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Market View & Insights
Wer hält wem die Türe auf? Wer bestellt im Restaurant? Wer bietet wem das Du an? Und spielen Regeln des Anstands und guten Benehmens heutzutage überhaupt noch eine Rolle?
Umgangsformen unterliegen einem ständigen Veränderungsprozess. Sie entwickeln sich mit dem Zeitgeist, beeinflusst durch gesellschaftlichen, technischen und auch klimatischen Wandel. Welche Richtlinien gelten aber heute noch?
Genauso, wie Firmen mit der "Kill a stupid rule"-Methode Regeln und Abläufe in ihrem Unternehmen in Frage stellen, macht das die Gesellschaft im Laufe der Zeit mit den Regeln und Abläufen der Etikette. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Firmen Neuregelungen bewusst und gezielt einführen. In der Gesellschaft passieren diese Veränderungen hingegen allmählich und nicht nach einem konkreten Plan.
Die Fragestellung ist aber die gleiche: Was wird noch auf eine bestimmte Art und Weise getan, nur, weil es schon immer so gemacht wurde? Von welchen überholten Normen und Regeln sollten wir uns befreien? Was sind die ungeschriebenen Regeln?
Eine Neuregelung der Umgangsformen findet dann statt, wenn die Mehrheit einer Gemeinschaft diese Änderungen als angenehm, respektvoll, sinnvoll und anständig bewertet.
Ein lockerer Umgang und ungezwungeneres Auftreten, wie wir das in den letzten Jahren erleben - Schlagworte wie Du-Kultur, entspanntere Dresscodes, mehr Authentizität, Zoom-Calls - bedeuten allerdings nicht ein Verzicht auf Respekt und gutes Benehmen.
Die moderne Welt macht es zunehmend schwierig, freundlich, wertschätzend, tolerant und rücksichtsvoll zu sein. Wir sind mehr Menschen als je zuvor, aber wir leben immer isolierter und verlernen, die persönlichen Grenzen anderer zu respektieren. Anonymität macht selbstbezogenes Verhalten sehr viel einfacher.
Die Definition von Höflichkeit variiert je nach Strömung und Kultur. Im Kern bleibt sie aber gleich - immer und überall geht es dabei um soziales Einfühlungsvermögen. Dass wir Regeln oder Standards dazu haben und einhalten, hat für die meisten Menschen drei Gründe:
1. Man möchte andere nicht vor den Kopf stossen.
2. Man möchte von einer bestimmten Gruppe in einem bestimmten Umfeld angenommen werden.
3. Man möchte sich nicht blamieren.
Die Zeiten, als ein Mann durch die Türe vorausging, um die Sicherheit der Lage zu überprüfen, sind vorbei. Im Restaurant gilt: Wer einlädt, führt – hält also z.B. die Türe auf und geht den Weg zum Tisch voraus. Egal, ob Mann oder Frau, und egal, ob mit Kunde, Chefin oder Onkel. Nur wenn Sie vom Restaurantpersonal zum Tisch geführt werden, stellen Sie sich als Gastgeber und als Gastgeberin hinten an.
Die Zeiten der absoluten Rechtshändigkeit sind ebenfalls vorbei. Linksesser dürfen ihr Besteck "andersherum" halten und auch das Glas in die linke Hand nehmen. Abgelegt und abgestellt wird aber alles wieder auf der ursprünglichen Seite, um dem Servicepersonal das Leben nicht schwer zu machen, da von rechts eingeschenkt und abgeräumt wird.
In der heutigen Zeit darf man in unserem Kulturkreis den Teller leer essen und muss nicht wie früher einen "Anstandsrest" zurücklassen. Das ist zudem auch angebracht und zu empfehlen, um Food Waste zu vermeiden.
Früher war klar: Der Herr öffnet der Dame die Autotür, rückt ihr beim Platznehmen den Stuhl, steht auf, wenn sie den Tisch verlässt und zurückkommt, er bestellt, er zahlt die Rechnung.
Sie dürfen auch heute noch ein Gentleman der alten Schule sein - aber überlegen Sie bitte, wo und mit wem Sie unterwegs sind. Zum einen prägt Vielfalt den Lebensstil der Moderne und damit auch die Geschlechterrollen. Zum anderen wissen viele Frauen aber auch gar nicht, wie sie solche Gesten souverän annehmen sollen, da sie sie heute nur selten erleben. Es ist wie beim Tanzen: Wenn beide die Grundschritte kennen, kann der gut führende Mann alle möglichen Figuren machen und die wissende Frau schwebt elegant mit ihm übers (gesellschaftliche) Parkett. Wenn aber nur einer von beiden weiss, was er tut und es keine allgemeine Selbstverständlichkeit mehr ist, stolpert man von einem Tanzschritt zum nächsten. Im besten Fall führt das zu gemeinsam fröhlichem Gelächter und im Worst Case endet es in einem peinlichen Desaster.
Diese (den Umständen entsprechend) schönen Gesten eines Gentlemans gehören im Business-Kontext in die Kategorie "Kill a stupid rule": Frauen verhalten sich geschäftlich wie ihre männlichen Kollegen, daher soll man sich aufgrund des Geschlechts nicht mehr unterschiedlich verhalten.
Wer die Führung übernimmt, hängt von Rang und Rolle ab, nicht vom Geschlecht. Die Grundschritte für alle sind dabei Respekt und Wertschätzung.
Gastgeberinnen und Gastgeber helfen ihren Gästen bei der Auswahl, indem sie Empfehlungen abgeben und auch sagen, was sie selbst essen werden. So wissen die Gäste, wie der Rahmen aussieht - in Bezug auf das Budget und die Anzahl der Gänge.
Ist es an der Zeit, Bestellungen aufzunehmen, kann man, muss aber nicht, für seine Gäste bestellen. Was hingegen klar zu den Aufgaben der Gastgeber gehört, ist die Bestellung des Weins.
Das Duzen hat seit den Anfängen der deutschen Sprache verschiedene Stadien durchlaufen. Zwischen Erzen, Ihrzen und Siezen war das Duzen nur bei der ländlichen Bevölkerung und den niederen Ständen üblich, oder es war reine Männersache.
Heute ist es einfach und eindeutig: Im Business schlägt die ranghöhere Person das Du vor. Im Privatleben ist der Altersunterschied entscheidend. Die sechzigjährige Person bietet der dreissigjährigen das Du an.
Ob Mann oder Frau spielt dabei keine Rolle.
Im Grunde sollte man durch höfliches Verhalten weder abfallen noch auffallen. Höflichkeit sollte als Standard angesehen werden, jedoch ist sie nicht immer mit formellem Verhalten verbunden. Ein Gespür dafür zu haben, wie viel Formalität in einer gegebenen Situation mit den unterschiedlichsten Menschen passend ist, kann den feinen Unterschied ausmachen. Daher macht es Sinn, sich immer mal wieder über die aktuelle Etikette zu informieren.