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Klimaziele erreicht, Konjunkturziele verfehlt: Ist der Klimawandel nur durch weniger Wachstum zu stoppen?

Seit dem Pariser Klimaabkommen gelingt es den Staaten nicht, die notwendigen Massnahmen einzuleiten, um die Erderwärmung auf +1.5°C zu begrenzen. Lediglich während des wirtschaftlichen Ausnahmezustands der Covid-Pandemie oder im Rahmen von konjunkturellen Kontraktionen, wie zuletzt in Deutschland, konnten westliche Staaten die versprochenen Emissionsrückgänge auch tatsächlich erreichen. Dabei drängt sich die Frage auf: Braucht es wirtschaftliche Einbussen, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden?

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Antonia Strachwitz, LGT, Cedric Baur, Equity Analyst, LGT Private Banking
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10 Minuten
The Strategist Klimaziele erreicht, Konjunkturziele verfehlt
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Verzicht lässt sich schlecht vermarkten

Aktuell verbraucht die Menschheit pro Jahr mehr planetare Ressourcen, als sich nachhaltig regenerieren können. So schätzt das Global Footprint Network, dass wir aktuell 1.75 Erden bräuchten, um unseren Lebensstil dauerhaft zu ermöglichen. Auch die Erderwärmung nimmt hierdurch weiter zu und dürfte bis 2100 deutlich über den angestrebten +2.0°C bzw. +1.5°C zu liegen kommen. Die wenigsten Menschen wollen jedoch im Alltag Abstriche machen. Verzicht für ein Ziel fern in der Zukunft ist politisch kaum mehrheitsfähig, auf die Eigenverantwortung allein kann man sich wiederum nicht verlassen. Umfragen des ZDF-Politbarometers in Deutschland im Jahr 2023 zeigen, dass die Menschen die Notwendigkeit von mehr Klimaschutz zwar einsehen (48% sagen es wird zu wenig getan), die Belastung aber schon heute als sehr hoch wahrnehmen (46%). Gibt es aber auch Lösungen, die nicht auf Verzicht beruhen müssen?

Energie ist eine zentrale Stellschraube und Wachstumstreiber

Ein entscheidender Schritt zur Erreichung der Klimaziele besteht in der Beendigung unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Hier sind es allen voran saubere Energien, Elektrifizierung, Energieeffizienz und CO2-Abscheidung/Speicherung, die das grösste Potenzial bieten. Für Verbraucherinnen und Verbraucher sind erneuerbare Energien sehr attraktiv: Solar und Wind (Onshore) gehören laut Bloomberg New Energy Finance (BloombergNEF) im Schnitt bereits heute zu den günstigsten Energieformen. Damit die saubere Energie aber auch dort ankommt, wo sie gebraucht wird, müssen die Investitionen und die nötige Netzinfrastruktur allerdings deutlich erhöht werden. Auch für die Wirtschaft sind die sauberen Energien Wachstumstreiber. Gemäss Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) haben sie 2023 etwa 10% zum globalen BIP-Wachstum beigetragen. Schon heute arbeiten weltweit mehr Menschen in den erneuerbaren Energien als im Bereich der fossilen Brennstoffe. Darüber hinaus zieht die Industrie insgesamt junge Talente an – ein Trend, der sich auch künftig fortsetzen dürfte. Die entsprechenden Branchen werden durch Programme wie den «Inflation Reduction Act» in den USA oder den Green Deal in der EU gezielt gefördert.

Erfolgreiche Energiewende erfordert Systemwandel

Die "grüne Transformation" des Energiesystems wird den Einsatz gewisser Materialien deutlich erhöhen. Für Batterien und Batteriespeicher sowie für Elektrizitätsnetzwerke werden etwa vermehrt Aluminium oder seltene Erden benötigt. Eine Studie des Breakthrough Institute sowie der University of California zeigt jedoch, dass es keine Knappheit an Aluminium, Stahl oder seltenen Erden gibt. Vielmals wird auch der Bedarf an Land kritisiert, den die erneuerbaren Energien mit sich bringen. Dieser wiederum sollte laut BloombergNEF nicht in Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion stehen. Durch den Rückgang der Nutzung von Anbauflächen zur Erzeugung von alternativen Kraftstoffen sollte ebenfalls zusätzliches Land zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt gibt es auch verschiedene Technologien, die je nach Gegebenheiten eingesetzt werden können. Länder mit begrenzter Fläche werden z.B. eher auf Wind oder Geothermie setzen als auf Solarenergie.

Die Energiewende soll dem Raubbau am Planeten jedoch nicht weiteren Aufwind verleihen. Eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahre besteht daher auch darin, den Ressourcenverbrauch weiter zu reduzieren und gleichzeitig Rohstoffe effizienter zu nutzen. Die Abkehr vom linearen Modell - "produzieren, verwenden, entsorgen" - hin zu einem Kreislaufmodell ist dabei ein wichtiger Schritt. Beim Design und bei der Verwertung von Produkten muss darauf geachtet werden, Materialien sparsam einzusetzen und so lange wie möglich im wirtschaftlichen Kreislauf zu halten. Im Bereich Windkraft etwa wird zukünftig auf recycelbare Rotorblätter gesetzt, was Folgeabfälle sowie Emissionen im Produktionsprozess deutlich senken wird. Ein US-amerikanischer Hersteller von Solarzellen wiederum sammelt schon heute rund 90% der Materialien und verwendet diese wieder. Auch Kabel für die Stromübertragung sind in hohem Masse recyclebar. Laut IEA hat der Materialeinsatz insgesamt bereits deutlich abgenommen: bei Solarzellen im Vergleich zu 2010 um fast 60% (Polysilizium) und bei Elektroautos um knapp 30% (Lithium).

Die Zeit Chancen zu nützen ist jetzt 

Massnahmen gegen den Klimawandel sind im Gange, aber die Klimamodelle zeigen, dass vieles deutlich schneller und in grösserem Umfang geschehen muss als bisher. Das Zeitfenster, das uns erlaubt, die Welt in einem gemässigten Klimaszenario zu halten, schliesst sich. Letztlich werden wir in Zukunft eine Mischung aus Technologien zur CO2-Minderung sowie Anpassungsmassnahmen an das neue Klima brauchen. Anpassung alleine scheint aber aus finanziellen Gründen wenig attraktiv: Je höher der Temperaturanstieg, desto gewaltiger dürften die Kosten ausfallen. Eine Studie des Potsdam Instituts für Klimaforschung (PIK) kommt zum Schluss, dass bis 2050 pro Jahr etwa USD 38 Billionen an Kosten für wirtschaftliche Schäden im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu erwarten sind. Damit sind sie rund sechsmal höher als die geschätzten notwendigen Investitionen, um die Erderwärmung auf einem Pfad von max. +2.0°C zu halten. Dabei wurden sogenannte "Kippunkte" in Ökosystemen noch nicht berücksichtigt. Kippunkte beschreiben kritische Grenzen in Erdsystemen, deren Überschreitung zu irreversiblen oder sich sogar verstärkenden Klimaänderungen führen kann. Die Wissenschaft kann aktuell noch nicht vorhersagen, wie viele es davon gibt und wann bzw. wie diese letztlich reagieren werden. Die obigen Zahlen stellen somit eher konservative Schätzwerte dar.


Um die Klimakatastrophe abzuwenden, müssen sich ganze Sektoren im Rekordtempo umstellen. Gesellschaftlich und kulturell komplexe Themen wie unsere westlichen Konsum- und Ernährungsgewohnheiten, die ebenfalls massiv zu unseren Emissionen beitragen, haben wir in diesem Beitrag bewusst ausgeklammert. Die Energiewende erscheint dagegen geradezu simpel: Die Technologien für die «grüne Transformation» unseres Energiesystems sind heute schon verfügbar, umsetzbar und wirtschaftlich attraktiv. Wer ökonomisch denkt, setzt auf Investitionen heute, anstatt künftig – und auf unabsehbare Zeit – den unberechenbaren Preis für die Konsequenzen unserer Untätigkeit zu bezahlen. 

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