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Market View & Insights
Großkonzerne wie Richemont, Swatch Group, LVMH oder Kering prägen das aktuelle Geschehen rund um luxuriöse Armbanduhren. Familienunternehmen wie Patek Philippe sind in diesem Metier selten geworden. Was ist ihr Erfolgsrezept?
Hoch oben am Olymp feinster Zeitmessung wehen mitunter eisige Winde: Patek Philippe war 1839 von Norbert Antoine de Patek ins Leben gerufen worden. Im Zuge des New Yorker Börsenkrachs vom 24. Oktober 1929 und der anschließenden Weltwirtschaftskrise stand es dann aber kurz vor dem Zusammenbruch. Aufträge brachen weg und Zahlungen blieben aus.
Die Protokolle belegen: Im Verwaltungsrat des nach dem Rückzug der Pateks von der Familie Philippe dominierten Betriebs herrschte tiefe Depression. Ohne finanzkräftigen Partner drohte das Aus. Jacques-David LeCoultre, der wichtige Rohwerkelieferant aus dem Vallée de Joux, und seine Holding SAPIC zeigte großes Interesse. Aber seine Übernahmebedingungen schienen absolut inakzeptabel.
In dieser von Verzweiflung geprägten Situation tauchten unerwartet zwei Weiße Ritter auf. Ohne großes Aufsehen erwarben Charles und Jean Stern sukzessive die freien Aktien der Patek, Philippe & Cie. Die Eigentümer der Zifferblattfabrik Stern Frères waren langjährige Lieferanten. Sie kannten natürlich die heftig gebeutelte Firma und deren umfassenden Werte. Ihr Engagement brachte eine Wende, die bis in die Gegenwart reicht.
Charles und Jean Stern verstanden sich zwar trefflich auf die Herstellung hochwertiger Zifferblätter, weniger jedoch auf die Produktion anspruchsvoller Luxusuhren. Dem wirkten die Brüder durch Einstellung eines erfahrenen technischen Direktors entgegen. Jean Pfister stieß von der Manufaktur Tavannes Watch zu Patek Philippe.
Im Wissen um die Bedeutung uhrmacherischer Unabhängigkeit initiierte er unverzüglich die Entwicklung und Fertigung eigener Basiskaliber. Überdies führte der Chef 1934 Referenznummern für neue Uhrenmodelle ein. Als echte Ikone kann die schlichte 96 gelten. "Calatrava", benannt nach dem Markenzeichen der Firma, schrieb sie Geschichte.
Extrem viel verdankt Patek Philippe dem 1911 geborenen Sohn von Charles Stern. Nach einer beruflichen Zwischenstation in der familiären Zifferblattfabrik wechselte Henri Stern auf eigenen Wunsch nach Genf zur Uhrenmanufaktur.
Er bereute es nach eigenem Bekunden nicht: „Dort hatte ich das große Glück, Jean Pfister kennenzulernen. Er war aus dem gleichen Holz geschnitzt wie mein Vater. Beide glaubten an moralische Grundsätze, konnten auch nein sagen zu allen Versuchungen in schwierigen wie in guten Zeiten. Sie hinterließen in mir starke Eindrücke bezüglich moralischer Standpunkte. In diesem Zusammenhang pflegte mein Vater immer zu sagen: Manche Menschen sind käuflich, andere niemals, um keinen Preis.“
Als Chef der „Patek Philippe Incorporated of America“ lernte der Junior ab 1937 den bedeutenden amerikanischen Markt bis ins letzte Detail mit allen seinen vielen Licht-, aber auch etlichen Schattenseiten kennen. "Monatelang" so Henri Stern, "reiste ich durch die Staaten. Ich glaube, ich wusste mehr über das Land als der Durchschnittsamerikaner. Fünf bis sechs Monate pro Jahr war ich auf der Straße, als Verkäufer, um Kunden zu besuchen oder Freunde zu gewinnen, um neue Städte zu entdecken. Alles half mir, die Lebensweise der Amerikaner zu verstehen und diese zu schätzen."
Nach vorübergehender Rückkehr in die Schweiz startete Henri Stern mit Verve sein eigenes Verkaufs-Unternehmen. Ab 1946 zeichnete die New Yorker "Henri Stern Watch Agency" für den Vertrieb der Uhren von Patek Philippe und Universal Genève in den USA verantwortlich. Heute trägt das Unternehmen logischerweise den Namen Patek Philippe. Lohn für das erfolgreiche Wirken in der Neuen Welt: Die Ernennung zum Präsidenten der Familienmanufaktur im Jahr 1958.
1977 übergab Henri Stern das Ruder an seinen 1938 geborenen Sohn. Gleichermaßen bedacht wie dynamisch führte Philippe Stern das ihm anvertraute Schweizer Juwel von einem Höhenflug zum nächsten. Ihm ist der Hype um die 1976 vorgestellte und anfänglich nicht wirklich erfolgreiche „Nautilus“ zu verdanken. Wer heute sofort eine Referenz 5711 tragen möchte, muss entweder gute Beziehungen haben oder am Parallelmarkt den doppelten Preis bezahlen.
Philippe Stern machte den 150. Geburtstag der Schweizer Marke zu einem weltweit beachteten Ereignis. Die 1989 abgehaltene Jubiläumsauktion ließ die Preise für Sammleruhren förmlich explodieren. Und der überaus konsequent handelnde Präsident beförderte die Manufaktur, immer noch in Familienbesitz, zur ungekrönten Königin im Reich uhrmacherischer Komplikationen.
Ferner baute er die 1940 begonnene Kultivierung selten gewordener Handwerkskünste konsequent aus. Goldschmiede- und Juwelierarbeiten, Ziselierungen, Emailtechniken aller Art, komplexe Gravuren, Intarsien, Guillochieren: Nichts ist den fingerfertigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Patek Philippe fremd.
Bei Fertigung und Verkauf griff Philippe Stern rigoros durch. Auf steigende Nachfrage reagierte der unprätentiöse Chef scheinbar kontraproduktiv. Er drosselte die Produktion hochkomplizierter Modelle, dünnte das Händlernetz systematisch aus und verordnete seinen Vertriebspartnern eiserne Disziplin.
Zur Vermeidung von Graumarktaktivitäten mochte er den Besteller eines komplexen Top-Modells namentlich kennen. Nur wenn der passte, wurde geliefert. "Bei Patek Philippe haben wir eine Stabilisierung im Auge. Wir wollen die Sache nur der Komplikationen wegen nicht noch weiter komplizieren." Und der Erfolg solchen Handelns spricht für sich.
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Im Frühjahr 1997 ging im Genfer Stadtteil Plan-les-Ouates ein Firmengebäude mit mehr als 155'000 Kubikmetern Volumen an den Start. Seitdem befinden sich die Produktion und Administration unter einem Dach. Den künftigen Platzbedarf sichert ein kürzlich von Sohn Thierry Stern eingeweihter Neubau mit rund 50'000m² Nutzfläche auf sechs Ober- und vier Untergeschossen.
Mehr als 2'500 hochrangige Zeitmesser, nicht nur von Patek Philippe, sind seit 2001 im einzigartigen Genfer Firmenmuseum zu bewundern. Ganz im Gegensatz zur uhrmacherischen Tradition forcierte Philippe Stern Anfang des 21. Jahrhundert auch die innovative Seite des Familienunternehmens. Unter dem Schlagwort "Advanced Research" demonstrierte und demonstriert Patek Philippe mit Hilfe von Silizium, wohin die Zeit-Reise auch im High-End-Sektor der Uhrmacherei gehen wird.
Natürlich polarisiert der bis dahin primär für Computerchips verwendete Werkstoff ungemein. Doch die Erfahrung lehrt, dass beispielsweise Unruhspiralen aus thermisch stabilisiertem Silizium eine überragende Präzision gewährleisten.
Nach gründlicher Einarbeitung durch den Vater übernahm Thierry Stern 2009 die verantwortungsvolle Position. In der uhrmacherischen Premium League dreht der Spitzenreiter mittlerweile ein sehr großes Rad. Mehr als 62.000 Zeitmesser, davon ca. 9.000 mit Quarzwerk verlassen jährlich die Genfer Fertigungsstätte. Damit erwirtschaftet das Familienunternehmen schätzungsweise knapp zwei Milliarden Schweizerfranken.
Natürlich hinterlässt Covid auch hier seine Spuren. Aber um die Zukunft muss man sich keine Sorgen machen. Im Ernstfall stünden genügend Investoren bereit. Doch trotz imposanter Traumofferten ist das Juwel der Familie nicht zu verkaufen. "Was sollte ich mit dem Geld?" bekennt Thierry Stern. "Es würde uns keinen Deut glücklicher machen. Jedoch würde etwas fehlen, weil wir wirklich lieben, was wir tun."
Seine erste Armbanduhr, eine stählerne "Nautilus" bekam er mit 20. Und die "Aquanaut" mit Kautschukband, sein gestalterisches Erstlingswerk, verursacht inzwischen ebenso lange Wartelisten. Zu Lieferanten und Kunden besteht ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. "Unser Vorteil besteht in jener Glaubwürdigkeit, welche wir ganz persönlich verkörpern."
Wer mit Thierry Stern über Patek Philippe spricht, meint Vater Philippe reden zu hören. "Immerhin hatte ich den besten Lehrmeister, den man sich nur wünschen konnte. Vor allem, was sein strategisches Geschick angeht."
Als Blaupause möchte er sich dennoch nicht verstanden wissen. "Jede Generation muss das Unternehmen an die Gegenwart anpassen, um sie in die Zukunft führen zu können."
Bis zum Ruhestand ist zwar noch reichlich Zeit, aber zwei Söhne im Alter von 16 und 18 Jahren repräsentieren bereits die fünfte Generation des Schweizer Familienunternehmens. Unabhängig davon, wie es irgendwann weitergeht, demonstriert das Wirken von Charles, Jean, Henri, Philippe und Thierry Stern während der vergangenen 88 Jahre den unschätzbaren Wert familiärer Tradition.
Uhrenexperte und Journalist Gisbert L. Brunner ist Autor des Uhren-Blogs "Uhrenkosmos". Das Titelbild zeigt das Uhrwerk einer Patek Philippe Twenty-4 Automatic Referenz 7300 1450R 001 – (PPCo).