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Finanzmärkte

Zinsen – wie weiter?

Nach unablässigen Zinserhöhungen in den letzten Jahren, scheinen die Zinsen nun ihren Höchststand erreicht haben. Das legen auch die jüngsten Zinsentscheidungen der wichtigsten Zentralbanken nahe. Doch ist der Höhepunkt wirklich erreicht? Was Experten für die kommenden Monate prognostizieren.

Datum
Autor
Wendy Cooper, Gastautorin
Lesezeit
4 Minuten

In den letzten anderthalb Jahren jagte eine Zinserhöhung die nächste. Inzwischen dürfte der Höhepunkt allerdings (nahezu) erreicht sein. Die jüngste Zinssitzungsrunde der tonangebenden Zentralbanken legt diese Vermutung zumindest nahe. 

Wie in breiten Kreisen erwartet, hob die Europäische Zentralbank (EZB) - in der zehnten Zinserhöhungsrunde in 14 Monaten - ihren Leitzins für Einlagen im September auf rekordhohe 4 Prozent an. Sowohl die Fed als auch die Bank of England (BoE) beliessen die Leitzinsen auf dem Status quo bei 5,25 Prozent. Dem Vernehmen nach reagierte die BoE damit auf die unerwartet geringe Teuerung. 

Jay Powell, Präsident der US-Notenbank, sagt vor dem US-Senat aus
Jerome Powell, Präsident der US-Notenbank © Rod Lamkey /CNP/Polaris/laif

Dennoch sollte man sich keine übermässigen Hoffnungen machen. Das billige Geld gehört der Vergangenheit an. Die Inflationsängste halten die Zentralbanker nachts immer noch wach – man denke nur an die neuen Höchststände des Ölpreises. Daher dürften die Leitzinsen mit hoher Wahrscheinlichkeit längere Zeit auf einem hohen Niveau verharren. 

"Vor Juni 2024 rechnen wir nicht mit Zinssenkungen", sagt Simon Weiss, Head of Fixed Income, Currency and Commodities Strategy bei der LGT Bank Schweiz. Und selbst dann dürfte der Inflationsdruck eine entscheidende Rolle spielen, warnt er. "Die Zentralbanken haben nicht allzu viele Instrumente zur Verfügung, um die Teuerung zu bekämpfen. Sie verlassen sich hauptsächlich auf die Zinspolitik."

Wie sind wir in diese Lage geraten? Immerhin waren niedrige Zinsen bis vor kurzem eine scheinbar unabänderliche Tatsache. Drei grosse Wendepunkte in den letzten rund 15 Jahren illustrieren die Verlagerung der Zinslandschaft nach oben und das Problem, vor dem die Zentralbanken derzeit stehen.

Drei wesentliche Entwicklungen

  1. Im Jahr 2008, als die Blase an den Immobilienmärkten nach Jahren billiger und kaum überprüfter Kredite platzte, führte die globale Finanzkrise dazu, dass die Banken auf zweitklassigen und inzwischen wertlosen Hypothekarkrediten sitzen blieben und Billionen Dollar abschreiben mussten. Um den heute als grosse Rezession bezeichneten Einbruch zu mindern, senkte die Fed - eingedenk ihres seit den 1970er-Jahren bestehenden Mandats, für Vollbeschäftigung zu sorgen - die Leitzinsen radikal auf null. Diese Massnahme hatte die erwünschte Wirkung - und schürte gleichzeitig die Teuerung an. Im Lauf der Zeit zogen die Zinsen wieder an - bis im Jahr 2016, als alarmierende Konjunkturdaten aus China eine Panik an den Aktienmärkten und anschliessend eine Pause bei den Zinserhöhungen auslösten.
  2. Quantitative Lockerungen (Quantitative Easing, QE) bestehen darin, dass die Zentralbanken Anleihen und andere finanzielle Vermögenswerte von den führenden Banken erwerben, um die Liquidität und somit die Wirtschaftstätigkeit zu fördern. Die Bank of Japan (BoJ) praktizierte im Jahr 2001 QE als erste Zentralbank, nachdem ihre Negativzinspolitik der drittgrössten Wirtschaft der Welt keinen Ausweg aus der Rezession geboten hatte. Im Anschluss an die globale Finanzkrise im Jahr 2008 wurden QE äusserst populär, insbesondere nach der Staatsschuldenkrise der Jahre 2009 bis 2010. Bis Ende 2016 hatte die EZB im Rahmen ihres QE-Programms den Finanzmärkten Injektionen von über 900 Milliarden Euro verpasst.
  3. Die Covid-19-Krise verursachte in den USA - und sozusagen in allen anderen Ländern - einen massiven Konjunktureinbruch. Die Fed reagierte mit einem deutlichen Ausbau ihres QE-Programms. Effektiv verdoppelten die Zentralbanken weltweit ihre Bilanzen innerhalb von zwei Jahren, indem sie vergleichbare Ankaufprogramme betrieben. 

    Verlassene Autobahn während der Pandemie
    Die Covid-19 verursachte einen Konjunktureinbruch, in dessen Folge die Inflation massiv anstieg. © Shutterstock/DarwelShots

    Parallel zu dieser Entwicklung erreichten die Leitzinsen historische Tiefststände. Als sich die Welt im Jahr 2022 allmählich von der Pandemie erholte, griff die Teuerung allerdings massiv um sich Vor allem in Europa wirkte der Krieg in der Ukraine als Beschleuniger der Preisanstiege für Energie. Die erneuten Lockdowns in China taten das Ihre und beschleunigten die Teuerung ebenfalls.

Ein Balanceakt

Die Wahrung der Preisstabilität zählt zu den Aufträgen der Zentralbanken. Sie reagierten auf diese inflationären Herausforderungen, indem sie die Leitzinsen so lange erhöhten, bis diese neue Höchststände erreichten. Tatsächlich haben wir in den letzten 15 Monaten einen der aggressivsten geldpolitischen Straffungszyklen der letzten 40 Jahre erlebt - praktisch jede Notenbank nahm Leitzinserhöhungen vor oder liess zumindest Renditeanstiege zu. 

Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, spricht auf der Pressekonferenz der Bank
Christine Lagarde, Präsidentin der EZB © Keystone/DPA/Boris Roessler

Die für die Geldpolitik verantwortlichen Personen sind sich jedoch bewusst, dass sie einen Balanceakt vollführen. Der Zinsentscheid der EZB im September war so knapp wie nie zuvor seit Beginn des Erhöhungszyklus. Die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, betonte anlässlich der Medienkonferenz nach dem Zinserhöhungsentscheid, dass die EZB noch keine Überlegungen zu Zinssenkungen anstrenge. Der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, hieb in die gleiche Kerbe und gab an, dass im laufenden Jahr eine weitere Zinserhöhung zu erwarten sein dürfte. Zuvor hatte er betont, dass die Fed die Leitzinsen auf einem hohen Niveau belassen würde, bis die Teuerung auf einem nachhaltigen Weg zu dem angestrebten Zielwert von 2 Prozent sei.

(Inzwischen geht die Fed davon aus, dass die Inflation im Jahr 2023 bei durchschnittlich 3,3 Prozent zu liegen kommt. Dieser Erwartungswert liegt 0,1 Prozentpunkt unter der Fed-Prognose von Juni 2023. Bei der Kerninflation [Teuerung unter Ausschluss der Preise für Energie und Nahrungsmittel] rechnet die Fed allerdings mit einem Anstieg auf 3,7 Prozent. Für das Jahr 2024 geht die Fed von einer Inflationsquote von 2,5 Prozent bzw. einer Kerninflation von 2,6 Prozent aus.)

Die Inflation ist aber nicht das einzige Problem der Zentralbanken. Ihre Vertreter sind sich nur zu deutlich bewusst, dass eine längere Hochzinsperiode nicht nur die Kosten für Mittelaufnahmen von Konsumenten und Konsumentinnen (Hypothekarkredite und Kreditkartenschulden) sowie Unternehmen (Kapitalkosten und Fremdfinanzierungen) in die Höhe treibt, sondern auch das Wirtschaftswachstum belastet. Die LGT geht für den Rest des Jahres von einer Seitwärtsbewegung in den USA und der Eurozone aus. 

Die weitere Entwicklung der Teuerung dürfte für die Beendigung des aktuellen Zyklus eine wesentliche Rolle spielen

Simon Weiss, Head Fixed Income Strategy LGT Private Banking Europe

In diesem Zusammenhang sollte man nicht vergessen, dass die Renditekurve - welche die Erwartungen der Anlegerinnen und Anleger in Bezug auf die zukünftigen Zinsen, das Wirtschaftswachstum und die Teuerung widerspiegelt - in Europa seit dem vierten Quartal 2022 "invers" (oder negativ) ist. In den USA ist dies seit Juli 2022 der Fall. Eine derartige Inversion der Renditekurve hat sich in den USA seit dem 2. Weltkrieg immer als Vorläuferin einer Rezession erwiesen.

Führt eine Verlängerung des Zyklus zu einer sanfteren Landung?

Natürlich wirkt sich die Geldpolitik nur mit deutlicher Verzögerung auf das Wirtschaftswachstum aus. Die jüngsten Wachstumsraten waren zwar gering, aber positiv, und die rekordverdächtige Straffung der Geldpolitik hat die Wirtschaftstätigkeit bis jetzt noch nicht übermässig beeinträchtigt. Ausserdem scheint der Markt für Fremdmittel gut zu funktionieren. Unternehmen haben derzeit nicht zwingend grössere Refinanzierungsschwierigkeiten, obwohl Refinanzierungen deutlich teurer geworden sind.

Ölpumpenjacks in Silhouette bei Sonnenuntergang
Ölpreishöchststände als Inflationssignal © istockphoto/guvendemir

Dennoch hat die Europäische Kommission ihre Wachstumsprognose für die Eurozone im Jahr 2023 auf 0,8 Prozent gesenkt. Als Hauptgrund gilt die schlechte Leistung der grössten Wirtschaft innerhalb der EU, d. h. Deutschlands. Gleichzeitig steigt der Ölpreis, und die Stimmung am US-Immobilienmarkt trübt sich einmal mehr ein, was weitgehend auf die steigenden Hypothekarzinsen zurückzuführen ist.

Für Simon Weiss ist dies ein Anlass zur Reflexion über die Komplexität der Geldpolitik. "Eine historische Analyse aller Leitzinszyklen der Fed seit den 1970er-Jahren zeigt, dass die Frist zwischen der letzten Erhöhung der einzelnen Zyklen und der ersten Zinssenkung knapp sechs Monate beträgt", merkt er an. Aber "anders als in früheren Zyklen dürfte die weitere Entwicklung der Teuerung für die Beendigung des aktuellen Zyklus eine wesentliche Rolle spielen." In den USA dürfte die Hochzinsphase "deutlich länger dauern als im Durchschnitt", prognostiziert er. Gleichzeitig lässt sich zu den Chancen auf eine sogenannte "sanfte Landung" mit geringer Inflation und wenig wirtschaftlichen Schäden kaum etwas Konkretes sagen.

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