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Market View & Insights
Luft gibt es gratis - aber saubere Luft kostet, und zwar viel. Wir haben den ehemaligen Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, zum Thema "Finanzierung des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft" und zu den beträchtlichen Vorteilen der Dekarbonisierung befragt - sofern diese Transition gelingen wird.
Mark Carney, welche Rolle spielt die Finanzindustrie im Kampf gegen den Klimawandel?
Die Finanzwirtschaft fungiert als Katalysator für den Klimaschutz. Sie ist eine Wegbereiterin, die sich an einer glaubwürdigen staatlichen Klimapolitik und an der Dynamik innovativer Unternehmen und Geschäftsideen ausrichten sollte. Damit wir das Netto-null-Ziel erreichen, muss die Finanzindustrie die Transition in allen Wirtschaftssektoren fördern. Das setzt voraus, dass Unternehmen und Finanzinstitute die Chancen und Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel kennen und den Übergangsprozess umsichtig planen, um die Chancen zu nutzen und die Risiken zu meistern
Wenn das gelingt, können wir zum Aufbau eines Finanzsystems beitragen, das den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft vorantreibt und selbst davon profitiert - indem es Wachstum fördert und Arbeitsplätze schafft, während es dafür sorgt, dass die Emissionen sinken.
Wie können sich private Anlegerinnen und Anleger hier engagieren?
Die 2021 gegründete Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ), ein Zusammenschluss von Finanzinstituten, die sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben haben, vereint inzwischen mehr als 675 Finanzinstitute, die sich für das angestrebte Netto-null-Ziel einsetzen. Als Mitglieder der GFANZ haben diese Institute einen hohen Anspruch für die Finanzindustrie formuliert und sich ehrgeizige Zwischenziele gesetzt.
Alle Unternehmen und Finanzinstitute müssen im Rahmen einer eigenen Strategie darlegen, wie sie ihre Ziele erreichen und den Übergang zu Netto null schaffen wollen. Von der GFANZ eigens entwickelte Leitlinien sollen ihnen bei der Erstellung solider Pläne zur Einhaltung ihrer Netto-null-Zusagen und bei der einheitlichen Messung ihres Erfolgs helfen. So können die Finanzinstitute ihre jeweilige Klimastrategie auf die allgemeine Unternehmensstrategie abstimmen und die für das Erreichen ihrer Ziele notwendigen operativen Anpassungen vornehmen.
Wie bewerten Sie die von der Finanzbranche bereits eingeleiteten Massnahmen und Initiativen? Sind wir auf dem richtigen Weg?
Wie der jüngste UN Global Stocktake zeigt, nehmen die Emissionen weiter zu. Der Handlungsbedarf ist daher grösser denn je. Es gibt aber auch deutliche Anzeichen für Fortschritte. Seit Gründung der GFANZ im Jahr 2021 haben die Investitionen in saubere Energien um ein Drittel zugenommen - laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) auf USD 1.8 Billionen im Jahr 2023. Dieser Wandel dürfte sich noch beschleunigen, wenn die mehrere hundert Milliarden schweren Anreizprogramme des "Inflation Reduction Act" in den USA und des Netto-Null-Industrie-Gesetzes der Europäischen Kommission in Europa zu wirken beginnen.
Die Finanzinstitute formulieren zur praktischen Umsetzung ihrer langfristigen Netto-null-Pläne branchenbezogene kurzfristigere Ziele auf der Grundlage von Transitionsplänen, die ihnen beim Erreichen dieser Ziele helfen sollen. Die GFANZ geht davon aus, dass Finanzinstitute im nächsten Jahr rund 250 solcher Netto-null-Transitionspläne veröffentlichen werden. Diese sollen ausführlicher und transparenter darlegen, wie die Institute ihre Strategien umzusetzen gedenken und welche Erfolge sie verzeichnen.
Ausserdem unterstützt die GFANZ das Climate Data Steering Committee (CDSC) beim Aufbau einer offenen Klimadatenbank, der "Net-Zero Data Public Utility". Anhand dieser frei zugänglichen, zentralen Emissionsdaten lassen sich die Fortschritte der Finanzbranche und der von ihr unterstützten Unternehmen leichter verfolgen.
Wo sind weitere Anstrengungen nötig?
Während die Energie- und die Logistikbranche bereits beachtliche Erfolge vorweisen können, werden andere, emissionsstärkere Branchen - etwa die Stahlindustrie, die Luftfahrt oder die Zementindustrie - mehr Unterstützung benötigen. Wir arbeiten an einem Rahmen für eine Übergangsfinanzierung, die Investitionen in Unternehmen fördert, die sich auf den Übergang zu Netto-Null-Emissionen vorbereiten, und Anreize für die vorzeitige Stilllegung von nicht umrüstbaren Anlagen mit hohem Schadstoffausstoss wie Kohlekraftwerke sowie für klimaschonende Lösungen schafft.
Die Finanzwirtschaft nimmt eine Vorreiterrolle ein, ist aber auf politische Massnahmen angewiesen.
Damit auch Schwellenländer ihre Emissionen verringern und sich nachhaltig entwickeln können, muss weitaus mehr Kapital zur Verfügung gestellt werden. Private Anlegerinnen und Anleger werden sich nur engagieren, wenn die Anlagerisiken verringert, günstige Voraussetzungen für die Projektentwicklung geschaffen und technische Kapazitäten im Markt aufgebaut werden. Ausserdem braucht es neue Wege, um öffentliche Gelder so zu verwenden, dass sie ein Mehrfaches an Mitteln aus dem Privatsektor freisetzen.
Dazu bedarf es vor allem einer verstärkten Zusammenarbeit des öffentlichen Sektors mit der Privatwirtschaft, damit die Hürden für Investitionen in eine kohlenstoffarme Zukunft beseitigt werden. Die Finanzwirtschaft ist eine Wegbereiterin, doch sie ist auch auf politische Massnahmen angewiesen, die zu den ehrgeizigen staatlichen Zielen passen.
Was ist Ihrer Meinung nach derzeit die vielversprechendste klimarelevante Entwicklung im Bereich der privaten Finanzierungen?
Es gibt aktuell zahlreiche Initiativen zur Planung der Transition: In den USA hat das Finanzministerium gerade seine "Principles for Net-Zero Financing & Investment" - freiwillige Grundsätze für Finanzierungen und Anlageprodukte, die das Netto-null-Ziel unterstützen - veröffentlicht. Das zeigt, wie wichtig es für Finanzinstitute ist, einen Plan für den Übergang zu Netto null zu entwickeln und ihre Zusagen mithilfe entsprechender Finanzierungsstrategien einzuhalten.
Bei den Regulierungen gibt es ebenfalls spannende Entwicklungen: Die EU hat soeben beschlossen, dass Unternehmen Transitionspläne erstellen und umsetzen müssen, in Singapur und im Vereinigten Königreich wird zurzeit die Einführung einer obligatorischen Transitionsplanung diskutiert. Die jüngste Veröffentlichung der endgültigen, auf den Empfehlungen der TCFD [Task Force on Climate-Related Financial Disclosures] basierenden Offenlegungsstandards für klimarelevante Informationen durch das ISSB [International Sustainability Standards Board] ist ein wichtiger Meilenstein in diesem Prozess.
Der Klimawandel trifft vulnerable Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern besonders hart. Wie kann die UNO gewährleisten, dass die Bedürfnisse und Sichtweisen benachteiligter Regionen bei der Klimafinanzierung und der Umsetzung von Klimamassnahmen berücksichtigt werden?
Wir wissen, dass noch viel mehr Kapital in Schwellen- und Entwicklungsländer fliessen muss, damit diese Länder und Gemeinschaften die Chancen der Dekarbonisierung nutzen können.
Damit dies gelingt, müssen wir unbedingt das Fachwissen und die Erfahrung vor Ort nutzen und alle wichtigen Anspruchsgruppen an einen Tisch bringen. Ein Beispiel für diese Bestrebungen sind die "Just Energy Transition Partnerships": Sie bringen Regierungsmitglieder auf nationaler und internationaler Ebene sowie öffentliche und private Geldgeber zusammen, damit sie unter Beteiligung der örtlichen Bevölkerung die komplexe Aufgabe der Energiewende gemeinsam angehen. Die Hoffnung ist, dass wir mithilfe solcher Partnerschaften Lösungen entwickeln, die eine schnelle, bezahlbare Transition der Energiesysteme ermöglichen und gleichzeitig das Wachstum und die lokalen Gemeinschaften fördern.
Wie passen kleine Firmen in dieses Bild?
Kleine Firmen sind unverzichtbar - alle Unternehmen müssen ihren Beitrag zur Erreichung des Netto-null-Ziels leisten. In vielen Ländern werden grosse Unternehmen Transitionspläne entwickeln müssen, die ihnen die Offenlegung und Reduzierung der Emissionen, welche im Rahmen der eigenen Geschäftstätigkeit sowie entlang ihrer Lieferketten entstehen, vorschreiben. Das schafft einen Anreiz, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die weniger Treibhausgase emittieren, und in die Dekarbonisierung kleinerer Unternehmen innerhalb der Lieferketten zu investieren. Und dieser Anreiz ist ziemlich stark. Er kann einen Abwärtstrend der Emissionen in einzelnen Volkswirtschaften aber auch weltweit in Gang setzen.
Wie wird sich die Klimafinanzierung im kommenden Jahrzehnt entwickeln?
Ich hoffe, dass sich die Energiewende durchsetzt und die Klimafinanzierung skaliert wird, um die für den Umbau unserer Volkswirtschaften notwendigen Mittel zu mobilisieren. Ebenso hoffe ich, dass die neuen Finanzierungsmechanismen greifen, die den Schwellenländern ausreichende Mittel an die Hand geben. Das alles muss in den nächsten fünf bis sechs Jahren geschehen, nicht erst im nächsten Jahrzehnt.
Im Kampf gegen den Klimawandel ist es eine unserer wichtigsten Aufgaben, Fragen zu stellen.
Die Dekarbonisierung ist tatsächlich die Chance unseres Jahrhunderts, um eine neue, saubere Wirtschaft zu etablieren. Daher hoffe ich, dass Klimafinanzierung im kommenden Jahrzehnt nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein wird.
Was raten Sie anderen, die sich auch für den Klimaschutz engagieren möchten?
Wir alle müssen bei diesem Übergang eine Rolle übernehmen. Zu unseren elementarsten Aufgaben gehört es, Fragen zu stellen. Wie steht die Bank, die unser Geld verwaltet, zum Klimawandel? Wie gut schneidet sie in Bezug auf die Dekarbonisierung ab? Wenn Ihnen die Antwort nicht gefällt, vertrauen Sie Ihr Geld einem anderen Finanzinstitut an, das sich für zukunftsgerichtete Lösungen stark macht.
Welche Aspekte des Klimawandels müssen noch stärker ins Zentrum der Politik rücken?
Wir brauchen öffentliche Massnahmen, die im Einklang mit den staatlichen Zielen stehen. Mit der aktuellen Klimapolitik können wir die Erderwärmung bei 2.4 Grad halten; wir haben uns jedoch auf das Ziel von 1.7 Grad verpflichtet. Durch Programme wie den "US Inflation Reduction Act" und "RePowerEU" wurden bereits neue steuer- und industriepolitische Weichen gestellt, doch wir wissen, dass das nicht ausreicht.
Politische Entscheidungsträger, Regulierungsbehörden und Instanzen, die Standards definieren, sind auch aufgefordert, sich für strengere Offenlegungsvorschriften und mehr Transparenz einzusetzen. Die TCFD ist ein gutes Beispiel dafür, wie das aussehen kann: Mithilfe dieser Task Force hat die Finanzbranche ein freiwilliges Rahmenwerk für die Offenlegung von klimabezogenen Finanzrisiken geschaffen, das inzwischen in mehreren Ländern Gesetzesform angenommen hat und als wesentlicher Bestandteil des ISSB bis Ende 2024 für rund 130 000 Unternehmen verpflichtend werden könnte.
Werden wir das im Pariser Abkommen formulierte 1.5-Grad-Ziel erreichen?
Der Global Stocktake der Vereinten Nationen hat deutlich gezeigt, dass uns für das Erreichen des 1.5-Grad-Ziels nur ein enges Zeitfenster bleibt. Letztlich zählt jede Stelle hinter dem Komma. Je weniger sich die Erde erwärmt, umso tiefer werden die Kosten der konkreten Auswirkungen sein und umso grösser die Vorteile im Zuge der Transition. Wir gewinnen erheblich, wenn wir Pariser Abkommen einhalten: es gibt mehr Jobs, mehr Wachstum und resilientere Volkswirtschaften.
Zur Person
Mark Carney ist Co-Vorsitzender der GFANZ, Vorsitzender von Brookfield Asset Management und Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für Klimawandel und Finanzen. Von 2013 bis 2020 war er Gouverneur der Bank of England und von 2008 bis 2013 Gouverneur der Bank of Canada. In seiner Rolle als Zentralbanker war Mark Carney von 2011 bis 2018 Vorsitzender des Financial Stability Board.
Vor seiner Tätigkeit als Gouverneur arbeitete Mark Carney bei Goldman Sachs und im kanadischen Finanzministerium. Mark Carney erlangte einen Doktortitel und einen Master-Abschluss an der Universität Oxford sowie einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Harvard.
Mark Carney war einer der Redner an der ersten LGT Klimakonferenz im Oktober 2023. An dieser Konferenz kamen führende Expertinnen und Experten zusammen, um zentrale Fragen zu erörtern, Ideen auszutauschen und mögliche Massnahmen für den dringlichen Kampf gegen den Klimawandel zu definieren. Die LGT Klimakonferenz zeigte auf, wie Anlegerinnen und Anleger einen wirksamen Beitrag zu einer nachhaltigeren Zukunft leisten können und welche Risiken und Chancen damit verbunden sind. Die nächste LGT Klimakonferenz findet im Oktober 2024 in Singapur statt.
Nachhaltig denken, wirtschaften und investieren sind elementare Teile unserer DNA. Unsere Eigentümerin, die Fürstenfamilie von Liechtenstein, hat früh erkannt, wie wichtig Nachhaltigkeit für unsere Umwelt, Gesellschaft und Zukunft ist. Als familiengeführte und nachhaltige Privatbank engagieren wir uns für das Pariser Klimaabkommen, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und einen nachhaltigen Finanzsektor.