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Anlagestrategien

Ein Blick über Adipositas-Medikamente hinaus

Medikamente zur Gewichtsreduzierung verringern zugleich das Risiko von Krankheiten wie Diabetes, Schlaganfall und Bluthochdruck, die häufig im Zusammenhang mit Adipositas auftreten - für die Patienten eine hervorragende Nachricht. Wie wird sich dies nun auf den Umsatz der Pharmaindustrie mit Medikamenten gegen diese Krankheiten auswirken?

Datum
Autor
Dr. Tilman Dumrese, Senior Aktienanalyst
Lesezeit
5 Minuten

Auf einem weissen Teller liegen eine Gabel und ein Medikamenten-Pen auf einer blauen Serviette.
Medikamente gegen Fettleibigkeit werden weiterhin ein Highlight im Pharmasektor bleiben, was dazu führen kann, dass vielversprechende Entwicklungen in anderen Bereichen der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung vernachlässigt werden. © Shutterstock/Douglas Cliff

Seit der Entdeckung des Penicillins und der Entwicklung der Antibabypille haben nur wenige neue Medikamente so viel Beachtung gefunden wie Mittel zur Gewichtsreduktion. Das ist nicht verwunderlich. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet, dass heutzutage mehr Menschen an den Folgen von Fettleibigkeit als an Hunger sterben.

Die Hersteller der heute populärsten Injektionspräparate zur Gewichtsreduktion, Novo Nordisk und Eli Lilly, erlebten eine unvergleichliche Nachfrage nach ihren Produkten, und die Aktienkurse beider Unternehmen haben sich in den letzten Jahren vervielfacht. Obwohl Langzeitnebenwirkungen nicht ausgeschlossen werden können und die Medikamente langfristig eingenommen werden müssen, kann die Nachfrage derzeit nicht gedeckt werden. Novo Nordisk ist mit einer Marktkapitalisierung von rund 600 Mrd. USD sogar zum wertvollsten Unternehmen Europas geworden.

Drei Flaggen mit der Aufschrift Novo Nordisk wehen vor blauem Himmel.
Die Hersteller der heute populärsten Injektionspräparate zur Gewichtsreduktion können die Nachfrage derzeit nicht befriedigen. © Novo Nordisk

Adipositas ist eine der am weitesten verbreiteten Krankheiten. Bis zum Jahr 2035 könnten weltweit fast 54 % der Erwachsenen (3.3 Milliarden) fettleibig oder stark übergewichtig sein, verglichen mit 42 % (2.2 Milliarden Erwachsenen) im Jahr 2020. 

Der Prozentsatz junger Menschen im Alter von fünf bis 19 Jahren, die fettleibig oder stark übergewichtig sind, wird bis 2035 voraussichtlich von 22 % (430 Millionen) auf über 39 % (770 Millionen) ansteigen. Zugleich ist Fettleibigkeit ein wichtiger Risikofaktor für chronische Krankheiten wie Diabetes, koronare Herzkrankheiten, Schlaganfall und verschiedene Krebsarten, die alle zu den häufigsten Todesursachen weltweit gehören.

Demografische Trends sind eine wichtige Triebkraft

Weisshaarige, ältere Frau geht mit einem Rollator durch einen herbstlichen Park.
Auch die Alterung der Bevölkerung ist eine der wichtigsten Triebfedern für die derzeitige und künftig weiter steigende Nachfrage nach neuen Bluthochdruckmedikamenten, Schlaganfalltherapien und innovativen Krebstherapien. © Shu6erstock/FamVeld

Auch die Alterung der Bevölkerung ist eine der wichtigsten Triebfedern für die derzeitige und künftig weiter steigende Nachfrage nach neuen Bluthochdruckmedikamenten, Schlaganfalltherapien und innovativen Krebstherapien; Pharmaunternehmen stellen in diesem Bereich erhebliche Mittel für Forschung und Entwicklung bereit.

Zweifellos handelt es sich hier um wirtschaftlich attraktive Segmente. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass allein der Onkologiemarkt mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 8.9 % von 240 Milliarden USD im Jahr 2024 auf rund 520 Milliarden USD im Jahr 2033 wachsen wird.

Wir gehen daher davon aus, dass der Pharmasektor weit über das Thema Adipositas hinaus für Anleger attraktiv bleibt. Hohe Margen, stabile Cashflows und hohe Dividendenrenditen dürften die Hauptmerkmale des Sektors bleiben. Vergleicht man die Rentabilität eines Unternehmens im Pharmasektor mit der des breiteren Marktes, so ergeben sich attraktive Bewertungen, sowohl in Europa als auch in den USA.

Doch betrachten wir zunächst das Adipositas-Segment genauer. Obwohl die aktuellen Angebote äusserst erfolgreich sind und die Zukunft rosig aussieht, wird dieser Markt bereits komplexer.

Weniger Fettleibigkeit, weniger Risiko für andere Krankheiten?

Eine junge Frau in sportlicher Kleidung sitzt in bergiger Landschaft auf einem grossen Stein und verwendet einen Insulin-Pen.
Die Nachfrage nach Typ-2-Diabetes-Medikamenten und insbesondere nach Insulin wird im Zuge der zunehmenden Marktdurchdringung neuer Medikamente zur Gewichtsreduktion, vermutlich zurückgehen. © istock/AzmanJaka

Wenn Fettleibigkeit eine so grosse Rolle bei Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verschiedenen Krebsarten spielt, stellt sich die Frage, ob die neuen Medikamente zur Gewichtsreduzierung zu einem nachhaltigen Rückgang der Nachfrage nach Medikamenten zur Behandlung dieser oft schrecklichen Krankheiten führen. Die Antwort liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand. Betrachten wir zur Veranschaulichung die Wechselwirkung zwischen Medikamenten zur Gewichtsreduktion und Insulin.

Es ist anzunehmen, dass die Nachfrage nach Typ-2-Diabetes-Medikamenten und insbesondere nach Insulin im Zuge der zunehmenden Marktdurchdringung neuer Medikamente zur Gewichtsreduktion, von denen einige auch zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen sind, zurückgehen wird.

Da mehrere grosse Hersteller von Medikamenten zur Gewichtsreduzierung auch Insulin produzieren, sollten diese Firmen in der Lage sein, den Rückgang der Insulinverkäufe wirtschaftlich zu kompensieren. Da rund um Insulin jedoch seit Jahren ein aggressiver Preiskampf tobt, ist dieser Markt seit Langem weniger attraktiv als der der Schlankheitsspritzen. 

Typ-2-Diabetes breitet sich in ärmeren Ländern aus

Ein Mann mittleren Alters in Anzug mit Krawatte blick offen-fröhlich in die Kamera
Dr. Tilman Dumrese, Senior Equity Analyst, LGT Private Banking

Nach Angaben der WHO ist Typ-2-Diabetes unter den nicht übertragbaren Krankheiten die sechsthäufigste Todesursache weltweit. Und Typ-2-Diabetes breitet sich in vielen ärmeren Ländern rasch aus, wo die Behandlung mit Spritzen zur Gewichtsreduktion für die meisten Menschen unerschwinglich ist. Damit dürfte der Absatz von Insulin auf kurze Sicht weiterwachsen.

Das Volumen des weltweiten Insulinmarktes lag 2023 bei rund 28 Milliarden USD und wird bis 2033 voraussichtlich 42 Milliarden USD übersteigen, wobei sich die Nachfrage von den wohlhabenderen in die ärmeren Länder verlagert. Insgesamt erwarten wir keinen starken Rückgang der Insulinpreise, rechnen aber längerfristig mit einem Rückgang der Nachfrage.

Medikamente gegen Fettleibigkeit machen andere Behandlungen nicht überflüssig

Medikamente zur Gewichtsreduktion sind ein Schwerpunkt vieler grosser Pharmaunternehmen. Und das ist nachvollziehbar. Trotz Lieferengpässen beliefen sich die weltweiten Ausgaben für Medikamente gegen Fettleibigkeit im letzten Jahr auf 24 Milliarden USD. Bis 2028 könnten sie nach eher vorsichtigen Schätzungen auf 131 USD-Milliarden ansteigen.

Medikamente gegen Fettleibigkeit sind und bleiben ein Highlight im Pharmasektor, daneben werden aber weiter neue Behandlungen für andere klassische Volkskrankheiten entwickelt. Für Anleger ist es sinnvoll, die Adipositas-Saga zu verfolgen, doch es wäre ein Fehler, vielversprechende Entwicklungen in anderen, vielleicht weniger spektakulären Bereichen der Pharmaforschung und -entwicklung zu übersehen. Natürlich ist jede Investition mit Risiken verbunden. Im Durchschnitt kommt nur jedes zehnte klinisch getestete Medikament auf den Markt. Vor diesem Hintergrund sehen wir Unternehmen mit einem breit gefächerten Entwicklungsportfolio im Vorteil.

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