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USA und Europa: Notenbanken auf getrennten Wegen

Vor dem Hintergrund allmählich sinkender Inflationsraten in den beiden grössten Wirtschaftsräumen der Welt stehen die Zentralbanken vor wichtigen geldpolitischen Weichenstellungen. Während die Finanzmärkte für das kommende Jahr eine Lockerung der Geldpolitik durch vier bis fünf Zinssenkungen der US-amerikanischen Notenbank (Fed) und Europäischen Zentralbank (EZB) antizipieren, zeichnet sich für uns ein differenzierteres Bild ab.

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Autor
Roman Neupert, Research and Strategy, LGT Private Banking
Lesezeit
10 Minuten

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Unsere Analyse verweist auf die nuancierten Ausgangslagen beider Institutionen. Vor diesem Hintergrund halten wir drei bis vier Zinssenkungen durch das Fed und fünf durch die EZB im Laufe des Jahres für plausibel. Im Folgenden erörtern wir die komplexen Überlegungen hinter dieser Prognose und beleuchten die unterschiedlichen Pfade, die die beiden Zentralbanken vermutlich einschlagen werden.

US-Wirtschaft trotzt Zinsen: Stabiles Wachstum und robuster Arbeitsmarkt

In den Vereinigten Staaten zeichnet sich ein Bild hartnäckiger Inflation, robuster wirtschaftlicher Stärke und eines stabilen Arbeitsmarktes ab. Getrieben durch die expansive Geldpolitik der US-Zentralbank, Nachholeffekte aufgrund von Unterbrechungen der Lieferketten und staatliche Stimuli als Reaktion auf die Corona-Pandemie, erreichte die Inflationsrate Mitte 2022 mit 9.1 Prozent ihren Höhepunkt. Seitdem ist sie zwar kontinuierlich gesunken, liegt aber seit Mitte des Jahres 2023 mit einem Wert von über 3% noch immer über dem angestrebten Richtwert von 2%.

Gleichzeitig wuchs die US-Wirtschaft überraschend kräftig, das Bruttoinlandsprodukt stieg im vierten Quartal 2023 annualisiert um 3.3% und übertraf damit die Erwartungen vieler Analysten. Für das Gesamtjahr 2023 konnte trotz hoher Zinsen ein Wachstum von 2.5% verzeichnet werden. Zum Vergleich: Die Wirtschaft in der Eurozone verzeichnete 2023 ein deutlich schwächeres Wachstum von 0.5%. Das US-Wachstum war den Angaben zufolge dabei breit abgestützt durch Konsumausgaben der privaten Haushalte, Exporte, Staatsausgaben und Unternehmensinvestitionen.

Unterstützt wird die robuste Wirtschaft insbesondere durch gute Arbeitsmarktdaten. Die Arbeitslosenquote blieb im Januar bei 3.7% - was Vollbeschäftigung signalisiert - und fiel damit besser aus als von vielen Analysten erwartet. Der robuste Arbeitsmarkt dürfte daher zu anhaltenden Lohnzuwächsen führen und den allgemeinen Preisanstieg begünstigen.

Die aktuellen Daten liefern keine Anzeichen für ein Abrutschen der USA in eine Rezession. Vielmehr dürfte das Risiko steigen, dass der Inflationsdruck weiterhin anhält. Die US-Notenbank dürfte es daher mit Zinssenkungen nicht allzu eilig haben und ihre restriktive Politik fortsetzten, um einen Wiederanstieg der Inflation zu unterbinden, indem man auf eine graduelle Wachstumsverlangsamung - eine "sanfte Landung" - der Ökonomie abzielt. Aufgrund der guten Ausgangssituation und des geringen Rezessionsrisikos erwarten wir nur drei bis vier Zinssenkungen bis Ende 2024.

Eurozone kämpft: Inflation trifft auf schwaches Wachstum

Auf der anderen Seite des Atlantiks zeigt sich dagegen ein anderes Bild. Zwar hat sich die Inflation in der Eurozone zu Jahresbeginn weiter abgeschwächt - die Verbraucherpreisinflation lag im Januar im Jahresvergleich bei 2.8% - und ist damit von ihrem Rekordhoch von 10.7% im Herbst 2022 weit entfernt. Im Gegensatz zu den USA hat sich die Wirtschaft der Eurozone aber schlechter als erwartet entwickelt, mit einem enttäuschenden Wachstum von 0.5% im Jahr 2023. Deutschland, als grösste Volkswirtschaft des Währungsraums, erwies sich dabei als Wachstumsbremse und schrumpfte um 0.3%. Auch für die Zukunft sind die Wachstumsaussichten der Eurozone eingetrübt: für das Jahr 2024 prognostiziert die europäische Kommission ein leichtes Wachstum von 0.8%. Aufgrund dieser Aussichten sollte sich die EZB gezwungen sehen, den Leitzins eher früher zu senken. Wir erwarten für das Jahr 2024 fünf Zinssenkungen, also ein bis zwei mehr als beim Fed.

Das Jahr 2024 bleibt geldpolitisch schwierig

Angesichts der aktuellen konjunkturellen Entwicklungen und geldpolitischen Herausforderungen in den USA und Europa zeichnet sich ein unsicheres Jahr ab. Während die USA eine robuste Wirtschaftsleistung und einen soliden Arbeitsmarkt aufweisen, der eine vorsichtige geldpolitische Lockerung erlauben dürfte, steht Europa vor der Herausforderung, ein schwaches Wachstum und anhaltenden Inflationsdruck zu bewältigen. Der unterschiedliche geldpolitische Kurs der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank spiegelt nicht nur die divergierenden wirtschaftlichen Realitäten wider, sondern unterstreicht auch die Notwendigkeit einer sorgfältigen Balance zwischen Inflationsbekämpfung und Wachstumsmanagement.

 

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