helmut Schmidt und Udo Lindenberg.