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Market View & Insights
Der Markt für Klimaanpassung wächst schnell, auch dank AI. Doch er steht auch so einigen Herausforderungen gegenüber.
Netto null. Dieser Begriff ist in aller Munde; ob lokal- oder weltpolitisch - zu Recht. Um einen weltweiten Temperaturanstieg um 1.5°C zu vermeiden, muss die Menschheit bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ihre CO2-Emissionen vollumfänglich neutralisieren.
Was dabei oft vergessen geht: Dekarbonisierung ist nicht die einzige Lösung, die Unternehmen in diesem Zusammenhang ins Auge fassen. Immer häufiger fokussieren sie auch auf die sogenannte Anpassung an den Klimawandel, zu Englisch "Climate adaption". Das bedeutet, sich an die Erwärmung mit all ihren Konsequenzen anzupassen: Zuerst erstellt man Prognosen über den wahrscheinlichen Verlauf des Wetter- und Klimawandels, dann ändert man die Geschäftstätigkeit entsprechend.
Der Technologiesektor hat grossen Einfluss auf den Markt der Klimaadaptation. Gestützt auf leistungsstarken Algorithmen bieten verschiedene Unternehmen Prognosen und Erkenntnisse an, die aufzeigen, worauf wir uns einstellen sollten. Natürlich ermöglichen es diese Erkenntnisse den Unternehmen, den heftigsten Effekten des Klimawandels durch Massnahmen entgegenzuwirken, angefangen bei der Verlagerung von Lieferketten bis zur Prävention von Waldbränden. Damit nicht genug: Die Anpassung an den Klimawandel kann sich auch finanziell auszahlen.
Das World Economic Forum geht davon aus, dass der weltweite Markt für derartige Anpassungsmassnahmen schon 2026 zwei Billionen US-Dollar wert sein könnte. Die Umsetzung dieser Massnahmen ist jedoch eine echte Herausforderung: Die Genauigkeit von KI-Modellen sicherzustellen ist bereits eine anspruchsvolle Aufgabe. Noch schwieriger ist es, Rohdaten in umsetzbare Erkenntnisse zu übertragen, vor allem, wenn die zuständigen Personen mit wissenschaftlichen Details nicht vertraut sind - wobei die Klimaanpassung den längerfristigen Wettlauf um die Kühlung des Planeten niemals ersetzen kann, sondern nur ergänzen.
Der Klimawandel ist bereits dabei, ganze Branchen auf den Kopf zu stellen. Nehmen wir zum Beispiel die Agrarnahrungsmittel. Adam Rice, VP Business Solutions bei der ClimateAi-Plattform für Klimaresilienz, sagt, dass Getränkehersteller möglicherweise nicht mehr in der Lage sein werden, genügend Gerste für ihr Bier von Lieferanten zu beziehen, denen sie vertrauen und auf die sie sich verlassen können. Dies wiederum könnte sie dazu zwingen, sich auf den Spotmarkt zu verlassen, was die Klimaprobleme möglicherweise noch verschärft, da sich die Hersteller auf weit entfernte oder nicht nachhaltige Quellen stützen.
Die Agrar- und Ernährungswirtschaft ist nicht der einzige Sektor, der von einem unbeständigen Planeten betroffen ist. Shashin Mishra, Vizepräsident Europe und Middle East beim Softwareunternehmen AiDash, erklärt, wie ein sich veränderndes Klima die Gefahr von Waldbränden oder Stürmen erhöhen kann, und damit beschädigte Infrastrukturen und Versorgungsunternehmen. "Es besteht ein echtes Risiko für das Netz", sagt er, "das gelöst werden muss". Das ist ein gutes Argument. Die Wissensplattform Prevention Web hat herausgefunden, dass Überschwemmungen die Stromleitungen in Grossbritannien zunehmend unterbrechen, und Hitzewellen den Druck weiter erhöhen.
Neben den praktischen Folgen des Klimawandels für die Lebensmittel- oder Energieversorgung gibt es oft auch finanzielle Auswirkungen: Im Lebensmittelsektor warnt Rice, dass sich extreme Wetterbedingungen auf jede Stufe der Lieferkette auswirken, die Preise in die Höhe treiben und Kleinbauern unverhältnismässig stark treffen, während grössere Unternehmen gezwungen sind, über den Spotmarkt mehr zu zahlen. Kein Wunder, dass Ashish Puri, Partner bei der Private-Equity-Plattform Lightrock, davor warnt, dass Unternehmen, die es versäumen, sich an den Klimawandel anzupassen, "in den Ruin getrieben werden könnten."
Mishra warnt davor, dass die traditionellen Lösungen für diese Umwälzungen nicht sehr effizient sind. Um zu erklären, was er meint, kehrt er zum Thema Stromleitungen zurück: Versorgungsunternehmen haben oft Hubschrauber zur Inspektion von Leitungen eingesetzt, die im Tiefflug potenzielle Gefahren erkennen - entweder klimabedingte invasive Bäume oder Stromleitungen, die bei Stürmen durch Äste beschädigt werden können. Aber wenn man nur 45 Meter über dem Boden fliegt, sind natürlich Unfälle möglich. Die alternative Taktik, Mitarbeitende zur Standesaufnahme zu Fuss einzusetzen, ist zwar sicherer, aber auch langsam und teuer.
Der Direktor des Zentrums für Klimaanpassung und Umweltforschung an der Universität Bath, Prof. Kevin Paine, fügt hinzu, dass viele Unternehmen schlicht Schwierigkeiten haben, das Ausmass der klimatischen Herausforderung zu begreifen. Angesichts der Notwendigkeit, riesige Datenmengen zu analysieren, um zu verstehen, wie sich der Temperaturanstieg auf den Planeten - geschweige denn auf konkrete Unternehmen -auswirken könnte, betont Paine, dass "wir nicht genau wissen", wie stark sich das Klima verändern wird. "Klimaanpassung ist so unglaublich komplex, es spielen so viele Parameter eine Rolle", erklärt er. "Es gibt eine Unmenge von Daten, sodass es sehr schwierig ist, sie manuell zu erfassen."
Aufgrund solcher Probleme wollen die Unternehmen so rasch wie möglich mithilfe von maschinellem Lernen herausfinden, was der Klimawandel für ihre Tätigkeit bedeuten könnte und wie sie sich am besten anpassen. Einmal mehr sind die Zahlen aufschlussreich: 87 Prozent der Führungskräfte sind der Ansicht, dass KI im Kampf gegen den Klimawandel ein nützliches Instrument darstellt.
Dies erklärt den Ansturm der Anbieter auf den Markt für KI-gestützte Informationen zum Klimawandel. ClimateAi und AiDash, beide mit Sitz in Kalifornien, gehören zu den prominenteren Informationsanbietern. Es gibt jedoch auch weitere Anbieter, angefangen bei ClimateX und bis hin zu Cervest, auch wenn gewisse Unternehmen vermehrt ins Blickfeld der Anlegerinnen und Anleger gerückt sind. So leitete Lightrock im April 2024 eine Finanzierungsrunde über 58 Millionen US-Dollar für AiDash, zu der auch National Grid, Shell und andere multinationale Unternehmen beitrugen.
Was tun Tech-Unternehmen, ausser für schlagzeilenträchtige Booms zu sorgen? Plattformen lassen sich plausibel in zwei Kategorien untergliedern: Anbieter von kurzfristigen Erkenntnissen und Anbieter, die den Klimawandel über Jahre hinweg erforschen.
Ein Beispiel für die erste Kategorie ist ClimateLens Monitor. Diese von ClimateAi entwickelte Plattform kombiniert staatliche und private Klimadaten und nutzt selbst entwickelte Modelle, um detailgenau zu prognostizieren, an welchen Orten extreme Wetterereignisse eintreten dürften.
Den konkreten Effekt solcher Prognosen illustriert Adam Rice am Beispiel von Hurricanes: Ein US-amerikanischer Hersteller von Dachschindeln stützte sich auf die Prognosen von ClimateAi, führt er aus, um seine Lieferketten vorausschauend so zu organisieren, dass alles für die Reparatur der sturmgeschädigten Wohnhäuser bereitstand. Als der Sturm schliesslich losbrach, zahlte sich dies sowohl in Form von positiveren Kundenerfahrungen als auch in höheren Gewinnen aus.
Um zu erklären, welche konkreten Auswirkungen dies haben kann, verweist Rice auf Wirbelstürme. Er berichtet, dass ein amerikanischer Hersteller von Dachschindeln mit Hilfe der ClimateAi-Prognosen seine Lieferketten im Voraus organisierte und so in der Lage war, beschädigte Häuser in Florida nach dem Sturm schnell zu reparieren - was letztendlich zu einer besseren Kundenerfahrung und höheren Gewinnen für den Hersteller führte.
Eine weitere Plattform, die unmittelbarere Erkenntnisse verspricht, ist das Intelligent Vegetation Management System von AiDash. Es stützt sich auf Satellitenbilder und zeigt auf, welche Bäume jedes Jahr beschnitten werden müssen, um das Bruchrisiko zu verringern, die Sicherheit der Infrastruktur zu fördern, Zeit zu sparen und Ressourcen effizienter einzusetzen. Abhishek Vinod Singh, der CEO von AiDash, macht eine ähnliche Aussage zu Waldbränden. Dank Daten historischer Vorfälle und Wettervorhersagen können Versorgungsunternehmen "sicherstellen, dass sich nicht zu viel trockenes Gras unter der Stromleitung befindet, das eine Entzündung verursachen könnte. Und wenn es einige trockene Gräser gibt, kann man logische Brandgrenzen entwickeln."
Wie die Fallstudie über den Dachschindelhersteller in den USA impliziert, sind proaktive Massnahmen nicht nur geeignet, Katastrophen abzuwenden. Sie ermöglichen es den Unternehmen auch, dem Klimawandel einen Schritt voraus zu sein und ihr Geschäftsmodell zu verfeinern.
Auch wenn die Anbieter sich einen intensiven Konkurrenzkampf liefern, sieht Rice Möglichkeiten für eine weitere Vertikalisierung in sämtlichen Wirtschaftszweigen, in der sich noch mehr Firmen auf noch mehr Nischen spezialisieren. Wenn man sieht, welchen Wert AI-generierte Erkenntnisse von Bergbau bis hin zu Banken liefern, scheint diese Vorhersage realistisch.
Selbst dann ist der Fortschritt allerdings nicht garantiert.
Die offensichtlichsten Hemmnisse sind technologischer Natur. Prof. Paine unterstreicht, dass wir nicht genau wissen, in welchem Umfang sich das Klima in den kommenden Jahren ändern wird. In der Praxis ist das ein Risiko für Investitionen in Klima-Anpassungsmassnahmen, da neue Anhaltspunkte dazu führen können, dass Algorithmen obsolet werden.
Dieses Risiko lässt sich durchlaufende Aktualisierungen der KI mindern. Laut Adam Rice geht es darum, "neue Datensätze zu nutzen und sie erneut in das Modell zu integrieren" - und das ist nicht die einzige technische Herausforderung. Besonders schwierig ist auch die Umwandlung von Rohdaten in für Unternehmen nachvollziehbare Aussagen. Wie Shashin Mishra sagt, betrachten Mitarbeitende KI einfach als eines von vielen Instrumenten, die ihnen die Arbeit erleichtern. Was dahintersteckt, interessiert sie weniger.
Die Lösung liegt in der Entwicklung intuitiver Dashboards, mit denen vielbeschäftigte Unternehmen Klimaerkenntnisse rasch analysieren können. Unternehmen wie AiDash verfügen inzwischen über die erforderlichen Kompetenzen, um die Auswirkungen des Klimawandels elegant in Grafiken darzustellen und zu kartografieren, dennoch gibt es auch andere, grössere Hürden.
Eine von ihnen, sagt Ashish Puri, ist finanzieller Natur. Ungeachtet des in letzter Zeit geflossenen Geldsegens nehmen die Investitionen in Klima-Anpassungsmassnahmen ab, wie er anmerkt. "Im Jahr 2021 stellte die Climate Policy Initiative fest, dass nur sieben Prozent der klimabezogenen Vermögensanlagen auf Investitionen in Klima-Anpassungsmassnahmen entfallen. Das ist eindeutig zu wenig. Zudem weitet sich die Finanzierungslücke im Bereich der Anpassungsmassnahmen aus."
Wie auch immer die unmittelbare Zukunft der Klimaanpassung aussehen mag: Fachleute wie Prof. Paine haben andere, grössere Sorgen. Denn: Wenn sich Unternehmen auf die Anpassung an eine wärmere Umwelt konzentrieren, geben sie dann nicht indirekt zu, dass sie den Kampf gegen den Klimawandel verloren haben? Prof. Paine hält dies für möglich und betont, dass wir "den Klimawandel so weit wie irgend möglich stoppen müssen", von Anpassungen abgesehen.
Aber auch Prof. Paine gibt zu, dass die Erde sich bereits gewandelt hat und dass sie sich selbst dann nicht umgehend erholen würde, wenn wir das Netto-null-Ziel morgen erreichten. Shashin Mishra bei AiDash teilt diese Meinung. Welche Logik auch immer hinter den Investitionen in CO2-Speicher oder Windturbinen steht, die Menschheit benötigt nach wie vor Nahrung, Wasser und Elektrizität. "Diese Versorgung dürften wir nicht gefährden, während wir versuchen, ein grösseres Problem zu lösen", sagt Shashin Mishra. Angesichts der zunehmend düsteren Prognosen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Nahrungssicherheit und zu vielen anderen Folgen wie Überschwemmungen kann man ihm nur beipflichten.
Lightrock investiert direkt in zukunftsorientierte Unternehmen in Afrika, Europa, Indien und Lateinamerika, die drei Investmentthemen verfolgen: "people, planet and productivity/tech for good".