- Home
-
Private Banking
-
Market View & Insights
Familienverfassung, -charta, -kodex oder -pakt. Warum diese gerade für Unternehmerfamilien zentral sind, zeigt der LGT Experte in unserer Serie "3 Fragen an…".
Viele grosse Dynastien verfügen über eine Familienverfassung, in der wichtige Leitlinien des familiären Zusammenlebens und die zentralen Werte der Familie festgehalten sind - auch die Fürstliche Familie von und zu Liechtenstein gehört dazu.
Gerade bei vermögenden Familien sei dies besonders wichtig, weiss Benjamin Vetterli. Trotzdem täten sich viele Familien schwer, so der LGT Experte, den Weg zur eigenen Familienverfassung zu beschreiten. Warum das so ist, versuchen wir in der neuen Ausgabe unserer Serie "3 Fragen an…" zu ergründen.
1. Geld, Tod, Mitsprache, Werte, Zugehörigkeit, … all das kommt bei der Erstellung einer Familienverfassung zur Sprache. Wie schafft man es als Aussenstehender, die Familienmitglieder für dieses familiäre Regelwerk zu gewinnen – und umschifft dabei diese Konfliktfelder? Das ist vermutlich ein wahres Minenfeld?
Ja, das ist so, da einfach sehr viele Emotionen im Spiel sind. Eine Familie braucht aber zur Unterstützung fast zwingend einen unabhängigen, neutralen Dritten, gerade um den Prozess in Gang zu bringen:
Die Frage der Nachfolge steht bei vielen Familienverfassungen im Mittelpunkt, gerade bei Unternehmerfamilien. Grundsätzlich sollte es die Aufgabe der älteren Generation sein, dieses Thema in der Familie anzusprechen; das ist zumindest die Meinung in Fachliteratur und unter Experten.
In der Praxis tun sich jedoch viele Eltern damit schwer, diese Diskussion zu eröffnen. Häufig wollen sie ihre Kinder nicht dazu drängen, eine bestimmte Rolle zu übernehmen. Andere wiederum wollen ihre Führungsrolle nicht an die jüngere Generation abgeben. Die nächste Generation hingegen möchte sehr gerne über Nachfolge und die anderen Aspekte einer Familienverfassung sprechen. Sie wollen ihr Leben planen und zum Beispiel wissen, wer das Familienunternehmen übernehmen soll. Diese berechtigte Frage offen auszusprechen, fällt den Jungen aber oft nicht leicht.
Damit haben wir in den Familien eine Pattsituation: Zwei Parteien wollen über das Thema reden, aber niemand spricht es an. Deswegen sind viele Familien über Hilfe von aussen dankbar.
Anfangs gilt es, das Eis zu brechen. Wir starten zum Beispiel mit einem kurzen Fragenkatalog zum gemeinsamen Verständnis der aktuellen Situation. Wir erkundigen uns, inwiefern eine Nachfolgeregelung besteht oder die Familie gemeinsame Werte formuliert hat, … Interessant dabei: Häufig bejaht die ältere Generation viele dieser Fragen. Die Kinder beantworten dagegen meist nur ein paar wenige mit Ja. Dieses Missverhältnis öffnet vielen Familienmitgliedern die Augen und regt zu ersten Diskussionen an.
Was ich in dieser Phase regelmässig feststelle: Gerade der klassische Familien-Patron und Unternehmer ist mit seinen Fragen zur Organisation von Familie und Unternehmen oft alleine. Daher bietet die LGT Möglichkeiten, sich mit anderen auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation sind. Das kann ein Roundtable sein oder das LGT Family Forum - ein Seminar zum Thema Family Governance. Dieser Rahmen vereinfacht einen offenen Austausch und wird als sehr bereichernd empfunden.
Wichtig ist, dass beim Start des Prozesses zu einer Familienverfassung von allen Familienangehörigen die Regeln fürs weitere Vorgehen festgelegt werden und alle involviert bleiben. In einem ersten Schritt werden meist in Einzelgesprächen mit allen Familienmitgliedern das Verständnis der aktuellen Situation, die Bedürfnisse und Ziele der Familie erfragt. Die Ergebnisse werden anonymisiert und zu einem Gesamtbild konsolidiert. Sie zeigen die Bedürfnisse der Familie, und in welche Richtung man sich entwickeln will.
2. Wenn dieses Fundament gelegt ist, was sind dann die nächsten Schritte hin zu einer Familienverfassung?
Zentral für den Erfolg ist die Diskussion um gemeinsame Werte. Sie sind die Basis von allem. Dabei können folgende Fragen diskutiert werden: Für was stehen wir? Was ist unsere Strategie, was unsere Vision? In welche Richtung wollen wir als Familie in Zukunft gehen?
Insbesondere für die ältere Generation sind die Fragen um die Weitergabe von Werten wichtig. Dies umso mehr, wenn die Kinder die Grosseltern oder Urgrosseltern, die das Familienunternehmen gegründet haben, nicht aktiv gekannt haben. Oder anders gesagt: Die Werte der Gründergeneration sind für die Identifikation der jungen Generation mit Familie und Familienunternehmen besonders wichtig.
Der Gedanke, dass sich neben Staatswesen auch Familien und das Familienunternehmen auf einer Verfassung aufbauen lassen, ist insbesondere in den USA, im Vereinigten Königreich und in Deutschland verbreitet.
In den USA ist der Begriff der Verfassung sehr positiv besetzt, was auf die Akzeptanz und Verwendung von Familienverfassungen ausstrahlt. Im deutschsprachigen Raum klingt er hingegen meist formal und gross, sodass alternativ häufig Familiencharta oder -pakt verwendet werden.
Unabhängig von der Benennung ist es entscheidend, dass in einer Familienverfassung die Werte der Familie festgehalten werden, mit denen sich alle identifizieren können. Obwohl nicht rechtlich bindend, stellt sie doch eine wichtige Übereinkunft innerhalb der Familie dar und strahlt auf rechtliche Regelungen wie Ehe- und Erbverträge, Aktionärsbindungsverträge und die Aufsetzung von Strukturen aus.
Nicht alle Inhalte einer Familienverfassung müssen verschriftlicht sein; das zeigt die Eigentümerfamilie der LGT: Die Fürstliche Familie von und zu Liechtenstein verfügt seit mehreren Jahrhunderten über ein Hausgesetz, doch wird auch vieles mündlich an die nächste Generation weitergegeben. Schon die Enkelgeneration erfährt viel über die Geschichte der Familie, über die Werte, die der Familie wichtig sind und welche Erfahrungen man über die Jahrhunderte gemacht hat.
Bei diesem offenen Austausch treten auch strittige Themen zutage. Sie versucht man nacheinander anzusprechen, um in jedem Punkt eine Einigung zu finden. Das ist ein iterativer Prozess, der viel Zeit braucht. Es lohnt sich jedoch, sich die Zeit zu nehmen, um einen Katalog gemeinsamer Werte und Ziele zu erarbeiten. Dies ist die Basis für das Entstehen einer Familienverfassung. Tragfähig ist das Dokument erst dann, wenn alle dahinterstehen können.
3. Eine Familienverfassung ist rechtlich nicht bindend. Wieso ist sie für vermögende Familien und insbesondere Unternehmerfamilien trotzdem wichtig?
Idealerweise findet die Familie bei der Erarbeitung einer Familienverfassung einen gemeinsamen Nenner für die Zukunft. Durch die Einbindung aller, auch der nächsten Generation, ist sie grundsätzlich viel tragfähiger als ein rechtliches Dokument, das jede Eventualität regeln will und dennoch vor Gericht angefochten werden kann.
Da das Vermögen in diesen Familien meist zu einem grossen Teil im Unternehmen gebunden ist, können bei einer Nachfolge häufig nicht alle Kinder gleich behandelt werden. Wurde das gemeinsam im Rahmen der Familienverfassung diskutiert und konnten sich alle einbringen, sind einzelne Familienmitglieder eher bereit, auf einen gewissen Teil zu verzichten. Auch das ist ein Aspekt, der für die Erstellung einer Familienverfassung spricht.
Hausgesetze wie Familienverträge, Hausverträge, Familienstatuten sind in Europa seit Anfang des 14. Jahrhunderts bekannt. Als erste "hausgesetzliche" Bestimmung der Familie von und zu Liechtenstein ist die Erbeinigung von Nikolsburg vom 3. März 1504 überliefert.
Das erste umfassendere Dokument im Sinne einer Familienverfassung wurde mit der Erbeinigung vom 29. September 1606 getroffen und fasste Regelungen aus verschiedenen Dokumenten zusammen. Sie bestimmte zum Beispiel die Erbfolge neu und sorgte für Klarheit in Vermögensfragen. Auch das heutige Hausgesetz der Familie geht auf diese Vereinbarung zurück. Letztmals wurde es 1993 aktualisiert.
Weitere Informationen zum Hausgesetz finden Sie auf der Website des Fürstenhauses.
Damit eine Familienverfassung über längere Zeit bestehen kann, sollte sie sich entwickeln können: Die gemeinsame Wertebasis sollte von jeder Generation überprüft und an die sich verändernden Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Veränderungen angepasst werden können. Damit ist sie eine gute Grundlage für konkrete, rechtlich verbindliche Dokumente, zum Beispiel Verträge und Strukturen.
Mit der Einbindung der nächsten Generation ist die Familienverfassung anpassungsfähig: Ich habe zum Beispiel Familien beraten, bei denen das Unternehmen traditionell an den ältesten Sohn ging, bei der sog. Primogenitur. In der Diskussion mit den Kindern zeigte sich aber, dass auch die Töchter ein Interesse daran hatten. Daraufhin wurde eine neue Abmachung in die Familienverfassung aufgenommen.
Jede Generation muss sich neu finden, um in ihrer Situation neue, tragfähige Lösungen zu schaffen. In traditionell patriarchalisch orientierten Ländern wie Italien findet aktuell ein gesellschaftlicher Wertewandel statt. Ausdruck davon ist, dass traditionell vom ältesten Sohn allein geführte Unternehmen wie Barilla oder Antinori nun sehr erfolgreich gemeinsam von den Geschwistern geleitet werden. Welche Regelungen dafür in die Familienverfassung aufgenommen werden, hängt jedoch letztlich immer von den individuellen Gegebenheiten in der Familie ab.
Die Beratung rund um die Familienverfassung ist Teil unserer Dienstleistungen zur Family Governance. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte die Website zum Thema.