The Strategist

Wirtschaftsträgheit

Wie passen ein straffes Zinsregime und eine stabile Wirtschaft zusammen? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die verzögerten Auswirkungen von Zinserhöhungen auf die Wirtschaft eher die Regel als die Ausnahme sind.

Datum
Autor
Dr. Felix Kapfhammer, Economist
Lesezeit
10 Minuten
US-Wirtschaft
© Shutterstock

In den letzten 20 Monaten haben wir den grössten und stärksten Zinsanstieg seit Beginn der "Grossen Moderation" Mitte der 1980er Jahre erlebt. Trotz des hohen Zinsniveaus, das mit dem vor der globalen Finanzkrise vergleichbar ist, ist die US-Wirtschaft grundsolide und hat erst kürzlich vierteljährliche BIP-Ergebnisse veröffentlicht, die eher an einen Wirtschaftsboom als an eine Rezession erinnern. Wir fragen uns: Wie passen ein strenges Zinsregime und eine stabile Wirtschaft zusammen? Unseres Erachtens helfen die vergangenen und aktuellen Wirtschaftsdaten, gepaart mit historischen Erkenntnissen, Anlegerinnen und Anlegern, die Situation zu verstehen. 

Bequeme Puffer

Ein wichtiger Grund für die Stabilität der US-Wirtschaft trotz hoher Zinsen ist die starke und anhaltende fiskalische Unterstützung. Die massiven Steuerpakete, mit denen die Auswirkungen der Pandemie gemildert werden sollten, dauerten bis weit in das Jahr 2022 hinein, und ihre Auswirkungen sind immer noch spürbar. Darüber hinaus haben die USA in den vergangenen zwei Jahren umfangreiche staatliche Ausgabenprogramme aufgelegt, wie den "Inflation Reduction Act" oder den "CHIPS and Science Act". Die hohen Staatsausgaben der letzten Jahre haben die Investitionen und das Beschäftigungswachstum angekurbelt, was unter anderem dazu führte, dass die Arbeitslosenquote in den USA so niedrig war wie seit 50 Jahren nicht mehr. In Verbindung mit einem positiven Reallohnwachstum trotz hoher Inflation bietet der starke Arbeitsmarkt einen gewissen Puffer, der der Wirtschaft hilft, höhere Zinsen vorerst zu verkraften. 

Wenn die Beschäftigung hoch ist und die Reallöhne steigen, erhöhen die Privathaushalte ihren Konsum und kurbeln das Wirtschaftswachstum an. Schliesslich ist der private Verbrauch der wichtigste Faktor für die US-Wirtschaft und macht etwa zwei Drittel des BIP aus. Ausserdem explodierten die Ersparnisse der Haushalte während der Pandemie und dienten seitdem als Puffer für Einkommensverluste. Zudem wurde die Rückzahlung von Studentenkrediten, die sich auf rund USD 1.6 Billionen belaufen, bis Ende September 2023 ausgesetzt. Zusammengenommen bieten die genannten Faktoren einen komfortablen Puffer gegen die negativen Auswirkungen der hohen Zinsen.

Verspätete Auswirkungen

Trotz der starken Fundamentaldaten zeigen sich aber erste kleine Risse in der US-Wirtschaft. Mehrere Konjunkturpakete laufen aus, und es wird erwartet, dass sich die Staatsausgaben verlangsamen werden, da der Bundeshaushalt in der nächsten Verhandlungsrunde Mitte November wahrscheinlich gekürzt wird. Darüber hinaus ist die US-Arbeitslosenquote in den letzten Monaten leicht gestiegen, die Rückzahlung von Studentenkrediten hat wieder begonnen, die Sparquote ist gesunken - was einer Erschöpfung des verfügbaren Einkommens gleichkommt - und die Delinquenzraten bei Verbraucherkrediten haben zugenommen. Da die wirtschaftlichen Puffer dünner werden, beginnen sich die negativen Auswirkungen der geldpolitischen Straffung zu entfalten und belasten den Konsum, die Investitionen und die Staatsausgaben. Die in der vergangenen Woche veröffentlichten schwachen US-Wirtschaftsindikatoren deuten darauf hin, dass diese Phase nun begonnen hat. Schliesslich scheinen die negativen Auswirkungen der hohen Zinssätze zu wirken, und wir können in den kommenden Quartalen mit einem geringeren Wachstum des US-BIP rechnen.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die verzögerten Auswirkungen von Zinserhöhungen auf die Wirtschaft eher die Regel als die Ausnahme sind. Zwischen dem Höchststand der Federal Funds Rate und dem Höchststand der Arbeitslosenquote liegen historisch gesehen zwischen sechs und zwölf Quartalen. Dies deutet darauf hin, dass das Schlimmste im Hinblick auf die Konjunkturabschwächung noch bevorsteht. Angesichts der soliden Fundamentaldaten könnte das Schlimmste dieses Mal jedoch tatsächlich nicht allzu schlimm sein.

 

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