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Finanzwissen

Was sind Börsenweisheiten wert?

Sie stammen oft von Investment-Legenden wie Warren Buffett und sind einprägsam – und das Beste: Einige Börsenregeln halten sogar der Wissenschaft Stand.

Datum
Autor
Stephan Lehmann-Maldonado, Gastautor
Lesezeit
6 Minuten

Börsenweisheiten
© GettyImages / Yellow Dog Productions

«Morgenrot, Schlechtwetter droht ...»: Viele kennen diese Bauernregel, die erstaunlicherweise oft zutrifft. Ist an den Börsenweisheiten, welche die Wetterentwicklung an den Finanzmärkten vorhersagen sollen, ebenso viel dran? Wir unterziehen drei der wichtigsten Regeln einem «Faktencheck».

Sell in May and go away

Jeden Mai rätseln Anlegerinnen und Anleger darüber, ob sie nach dem Spruch «Sell in May and go away, but remember to come back in September» handeln sollten. Ben Jacobsen, Finance-Professor der TIAS Business School der Universität Tilburg, nahm das Phänomen 2002 als Erster – zusammen mit Sven Bouman von Saemor Capital – unter die «Lupe» der Wissenschaft. Er untersuchte sämtliche verfügbaren historischen Börsendaten in 37 Ländern. Und in 36 traf der so genannte «Halloween-Effekt» ein, am stärksten in Europa.

Seither sind 20 Jahre vergangen, aber das saisonale Muster fallender Kurse im Mai, die im Oktober wieder anziehen, beschäftigt Jacobsen immer noch. Mittlerweile hat er – zusammen mit der Finance-Professorin Cherry Zhang vom Campus der Nottingham University in China – alle 114 verfügbaren Börsenindizes der Welt ausgewertet. Im Vereinigten Königreich reichen die Daten bis 1693 zurück. In den analysierten Börsenjahren fielen die Renditen vom November bis zum April im Schnitt 4 Prozent höher aus als vom Mai bis zum August. Dabei lagen die Aktienrenditen im Sommer meist unter den kurzfristigen Zinssätzen. Die Ausnahme von der Regel? Mauritius!

Strandliegestuhl
Geniessen Sie den Urlaub!

Als Ben Jacobsen mit seiner Forschung begann, löste diese in akademischen Kreisen Kopfschütteln aus. In diesen galt das Mantra, wonach Finanzmärkte «effizient» sind und die Börsenkurse alle verfügbaren Informationen reflektieren. Eigentlich dürfte sich somit mit keiner Strategie eine systematische Überrendite gegenüber dem Markt erzielen lassen. Umso mehr verblüffte Jacobsen, dass genau dies mit der «Sell in May»-Regel möglich schien. «Wir befürchteten, einen Fehler gemacht zu haben. Doch diesen entdeckten wir nie», sagt Jacobsen. «Ebenso erstaunlich ist für mich, dass viele Medien jeweils im Frühling verkünden, im aktuellen Jahr werde alles anders kommen.» Jacobsen vergleicht diese Argumentation mit der Medizin: «Es ist Unsinn zu behaupten, dass Rauchen nicht schädlich ist, weil es 80-Jährige gibt, die rauchen. Ähnlich kann die Börse im Mai boomen, obgleich der Halloween-Effekt existiert.»

Was die Marktanomalie verursacht, bleibt aber selbst für Jacobsen ein Mysterium: «Bis heute kann ich keine sichere Antwort geben.» Er hat etwa den Einfluss von Dividendenzahlungen im Frühling untersucht – und als Erklärung verworfen. «Ich vermute, dass das Urlaubsverhalten für den sommerlichen Börsentaucher sorgt. In Ferienzeiten gehen die Transaktionen an den Märkten zurück. Aber es ist sehr aufwändig, an die effektiven Feriendaten heranzukommen.»

Kaufe, wenn die Kanonen donnern

Bewähren sich weitere Börsenweisheiten in der Praxis? Vielleicht gelte dies für eher düstere Sprüche wie «Kaufe, wenn die Kanonen donnern, verkaufe, wenn die Violinen spielen», meint Jacobsen.

Violine

Die US-Börsenbarometer sind in Kriegszeiten insgesamt tatsächlich überdurchschnittlich gestiegen. Und die Volatilität an den US-Börsen liegt um 33 Prozent tiefer als in Friedensperioden, wie Gustavo S. Cortes von der Universität Florida mit seinen Mitarbeitenden Angela Vossmeyer und Marc D. Weidenmier kürzlich in der Studie «Stock Volatility and the War Puzzle» berechnet hat. Im Gegensatz zur Bevölkerung lassen sich die Finanzmarktteilnehmenden eben schnell beruhigen, wenn sich der Staat spendabel zeigt, argumentieren die Studienautoren. Dieser erhöht in Kriegszeiten meist seine Ausgaben und gewährt Waffenproduzenten und Herstellern anderer Güter garantierte Verträge.

Allerdings stellen die USA einen Sonderfall dar: In den letzten 100 Jahren waren sie zwar in viele Kriege verwickelt – aber keiner fand auf ihrem Grund und Boden statt. Eine Analyse, die über die USA hinausblickt, zeigt denn auch ein anderes Bild. Jacobsen und Henk Berkman von der Massey Universität analysierten 440 internationale Krisen von 1918 bis 2002. Demnach schmälert jeder internationale Konflikt die Rendite der weltweiten Aktienmärkte um 0.13 Prozent pro Monat. Beim Ausbruch spielt der Effekt am stärksten, zeichnet sich das Konfliktende ab, erholen sich die Märkte. Die Hauptleidtragenden sind die Aktienmärkte der Konfliktparteien, während Drittstaaten weniger betroffen sind. 

Never catch a falling knife

Auch bei der Börsenweisheit «Never catch a falling knife» ist die Empirie nicht eindeutig. «Befindet sich ein Einzeltitel im freien Fall, hält man sich besser an dieses Bonmot und wartet ab, bis der Aktienkurs wieder an Flughöhe gewinnt», erklärt Thorsten Hens, Wirtschaftsprofessor der Universität Zürich. Selbst wenn eine Aktie um 90 Prozent verloren hat, kann sie nämlich noch weiter abstürzen. Man denke nur an die Pleiten von Wirecard und Swissair.

Anders sieht es bei Indizes aus. «Bricht etwa das deutsche Börsenbarometer Dax ein, kann es sich lohnen, die Schwächephase für einen Einstieg zu nutzen», empfiehlt Hens. Denn Titel, die dauerhaft schwächeln, werden in einem Index weniger stark gewichtet oder gar hinausgeworfen. Langfristig aber hat ein breit diversifiziertes Aktienportfolio noch immer an Wert zugelegt.

Fazit

Wie in den Bauernregeln so steckt auch in vielen Börsenweisheiten ein Körnchen Wahrheit. Doch hinter dem Wetter stehen die Naturgesetze, hinter den Börsen die menschliche Natur. Der Physiker Isaac Newton notierte dazu schon vor 300 Jahren: «Ich kann die Bahn der Himmelskörper auf Zentimeter und Sekunden genau berechnen, aber nicht, wohin die verrückte Menge einen Börsenkurs treibt.»

Marktinformationen unserer Research-Experten

So sehen wir die Märkte

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