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Nachhaltigkeit

Finanzielle Inklusion Die Rolle der Finanzbranche

Die Finanzbranche kann verschiedene Massnahmen ergreifen, um den Kampf gegen Sklaverei zu unterstützen. Ein Überblick.

Datum
Autor
Maggie Elliott, Gastautorin
Lesezeit
5 Minuten

Das Auge eines Kindes blickt aus einem hölzernen Rahmen.
Ein Viertel der erwachsenen Weltbevölkerung besitzt keine Bankverbindung. Das macht sie zu besonders leichten Opfern moderner Sklaverei. © istock/mmg1design

Ein Viertel der erwachsenen Weltbevölkerung besitzt keine Bankverbindung, hat also keinen Zugang zu formell anerkannten Finanzinstituten wie Banken und Hypothekarkreditgebern. Finanziell ausgegrenzte Menschen leiden häufig unter sozialer Marginalisierung und werden in verschiedener Hinsicht benachteiligt, etwa aufgrund von Armut, geringer formaler Bildung, ihres Geschlechts, ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder einem bestimmten Staat, oder ihres Status als Geflüchtete. Diese Menschen sind besonders leichte Opfer heutiger Sklaverei. 

FAST, das Akronym der Initiative "Finance Against Slavery & Trafficking", wird von zahlreichen Stakeholdern getragen und setzt sich für die Mobilisierung der Finanzbranche gegen moderne Sklaverei ein. Denn Finanzinstitute können im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit, über Verträge oder Beziehungen in Menschenhandel verwickelt werden: Die engen Verflechtungen des Finanzsektors mit der Weltwirtschaft bergen Risiken und Chancen. Der FAST-Initiative soll hierbei eine führende Rolle zukommen, so ihre ambitiöse und innovative Strategie.

"Ein Bankkonto ist etwas Wunderbares"

Erfahrungen einer Person, die Versklavung überlebt hat

"Wer schon immer leichten Zugang zu Bankdienstleistungen hatte, ist sich meistens nicht bewusst, welchen Stellenwert ein Konto für andere Menschen haben kann. Für Leute wie mich, die dem Menschenhandel entkommen konnten, ist ein simples Girokonto der Inbegriff einer Welt voller Chancen. Dieses Konto ist meine zweite Chance - es bietet mir Freiheit und die Möglichkeit, erneut in den Arbeitsmarkt einzutreten.

Finanzielle Inklusion spielt für Überlebende wie mich eine zentrale Rolle. Wenn das Unternehmen, für das ich zuvor arbeiten musste, mir die zur Eröffnung eines Bankkontos erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt hätte, wäre mir mein Lohn direkt auf das Konto statt per Scheck ausgezahlt worden. So hätten sich Lohndiebstähle gegenüber den Behörden leichter nachweisen lassen. Ich erhielt 40 USD pro Woche, mit zahlreichen unbegründeten Abzügen.

Fehlt der Zugang zu grundlegenden Bankprodukten, wird der finanziellen Ausgrenzung Tür und Tor geöffnet. Betroffene Menschen geraten in Gefahr, ausgebeutet und versklavt zu werden."

Zugang zum Finanzsektor als Grundbedürfnis

Doch wie geraten freie Menschen in die Sklaverei? Nicht selten wenden sich Personen ohne Zugang zum Finanzsektor an ungeregelte und unseriöse Kreditgeber, die ihnen Kredit zu exorbitanten Bedingungen gewähren oder sie in eine Schuldknechtschaft zwingen, sodass die Schuldnerinnen und Schuldner ihre Darlehen durch Arbeit zu Niedriglöhnen oder sogar unbezahlte Arbeit abtragen müssen. 

Eine Verkäuferin steht an einer Theke, an der Partyartikel verkauft werden.
Versorgungslücken im Finanzsystem: Mit einem Mikrokredit konnte Guadalupe Perez ihr Geschäft für Partyartikel während der Rezession über Wasser halten. © Ruth Fremson/NYT/Redux/laif

Viele dieser Menschen werden nie in der Lage sein, genug Kapital oder Ersparnisse aufzubauen, um ihre finanzielle Resilienz zu stärken. Auch der Zugang zu staatlich-sozialen Sicherheitsnetzen ist für sie keine Selbstverständlichkeit. Sehr häufig geraten die Überlebenden der modernen Versklavung oder des Menschenhandels in Abhängigkeit von informellen Wirtschaftssystemen und Bargeld-Transaktionen. Damit laufen sie erneut Gefahr, ausgebeutet zu werden.

Finanzielle Inklusion fördert die Krisen-Resilienz von Einzelpersonen und ganzen Gemeinschaften. "FAST arbeitet als Partnerin mit der Zivilgesellschaft, mit Regierungen und zahlreichen anderen Instanzen zusammen, um die Inklusionsziele im Rahmen der UN-Strategie für nachhaltige Entwicklung umzusetzen", erklärt Alice Eckstein, Project Director der FAST-Initiative. "Zahlreiche Ansatzpunkte sollen die Anreize für diese Ausbeutung zunichtemachen; Menschenhändler sollen keinen Profit mehr daraus schlagen können. Wir möchten Wege finden, um die Versorgungslücke im Banking zu schliessen."

In der Praxis bedeutet dies die Förderung einer Reihe von Massnahmen, um proaktiv so viele Menschen wie möglich in das formelle Finanzsystem einzubinden. Zu diesen Ansätzen gehören auch Überlegungen, wie solche Massnahmen über grundlegende Bankdienstleistungen hinaus erweitert werden können und wie sich komplexere Produkte, etwa Kredit-, Spar- und Anlageprodukte - und sogar die Vermittlung finanzieller Kompetenz - in solch ein Angebot einbinden lassen.

Das ist jedoch nur möglich, wenn man genau weiss, wo man ansetzen muss: Was dem Zugang und der Nutzung von Finanzsystemen im Weg, und welche Erfahrungen machen ausgegrenzte Personen?

Verfeinerung der " Know your Customer"-Prinzipien

Eine Frau schaut lächelnd in die Kamera.
Leona Vaughn, FAST Initiative © Shutterstock/Pressmaster

In Grossbritannien, Kanada und den USA haben sich Regulierungsbehörden, Aufsichtsorganisationen und Finanzinstitute im Rahmen der von FAST geleiteten "Survivor Inclusion Initiative" (SII) zusammengeschlossen, um ihre "Know your Customer"-Prozesse zu vereinfachen und manuelle Eingriffe in automatisierten Systemen zu ermöglichen. Diese neuen Ansätze werden in FAST-Briefings hervorgehoben und haben dazu beigetragen, die spezifischen Herausforderungen zu meistern, denen überlebende ehemalige Versklavte häufig gegenüberstehen; so z. B. fehlende Ausweise, Kredithistorien und feste Adressen. Die SII hat über 3000 Überlebenden Zugang zu grundlegenden Bankdienstleistungen verschafft.  

Zudem hat sie eine Reihe von Banken motiviert, ihr Angebot zu erweitern. Einige von ihnen haben Überlebenden auch Finanzwissen vermittelt. Andere haben dafür gesorgt, dass Überlebende Finanzprodukte nutzen können, die ihre Kredithistorie verbessern. Und wieder andere haben sich dafür eingesetzt, sichere und tragbare Kreditlimiten zu schaffen, mit denen Überlebende eigene Unternehmen gründen und Zugang zu Bildung erhalten können.

Finanzinstitute haben die Möglichkeit, bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen innovativ zu sein.

Interessanterweise wurden die "Know your Customer"-Prinzipien in Europa auch als Reaktion auf die Ukraine-Flüchtlinge vereinfacht. Leona Vaughn, Vulnerable Populations Lead bei FAST, erklärt, dass "dies es uns ermöglicht hat, spezifische Prinzipien und Machbarkeitsnachweise zu etablieren, die sich auf andere Jurisdiktionen übertragen lassen." So gewähren sie nun zum Beispiel eine längere Frist für die Einreichung von Identitätsnachweisen, ob durch Identitätskarte, Pass oder andere Dokumente.

Der sozialen Nachhaltigkeit verschrieben

Engagement aus Überzeugung

Sklaverei ist weltweit verboten. Trotzdem leben schätzungsweise 40 Millionen Menschen in moderner Sklaverei. Menschenhandel ist ein Milliardengeschäft. Banken und Finanzinstitute können direkt oder indirekt in solche Machenschaften verwickelt werden.

Um die UNO im Kampf gegen Sklaverei und Menschenhandel aktiv zu unterstützen, hat die Liechtensteiner Regierung 2018 die Liechtenstein Initiative on Finance Against Slavery and Trafficking (FAST) ins Leben gerufen.

Die FAST-Initiative will den Finanzsektor für diese heiklen Themen sensibilisieren und setzt sich aktiv gegen Sklaverei und Menschenhandel ein. Als sozial verantwortungsbewusste Privatbank unterstützen wir als LGT diese Initiative finanziell und ideell.

Aufbau einer robusteren Finanzinfrastruktur

FAST hat sich auch für den Abbau von Barrieren eingesetzt, die nicht nur Individuen, sondern ganze Gemeinschaften betreffen. "In Haiti haben wir uns zum Beispiel damit befasst, dass es viel zu wenige finanzielle Infrastruktur-Einrichtungen gibt. Das gefährdet die ganze Gemeinschaft", sagt Leona Vaughn. "Unsere Recherchen ergaben, dass in diesem Umfeld manche Gemeinschaften in Eigenregie Finanzdienstleistungen organisierten - in Form von gemeinschaftlichen Kreditsystemen und Ressourcenbündelungen. Auf solchen Aktivitäten können Finanzaufsichtsbehörden aufbauen, um robustere Strukturen zu schaffen."

Eine Frau schaut lächelnd in die Kamera.
Alice Eckstein, FAST Initiative

Die Palette von vereinfachten Modellen, einschliesslich einiger äusserst erfolgreicher Konzepte in Lateinamerika, die von Finanzinstituten weltweit bereits umgesetzt worden sind, haben FAST zu Erkenntnissen verholfen, wie finanzielle Hindernisse angegangen werden können. Die entsprechenden Ansätze und Lösungen lassen sich auf andere Kontexte übertragen. "Dies wiederum bedeutet, dass wir der Zivilgesellschaft und den Regierungen dabei behilflich sein können, gezielte Interventionen zur Verbesserung des Zugangs zu Finanzdienstleistungen mit der gebotenen Sorgfalt zu planen - vor allem für marginalisierte und Risikogruppen ", so die Schlussfolgerung von Leona Vaughn.

Sowohl Alice Eckstein als auch Leona Vaughn bestätigen, dass Regulierungen zwar wichtig sind, doch dass Finanzinstitute darüber hinaus auch die Möglichkeit haben, bei der Erbringung, Nutzung und Gestaltung von Finanzdienstleistungen weitere Innovationen vorzunehmen. So lassen sich zum Beispiel durch den Einsatz von Technologie zugänglichere, passendere und günstigere Wege erschliessen, um die finanzielle Gesundheit und Stabilität der Betroffenen zu verbessern. Das Beispiel der digitalen Finanzdienstleister im globalen Süden zeigt zudem, dass Technologie auch eingebettete Finanzdienstleistungen ermöglicht, etwa umlagefinanzierte Zahlungsmodelle für erneuerbare Energiequellen oder mobile Zahlungsoptionen für Krankenversicherungen.

Finanziell zugängliche Überweisungsdienstleistungen

Eine Familie steht an einem Schalter mit der Aufschrift "Western Union".
Geldüberweisungen: da sie für viele gefährdete Bevölkerungsgruppen häufig traumatisch verlaufen, spielen Kosten und Transparenz eine grosse Rolle. © Keystone/Nar Photos/Kerem Uzel

Leona Vaughn verweist auf die Zusammenarbeit von FAST mit Western Union zur Ermittlung des Bedarfs an bezahlbaren Überweisungsdienstleistungen bei Überlebenden. "Die Kostenfrage spielt hier eine grosse Rolle. Überlebende legen Wert auf äusserst transparente Gebührenangaben, da Geldgeschäfte für sie in der Vergangenheit häufig traumatisch verlaufen sind", führt sie aus. "Finanzdienstleistungsunternehmen müssen die Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden grundlegend verstehen. So können sie ihre Dienstleistungen auf die Bedürfnisse von Überlebenden und anderen gefährdeten Bevölkerungsgruppen abstimmen, und damit zugänglicher und attraktiver machen."

Zugang zu Finanzdienstleistungen schafft mehr Unabhängigkeit und finanzielle Resilienz

Alice Eckstein unterstreicht jedoch, dass die betreffenden Technologien und Innovationen nicht überall zur Verfügung stehen. So sind zum Beispiel Frauen häufig von Dienstleistungen ausgeschlossen, die über Mobiltelefone abgewickelt werden, da sie weltweit seltener im Besitz eines Mobiltelefons sind als Männer. Hier bietet sich somit eine signifikante Gelegenheit für Anlegerinnen und Anleger, die Entwicklung von inklusiven FinTech-Dienstleistungen zu fördern.  

Finanzielle Inklusion kann Leben verändern

Das Finanzwesen ist nur dann inklusiv, wenn Finanzdienstleister die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Kundschaft verstehen und deren persönliche Erfahrungen mit Zugangsbarrieren nachvollziehen können. In der Zwischenzeit haben Innovationen zur Sicherstellung der finanziellen Inklusion für traditionell marginalisierte Gemeinschaften bereits signifikante Chancen geschaffen, weltweit mehr Menschen zu erreichen und Finanzdienstleistungen anzubieten, die effizient, relevant und sicher sind. Die Leitlinien von FAST zeigen auf, wie derartige Dienstleistungen Überlebenden und anderen gefährdeten Bevölkerungsgruppen mehr Unabhängigkeit und finanzielle Resilienz verschaffen und wie sie zugleich auch als Instrument im Kampf gegen moderne Sklaverei und Menschenhandel eingesetzt werden können.

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