- Home
-
Private Banking
-
Market View & Insights
In unsicheren Zeiten werden Investorinnen und Investoren noch risikoscheuer. Für Startups sind deshalb überzeugende Pitches umso wichtiger. Darauf sollen sie achten.
Im Frühsommer war Mistral AI noch ein unbekanntes französisches Startup. Doch dann sicherten sich seine drei Gründer die grösste Anschubfinanzierung der europäischen Geschichte. Damit war das Unternehmen praktisch über Nacht in aller Munde.
Ist dieses Beispiel nur ein Hype? Mitnichten, wissen Geldgeberinnen und Geldgeber. Zu ihnen zählen renommierte Risikokapitalfonds, Angel Investors und der frühere CEO von Google, Eric Schmidt. Dieses Konsortium stellte schnell 105 Millionen USD zur Verfügung, um das Unternehmen zu unterstützen – auf seinem Weg zur Entwicklung eines Konkurrenzprodukts zu ChatGPT von OpenAI.
Diese Geschichte lehrt uns einiges über das Technologie- und Anlageumfeld im zweiten Halbjahr 2023:
In unsicheren Zeiten steigt die Risikoscheu der Investorinnen und Investoren. Ihr Fokus richtet sich verstärkt auf die Fundamentaldaten der einzelnen Startups, aber auch auf den Charakter der Gründerinnen und Gründer. Das bedeutet: In einer Abschwungsphase zählt Überzeugungskraft mehr denn je. Somit müssen Startups noch überzeugender auftreten und argumentieren, um zu den begehrten Pitch-Präsentationen ihrer Ideen und Produkte, die sogenannten Pitch-Events, eingeladen zu werden.
Was gehört zu einem erfolgreichen Startup-Pitch? In den meisten Fällen kommt es im Endeffekt auf zwei Faktoren an:
Roei Samuel ist Angel Investor und Gründer von Connectd, einer Plattform, die Startups mit Investorinnen und Investoren zusammenbringt. Als er mit seinem ersten - 2019 veräusserten - Unternehmen RealSport an den Start ging, harzte die Mittelbeschaffung. Nicht zuletzt, weil er damals noch Student war.
Connectd will guten Ideen zum Durchbruch verhelfen - auch Startups, die nicht auf ein Netzwerk von vermögenden Familien oder einen begüterten Kollegenkreis zurückgreifen können. Aus Sicht von Roei Samuel vereint ein perfekter Startup-Pitch Kunst und Wissenschaft.
"Mit Kunst meine ich Leidenschaft und Tatkraft. Sie signalisieren der Investorin oder dem Investor direkt, dass die richtigen Leute für die Lösung eines spezifischen Problems vor ihnen stehen. Und: Wer es als Gründerin oder Gründer nicht schafft, sein Publikum zu begeistern, gewinnt weder Kundschaft noch die besten Talente", betont Roei Samuel. "Der wissenschaftliche Teil schliesslich besteht darin zu beweisen, dass Potenzial des Startups und Ertragsprofile realistisch sind."
Investorinnen und Investoren prüfen die Folien und Pitch-Decks der Startups mittlerweile auf Herz und Nieren. Dieses disziplinierte Vorgehen empfiehlt sich auch Jungunternehmen. Kerry Baldwin ist Mitgründerin der Investmentgesellschaft IQ Capital und zuständig für Finanzierungen verschiedener Grössenordnungen - von Seed Capital (Beträge unter GBP 5 Millionen) bis hin zu Volumen von GBP 30 Millionen - und hat sich auf den Bereich Deep Tech spezialisiert. In den letzten 25 Jahren hat sich Kerry Baldwin mit Tausenden von angehenden Gründerinnen und Gründern getroffen. Was ist bei einem Pitch am wichtigsten? Dass man ihr als potenzieller Investorin den Grund für das Treffen deutlich macht, so Baldwin.
"Pitches haben Erfolg, wenn das Startup vor dem Meeting klar herausarbeitet, was sie eigentlich wollen. Das Unternehmen muss beschreiben können, welche Ergebnisse sie mit einer bestimmten Summe erzielen dürften, etwa in diesem Stil: "GBP 6 Millionen wären für uns ideal aus diesen Gründen, mit GBP 4 Millionen könnten wir das Unternehmen auf folgenden Stand bringen." Wir wollen auch wissen, weshalb sie ausgerechnet auf IQ Capital zukommen, und weshalb unser Know-how und unser Netzwerk für sie attraktiv sind", so Baldwin.
Eine weitere erfolgskritische Komponente wird selbst von erfahrenen Unternehmerinnen und Unternehmern gelegentlich vernachlässigt: Jede Unternehmensphase braucht einen anderen Pitch. Wer sich etwa um Seed Capital bemüht, sollte sich auf die Vision und die Vermittlung der einzigartigen Lösung, die das Startup zur Verfügung stellt, konzentrieren. In der Serie A muss ein Pitch aufzeigen, wie ein Unternehmen weitere Sektoren oder Märkte erobern und stetige Erträge generieren kann. In der Serie B stellen sich noch komplexere Fragen, zum Beispiel: Wie werden sich die globalen Trends verändern, und welche Herausforderungen oder Chancen schaffen diese Veränderungen? Ist die Gründerin dann immer noch die geeignete Person, um das Unternehmen zu führen?
"Es ist erstaunlich, wie oft Startups bei ihren Pitches in Serie A oder gar B ihre Vision bewerben, als ob sie sich noch in der Seed-Phase befänden", merkt Kerry Baldwin an. "In Serie A und danach müssen Pitches praxisbezogen sein. Der Machbarkeitsnachweis ist bereits erbracht. Nun versuchen wir, stetige Erträge zu generieren und in weitere Sektoren oder Regionen vorzudringen. Eine Pitch-Präsentation muss das aufzeigen."
Mo El Husseiny ist Gründer und Managing Partner der Investmentgesellschaft Ventura Capital, die sich auf Technologie-Startups vor einem möglichen Börsengang konzentriert. Die Ermittlung der unternehmerischen Leistungsstärke beruht zwar hauptsächlich auf empirischen Erkenntnissen. El Husseiny unterstreicht aber auch die Bedeutung der menschlichen Komponenten bei seiner Arbeit.
"Während eines Pitches beobachtet man die Beteiligten und versucht herauszuarbeiten, was für sie wichtig ist", sagt er. "Man erkennt, was sie motiviert und was für sie zählt. Man verschafft sich einen Eindruck von den potenziellen Schnittstellen oder Divergenzen zwischen den eigenen Prinzipien und Prioritäten und denen der Jungunternehmerinnen und -unternehmer. Ein Investment bedeutet ja oft, dass man sehr viel Zeit mit dem Team verbringen wird, das vor einem steht. Da müssen Sie den menschlichen Aspekt genau im Auge behalten."
Was ist der schlimmste Fehler, der einer Gründerin oder einem Gründer bei einem Pitch unterlaufen kann? Für El Husseiny gehört Unaufrichtigkeit zu den Todsünden: "Wenn jemand einer direkten Frage ausweicht, wenn ich die Wahrheit aus Fragmenten entschlüsseln muss, kann ich mit der betreffenden Person nicht länger zusammenarbeiten. So etwas führt für uns instinktiv zum Abbruch des betreffenden Deals." Und weiter: "Wir sind stolz darauf, dass wir in jeder Phase aus einem Prozess aussteigen können. Bereits entstandene Kosten abzuschreiben ist in jedem Fall besser, als aus Angst an Bord zu bleiben."
In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob die Anlegerinnen und Anleger, die massive Mittel in Mistral AI gesteckt haben, clever oder leichtsinnig waren. Mit seiner Starbesetzung an Gründern verspricht dieses Unternehmen, ein höchst lukratives Segment in einem rapide wachsenden Technologie-Teilmarkt zu besetzen.
Früher oder später wird der Markt in eine neue Phase eintreten, in der das Kapital wieder freier fliesst. Umsichtige Investorinnen und Investoren tun jedoch gut daran, die Lehren aus den aktuell angespannten Zeiten nicht zu vergessen.