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Market View & Insights
Warum Nobelpreispreiträger Paul Milgrom auf Versteigerungen setzt, um eine nachhaltige Wirtschaft voranzutreiben.
"Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten..." - dieser Satz gehört bei einer neuen Art von Auktionen der Vergangenheit an. Zur Premiere 1994 in den USA wurden statt klassischer Gemälde Mobilfunklizenzen versteigert.
Den Auftrag für die Entwicklung des neuen Mechanismus hatten die Stanford-Wissenschaftler Paul Milgrom und sein Mentor Robert Wilson erhalten - beide ausgewiesene Auktions-Experten. Ihre neue Auktionsmethode wurde ein voller Erfolg: Die erste Versteigerung brachte 617 Millionen Dollar ein - deutlich mehr, als viele erwartet hatten. Bis 1997 folgten weitere Funklizenz-Auktionen, bei denen Käufer insgesamt 23 Milliarden Dollar zahlten.
Der Erfolg fand schnell Nachahmer in aller Welt, sodass die schwedische Reichsbank Milgrom und Wilson 2020 für ihre Pionierarbeit mit dem Wirtschafts-Nobelpreis belohnte. Mit seiner Agentur Auctionomics berät Milgrom heute Regierungen in aller Welt. Sie wollen Versteigerungen nutzen, um öffentliche Güter gerecht zu verteilen und zugleich Herausforderungen wie Überfischung, Dürre oder Luftverschmutzung zu meistern.
Im Gespräch mit MAG/NET erklärt der 74-Jährige, warum Auktionen eine wichtige Rolle bei der nachhaltigeren Gestaltung der Wirtschaft spielen und auch sehr komplexe Probleme wie den Handel mit Wassernutzungs-Rechten lösen helfen. Mit dieser Aufgabe beschäftigt sich Milgrom derzeit intensiv, wie sein Vortrag bei der diesjährigen Nobelpreisträger-Tagung in Lindau zeigte.
Herr Professor Milgrom, welche Vorteile bieten Auktionen, wenn es nicht gerade darum geht, ein Gemälde von Picasso zu versteigern?
Bei Sotheby's oder Christie's geht es meist um Einzelstücke, aber wir müssen auch ermitteln, wie hoch die Kosten für CO2-Emissionen, Strom oder Wasserrechte in der Landwirtschaft sein sollten. Und für den Wettbewerb zwischen Käufern und Verkäufern bietet sich das Auktionsmodell an, weil es im Kern darum geht, den besten Preis für eine Transaktion zu ermitteln.
Worin unterscheiden sich die Versteigerungen solcher Allgemeingüter von anderen, etwa bei eBay?
Private Auktionshäuser oder auch eBay nutzen ein relativ simples Bieterprinzip. Schwieriger wird es, Auktionen so zu gestalten, dass sie fair und effizient ablaufen, wenn es um komplexere Themen geht - etwa um die Neuverteilung von TV-Frequenzen, ohne dass die Sender sich gegenseitig beeinträchtigen.
Oder bei der Zuweisung von Wasserrechten. Da geht es nicht nur um die Menge an Wasser, die jeder einzelne Betrieb erhält, sondern ein recht grosser Teil des Wassers fliesst zurück in die Natur, und was der eine Betrieb tut, hat Auswirkungen auf umliegende Farmen.
Nicht nur berühmte Gemälde werden heute per Auktion verkauft, auch Staatsanleihen oder Emissionszertifikate. Dieser Bieterwettbewerb ist in der Wirtschaft allgegenwärtig und findet immer neue Anwendungsgebiete.
Die Stanford-Forscher Paul Milgrom und Robert Wilson haben Auktionen jahrzehntelang erforscht und erhielten 2020 den Wirtschaftsnobelpreis. Sie untersuchten unter anderem die Angst vor dem "Fluch des Gewinners": Befürchten Auktionsbeteiligte, am Ende des Bieterwettstreits doch zu viel zu zahlen, könnten sie sich im Zweifel eher zurückhalten. Deshalb ist es laut den Wissenschaftlern sinnvoll, Auktionen transparent zu gestalten und von Anfang an realistische Preisvorstellungen zu vermitteln.
Aus diesem Grund entwickelten die Forscher für die Versteigerung von US-Mobilfunklizenzen in den 1990er-Jahren ein bahnbrechend neues Verfahren, die Simultaneous Multiple-Round Auction (simultane Mehrrundenauktion): Alle Auktionsobjekte werden gleichzeitig versteigert. Am Ende jeder Runde erfahren die Beteiligten, wie hoch die Gebote ihrer Mitbewerber ausgefallen sind. Sie können dann entscheiden, ob sie weiterbieten oder aussteigen wollen. Beendet wird die Auktion erst, wenn kein weiteres Gebot abgegeben wird.
Das Konzept ist mittlerweile etabliert und wird auch dafür genutzt, andere öffentliche Güter zu versteigern - etwa Fischereirechte oder Strom.
Alles hängt miteinander zusammen, deshalb kann man nicht einzelne Dinge verkaufen, sondern muss das gesamte System betrachten. Das verlangt besondere Formen von Auktionen, und das sind auch diejenigen, mit denen ich mich vorwiegend befasse.
Wo liegt die Kunst in der Gestaltung einer Auktion?
Die Regeln müssen einfach sein, damit es Teilnehmern leicht fällt, ein Gebot abzugeben. Gleichzeitig braucht man Flexibilität, sodass Bieter sich etwa sagen können: "Eigentlich hätte ich gern diese Rechte hier - aber wenn das nicht funktioniert, versuche ich es da drüben." Ganz wichtig auch: Bieter müssen die Möglichkeit haben, ihre Präferenzen zu signalisieren - und ob sie bereit sind, ein hinreichendes Gebot abzugeben -, ohne Gefahr zu laufen, dass sie am Ende zu viel zahlen.
Wie verhindert man, dass alle bis zur letzten Sekunde mit ihren Geboten warten, um sich den grössten Fisch zum kleinsten Preis zu angeln?
Das nennt sich auction sniping, und die Versteigerung von Funklizenzen 1994 in den USA - meine erste Arbeit auf diesem Gebiet - war massgeblich davon beeinflusst. Mir war bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung aufgefallen, dass viele Leute sich umsahen, aber erst kurz vor Schluss ihr Gebot abgaben, damit keine Zeit für Gegengebote blieb. Das hatte ich in Erinnerung, als mein Kollege Robert Wilson und ich darangingen, für die US-Regierung die Auktion der Funklizenzen zu gestalten. Und uns war klar: Diese Art von sniping müssen wir verhindern.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Wir haben uns ein Regelwerk ausgedacht, das neu und ungewöhnlich war - und am Ende so erfolgreich, dass es überall auf der Welt aufgegriffen wurde. Eine Vorgabe war, dass die Auktion sich über mehrere Runden erstrecken würde, und solange es Gebote gab, konnten andere darauf antworten. Es gab also keinen Weg, Gegengebote zu verhindern. Um eine aktive Beteilung zu fördern, schufen wir ausserdem die Regel, dass bei jeder Runde alle Interessenten mitbieten mussten. Niemand konnte zunächst abwarten, um später einzusteigen und andere zu überbieten. Auf diese Weise haben wir den Prozess der Preisfindung erzwungen, und es hat wunderbar funktioniert.
Regierungen sind Ihnen sicher dankbar: Allein das Versteigern von Mobilfunklizenzen hat viele Milliarden in Staatskassen gespült. Telekom-Konzerne aber kritisieren, dass ihnen am Ende Geld fehle, um die Netze auszubauen - weil sie ja schon so viel für die Frequenzen ausgeben mussten.
Das ist ein politisch motiviertes Argument und für meine Begriffe nicht ernstzunehmen. Mal angenommen, ein privates Unternehmen will etwas verkaufen, dann wird es das nicht unter Wert tun, sondern eine Auktion veranstalten. Aber wenn der Staat sich genauso verhält, sind plötzlich all diese Unternehmen, die sonst an freie Marktwirtschaft glauben, der Ansicht: Das ist eine schlechte Idee? Wenn eine Technologie wertvoll ist, dann lässt sich auch ihre Nutzung finanzieren.
Schwieriger wird es, Auktionen so zu gestalten, wenn es um komplexere Themen geht.
Selbst wenn sie sich so schnell weiterentwickelt wie Internet und Mobilfunk?
Dieses Argument ist mir auch schon begegnet, aber selbst wenn das stimmt: Niemand zwingt die Konzerne, mehr für die Lizenzen zu bezahlen, als sie wert sind. Wenn die Firmen mitbieten, glauben sie auch daran, dass sich ihre Investitionen lohnen - dass sie davon profitieren können. Dazu kommt: Wenn die Lizenzen so wertvoll sind, taugen sie auch als Sicherheit für Anleihen. Deshalb sind diese Klagen in meinen Augen Scheinargumente, eine Form von Lobbyismus. Sie sollen den Unternehmen helfen, Preise zu drücken und weniger an den Staat zu zahlen.
Taugt das Mobilfunk-Auktionsmodell als Blaupause für andere öffentliche Güter?
Jede Anwendung verlangt ihr eigenes Auktions-Design. Bei der Zuweisung von Wasserrechten etwa geht es nicht nur um die Menge an Wasser, die jeder einzelne Betrieb erhält, sondern ein recht grosser Teil des Wassers fliesst zurück in die Natur - sei es in Bäche oder ins Grundwasser; und was der eine Farmer tut, hat Auswirkungen auf umliegende Farmen. Alles hängt miteinander zusammen. Deshalb kann man nicht einzelne Dinge verkaufen, sondern muss das gesamte System betrachten. Solche Auktionen verlangen nach einem speziellen, geschlossenen Design, das alles berücksichtigt, was an Effekten auftreten kann.
Welche Voraussetzungen braucht es dafür?
Technologie wird sicher eine enorme Rolle spielen. Wenn wir wissen wollen, wieviel Wasser, das einem Fluss entnommen wird, tatsächlich bei den Pflanzen ankommt, können wir heute auf Satellitenaufnahmen zurückgreifen. Wir können analysieren, wieviel vom Boden aufgenommen wird, wieviel abfliesst und welche Wege es sich sucht. Diese Messungen sind ein wichtiger Teil der Lösung. Denn um sicherzustellen, dass Rechte fair gehandelt werden können, müssen wir zunächst verstehen, wie das System funktioniert und welche Auswirkungen der Handel auf andere Beteiligte hat.
Weltweit stehen wir vor einer ähnlichen Herausforderung: Es gibt nur einen Planeten, aber alle erheben Anspruch auf seine Ressourcen.
Beim Klimawandel ist klar: Wir müssen den Ausstoss von Treibhausgasen begrenzen, und wir müssen sicherstellen, dass diejenigen Emissionen, die wir weiterhin zulassen, aus gutem Grund anfallen. Denn wir werden es nicht überall schaffen, CO2-neutral zu arbeiten. Aber dort, wo es nicht anders geht, sollte es um wertvolle Dinge gehen. Zugleich sollte es belohnt werden, den eigenen CO2-Ausstoss zu reduzieren. Kohlenstoffmärkte, die nach dem Auktionsprinzip Preise für Emissionen ermitteln, helfen dabei, diese beiden Ziele zu erreichen.
Wenn Investoren die Entwicklung neuer Lösungen fördern, bewegen wir uns in die richtige Richtung.
Emissionshandel steht in der Kritik, nicht effektiv genug zu sein.
Die Methode ist umstritten, zugegeben. Auch sie erfordert Messwerte. Wir müssen wissen, wieviel CO2 tatsächlich ausgestossen wird und wer die Emissionen verursacht - oder wem sie zugeschrieben werden sollen. Nehmen Sie als Beispiel Benzin: Wer ist für die Emissionen verantwortlich - die Raffinerie, die das Benzin produziert? Oder die Autobesitzer, die es verbrennen? Und wenn sich die Emissionen, die bei der Nutzung anfallen, nicht vernünftig messen lassen, vielleicht ist es dann sinnvoller, sich an der Produktion zu orientieren? Das sind komplexe Fragen, die wir klären müssen, damit das System funktioniert.
Komplex bedeutet meistens langsam. Sehen Sie Wege, schneller etwas zu bewirken?
Da bin ich pessimistisch. Wir sehen das in den USA: Eine Alternative zum Emissionshandel ist die direkte Besteuerung von CO2-Emissionen, doch es gab grossen Widerstand gegen eine neue Steuer. Die Biden-Regierung hat sich schliesslich dazu entschlossen, lieber Einsparungen beim CO2-Ausstoss zu belohnen, als höhere Emissionen zu bestrafen. Wir kämpfen noch mit der Herausforderung, Lösungen zu finden, die tatsächlich etwas bewirken, und ich bin nicht sicher, dass wir dabei schnell genug Fortschritt machen.
Wie können Investoren einen positiven Beitrag leisten?
Wir haben schon die wichtige Rolle angesprochen, die Technologie spielt, und wenn Investoren die Entwicklung neuer Lösungen fördern, bewegen wir uns in die richtige Richtung. Das sehen wir am Beispiel Wassernutzung: Bessere Methoden, den Verbrauch zu ermitteln, bilden die Grundlage für effektive Wassermärkte. Und sobald wir effektive Wassermärkte haben, entstehen ökonomische Anreize, den Verbrauch zu reduzieren. Das wiederum macht Technologien wertvoller, die landwirtschaftlichen Betrieben helfen, sparsamer mit der Ressource Wasser umzugehen. Oder es schafft Anreize, neue Arten von Entsalzungsanlagen zu entwickeln, denn bisher kostet die Umwandlung von Meerwasser in Süsswasser viel Geld und Strom.
Können Marktmechanismen solche Probleme überhaupt lösen - oder stossen sie an Grenzen?
Märkte können sehr flexibel auf ganz unterschiedliche Bedingungen reagieren. Sie profitieren von dezentralem Wissen und Eigeninitiative. Der Staat kann das nicht. Aber Märkte können auch auf vielerlei Weise scheitern. Es ist nicht immer einfach, Marktbedingungen zu schaffen, die gut funktionieren. Und wenn das nicht möglich ist, dann bleibt manchmal nur das Eingreifen der Regierung als Lösung übrig. Mein Ziel ist es, das Räderwerk der Märkte besser zu schmieren, damit die Mechanismen überall dort greifen können, wo sie das Potenzial bieten, einen Mehrwert zu schaffen.
Header Visual © Keystone/ AP Photo / Seth Wenig.