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Finanzwissen

Aktienrückkäufe Teufelszeug oder Wundermittel?

Apple, Nvidia, Mercedes & Co: In diesem Jahr könnten Unternehmen mehr eigene Aktien zurückkaufen als je zuvor. Das sei sinnvoll, damit sie ihre Mittel effizient einsetzen - meint Kultinvestor Warren Buffett. Doch ausnahmsweise erntet er Widerspruch von prominenter Seite.

Datum
Autor
Stephan Lehmann-Maldonado, Gastautor
Lesezeit
4 Minuten

Ein Mann spricht auf einer dunklen Bühne vor dem Schriftzug "Nvidia".
Sind Aktienrückkäufe oder Dividendenzahlungen besser für Anlegerinnen und Anleger? Nvidia kauft unter CEO Jensen Huang gerade für USD 25 Milliarden eigene Aktien zurück. © Keystone/EPA/Ritchie B. Tongo

Quizfrage: Was macht Kultinvestor Warren Buffett, wenn er nicht mehr weiss, wohin mit seinem Geld?

Ganz einfach: Entdeckt er an den Finanzmärkten kein Schnäppchen, erwirbt er die Papiere seines eigenen Anlagevehikels Berkshire Hathaway. Die A-Class-Version ist mit einem Stückpreis von rund USD 621 000 die teuerste Aktie der Welt.

Allein im ersten Quartal 2024 hat Berkshire Hathaway Aktien im Wert von USD 2.6 Milliarden zurückgekauft. Und da netto immer noch rund USD 450 Milliarden in der Kasse brachliegen, sind weitere Rückkäufe im grossen Stil vorprogrammiert. Das jedenfalls hat der Kultinvestor an der Generalversammlung alias "Woodstock der Kapitalisten" im Frühling 2024 angedeutet.

Historische Höchststände

Ein alter Mann mit Brille, Anzug und Krawatte lächelt.
Warum bevorzugt Warren Buffett Aktienrückkäufe gegenüber Dividenden? © Keystone/AFP/Johannes Eisele

Seit Jahren verkörpert Buffett das Megafon der "Buyback"-Fans. Und seine Botschaft findet Gehör. Unzählige Konzerne von A (wie Apple) bis Z (wie Zurich Insurance Group) haben in diesem Jahr frische Aktien-Rückkaufprogramme gestartet. Die Summen dürften historische Höchststände erreichen. Warum dieser Boom?

Wenn ein Unternehmen über eine prall gefüllte Kasse verfügt, kann es auf drei Arten Mehrwert für das Aktionariat schaffen: erstens Investitionen tätigen, zweitens Dividenden ausschütten - und drittens eigene Aktien zurückkaufen. 

Kauft ein Unternehmen eigene Aktien auf und vernichtet sie, verteilt sich der Gewinn auf weniger Aktien. Damit steigt der Gewinn pro Aktie. Nach Lehrbuch müsste der Aktienkurs nach oben gehen. Davon profitieren wiederum die Aktionärinnen und Aktionäre, ohne dass Steuern wie bei einer Dividendenzahlung anfallen. Denn Kapitalgewinne sind vielerorts steuerfrei oder werden zu einem reduzierten Satz besteuert.

Warren Buffetts eiserne Regeln

Doch ist der "Buyback"-Effekt in der Praxis wirklich spürbar? Es lässt sich zumindest beobachten, dass Unternehmen mit einem Aktienrückkaufprogramm oft zugleich diejenigen sind, deren Titel sich überdurchschnittlich entwickeln. Das zeigen verschiedene internationale Studien, aber auch ein Blick auf den Index S&P 500 Buyback, der die 100 Aktien des Börsenbarometers S&P 500 mit den höchsten Rückkaufquoten abbildet. In den vergangenen 20 Jahren hat der Buyback-Index seinen Vergleichsindex insgesamt geschlagen. So erfreulich das ist - so wenig garantiert das ein Kursfeuerwerk.

Profil eines Mannes in Hemd und Krawatte mit besorgter Miene
Jeff Immelt, ehemaliger CEO des Industriegiganten General Electric, musste schmerzlich erfahren, wie ein Aktienrückkauf zum falschen Zeitpunkt nach hinten losgehen kann. © Keystone/EPA/Olivier Douliery

Der Erfolg hängt vor allem davon ab, wie glaubwürdig ein Unternehmen den Aktienrückkauf kommuniziert und durchführt. Die Investorengemeinde liest Warren Buffett von den Lippen ab. Kündet er ein Rückkaufprogramm an, signalisiert er zum einen, dass er in Liquidität "schwimmt" (wenn auch nicht wie Dagobert Duck) und zum andern für die eigenen Titel bessere Perspektiven sieht als für andere Unternehmen.

Er hält sich eisern an die Rückkauf-Regeln, die er für andere formuliert hat. Demnach muss ein Unternehmen eine dicke Brieftasche haben - und obendrein dessen Aktienkurs günstig bewertet sein, also unter dem "inneren Wert" liegen. Alles klar? Schön wär's! Denn der "innere Wert" hängt wie die meisten Kennzahlen von einer Reihe von Annahmen ab. Daher ist er immer mit einer Portion Vorsicht zu geniessen.

Fehlen die Ideen?

Fakt ist hingegen, dass ein Aktienrückkauf mit falschem Timing wie ein Schuss nach hinten losgehen kann. Dies bekam beispielsweise der einst stolze Industrieriese General Electric, Gründungsmitglied des Dow Jones Industrial Average, schmerzlich zu spüren. Dem Konzern kriegte in der Finanzkrise von 2008 - auch dank einer Finanzspritze von Warren Buffett - gerade noch die Kurve. 

Tausende von Menschen in einer riesigen Halle sehen auf einer grossen Leinwand zwei alte Geschäftsleute
Wer sich hartnäckig gegen Aktienrückkäufe wehrt, ist ein "ökonomischer Analphabet", sagt das "Orakel von Omaha" Warren Buffett. © istock/3alexd

Doch diese "Nahtod"-Erfahrung hielt General Electric nicht davon ab, bald wieder munter eigene Papiere zusammenzukaufen. Oft zu überteuerten Preisen und zu einem ungünstigen Zeitpunkt - kurz bevor auf die Börsen-Party der Kater folgte. Schliesslich schmolz die Eigenkapitaldecke, und die Rating-Agenturen stuften die Bonität herab. 2018 zog das Management die Notbremse und stellte die Rückkäufe ein - zu spät, denn das früher "wertvollste Unternehmen der Welt" flog aus dem US-Leitindex Dow Jones. Vor Kurzem hat es endgültig mit seiner Vergangenheit als schwergewichtiges Konglomerat abgeschlossen und sich in drei unabhängige, börsenkotierte Unternehmen aufgespalten: GE Aerospace, GE Vernova und GE Healthcare.

Als reine Beteiligungsgesellschaft bildet Berkshire Hathaway einen Sonderfall. Wenn produzierende Unternehmen das gleiche tun wie dieser Value-orientierten Investor, müssen sie jedenfalls mit kritischen Fragen rechnen: Fehlen dem Management die Ideen für Investitionen ins Kerngeschäft? Nutzt es die Gewinne, um den Aktienkurs hochzuschrauben statt Arbeitsplätze zu sichern?

Mächtiger Gegner: Joe Biden

Ein Mann in T-Shirt und Jeans beugt sich über einen Tisch mit Sportschuhen in der Produktion und Zeichnungen
On Schuhe, ein junges Unternehmen, an dem Roger Federer beteiligt ist, investiert seine liquiden Mittel lieber in die Entwicklung als in Aktienrückkäufe. © Alexander Coggin/NYT/Redux/laif

Der wohl prominenteste Absender solcher Vorwürfe ist US-Präsident Joe Biden. Er knüpft damit an eine alte Tradition an. Denn von der Grossen Depression bis zum Jahr 1982 galten Aktienrückkäufe in den USA als Marktmanipulation und waren weitgehend verboten. Letztes Jahr drückte Biden nun eine Steuer von ein Prozent auf Aktienrückkäufe durch, die bei den Unternehmen anfällt. Diese will er jetzt sogar auf vier Prozent erhöhen. Das soll Firmen motivieren, die Forschung und Entwicklung voranzutreiben - und nicht den Aktienkurs.

Aber vielleicht bedarf es solche staatlichen Anreize gar nicht. Schon heute reinvestieren Unternehmen ihre Gewinne freiwillig, wenn sie klare Wachstumsstrategien verfolgen. So schüttet der Schweizer Sportschuhhersteller On trotz guter Geschäfte weder eine Dividende aus noch kauft er Aktien zurück. Weitsichtige Unternehmen sollten selbst entscheiden können, ob und wann sie in zukünftige Geschäftschancen investieren - oder in welcher Form sie ihren Shareholdern Geld zukommen lassen wollen.

Ökonomischer "Analphabetismus"

Für Warren Buffett und seine Berkshire Hathaway ist der Fall klar: Aktienrückkäufe sind Dividendenzahlungen vorzuziehen. Denn Unternehmen können je nach Marktlage und individueller Situation flexibel entscheiden. Ist eine Dividendenpolitik hingegen einmal etabliert, strafen die Finanzmarktteilnehmenden jede spätere Kürzung gnadenlos ab.

Überlassen wir dem "Orakel von Omaha" das letzte Wort, zitiert aus seinem aktuellen Berkshire-Hathaway-Jahresbrief: Wer sich hartnäckig gegen Aktienrückkäufe wehrt, ist ein "ökonomischer Analphabet".

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