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Analyse der chinesischen Wachstumsschwäche

Chinas Wirtschaft steht vor zahlreichen Herausforderungen, die von Problemen im Immobilien- und Bankensektor bis hin zur allgemeinen Wirtschaftsleistung reichen. Die von den Behörden ergriffenen Massnahmen reichen von der traditionellen Lockerung der Geldpolitik bis hin zu makroprudenziellen Instrumenten, darunter Anpassungen der Hypotheken- und Einlagenzinsen für Hausbesitzer und der Mindestreserveanforderung von Banken bei der Zentralbank. Allerdings wurden die fiskal- und geldpolitischen Massnahmen von den Finanzmärkten bisher mit Skepsis aufgenommen. Dies führt kurzfristig zu Unsicherheiten an den Märkten.

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Autor
Dr. Wolfgang von Hessling, Chief Economist EMEA
Lesezeit
10 Minuten
Strategist China
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Die chinesische Wirtschaft kommt nicht aus den Schlagzeilen. Seit dem zweiten Quartal 2023 kühlt sich die Konjunktur auf breiter Front ab. Dabei sind alle wichtigen Treiber - Investitionen, Konsum und Exporte - zeitgleich betroffen. Während im ersten Quartal 2023 noch Hoffnungen auf einen Aufschwung aufkamen, enttäuschen die seit April veröffentlichten Wirtschaftsdaten. Die Ernüchterung der Anleger zeigt sich in allen Anlageklassen: Chinesische Aktien verloren seit April 5% und schnitten damit schlechter ab als der globale Aktienmarkt, der um rund 7% zulegen konnten. Wenig überraschend gab auch der chinesische Yuan nach und verlor gegenüber dem US-Dollar 5%. Zudem sanken die Renditen von chinesischen Staatsanleihen um 25 Basispunkte auf den niedrigsten Stand seit der Covid-19-Krise. Zu den aktuellen Herausforderungen zählen der strukturell angeschlagene Immobiliensektor, die hohe Verschuldung der Schattenbanken und staatlichen Unternehmen (LGFV), der schwache Binnenkonsum, der sich abkühlende Arbeitsmarkt, die Exportschwäche sowie die geringen Investitionszuflüsse Das Ergebnis ist eine deflationäre Episode in China, die sich in den chinesischen Verbraucherpreisen spiegelt, die im ersten Halbjahr 2023 im Monatsvergleich fünfmal in Folge gesunken sind. Die schleppende Entwicklung der Einzelhandelsumsätze, die im vergangenen Jahr mit einer durchschnittlichen monatlichen Wachstumsrate von 0.1% deutlich unter dem zehnjährigen Schnitt von monatlich 0.6% lagen, verstärken den Gegenwind, dem die Wirtschaft derzeit ausgesetzt ist.

Massnahmen gegen schwaches Wachstum und anhaltende Deflation

Die Reaktion der Regierung auf die wirtschaftliche Schwäche war bisher eher verhalten und enttäuschte Investoren, die auf ein entschlosseneres Handeln gehofft hatten. Die Massnahmen reichen von der traditionellen Lockerung der Geldpolitik bis hin zu makroprudenziellen Eingriffen. Zum einen drängten die Regulierungsbehörden die Banken, die Zinsen für neue Hypothekarkredite zu senken und Spielraum für die Neuverhandlung von Hypothekenzinsen zu schaffen, um die Zinskosten für Immobilienanleger zu senken. Zum anderen wurden die Mindestanzahlungen für Käufer von Erst- und Zweitwohnungen auf 20% bzw. 30% - statt wie bisher 30% bzw. 40% - gesenkt, um den angeschlagenen Immobilienmarkt zu stützen und die Investorenstimmung zu verbessern. Abschliessend senkte die chinesische Zentralbank die von den Banken zu haltenden Devisenreserven von 6% auf 4%, mit dem Ziel, den schwankenden Yuan-Wechselkurs zu stabilisieren.

Politische Massnahmen sind unzureichend

Die ergriffenen Massnahmen dürften verschiedene Aspekte der Konjunkturabschwächung in China adressieren. Allerdings konnten sie das Vertrauen in den Aufwärtstrend der chinesischen Wirtschaft bisher nicht wiederherstellen. Der Mangel an Klarheit über die Situation der überschuldeten Bauträger sowie die höheren Erwartungen an eine Lockerung der Geldpolitik und fiskalische Unterstützung lassen Investoren vorerst an der Seitenlinie verharren.

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