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Wahlen in Deutschland: Kann das die Wirtschaftskrise heilen?

Während die Welt auf den Machtwechsel in den Vereinigten Staaten blickt und sich über Importzölle Sorgen macht, steht Europa vor seinen eigenen politischen Veränderungen. In Deutschland wird am 23. Februar gewählt, nachdem die Koalitionsregierung im November 2024 gescheitert ist. Diese Wahl könnte für die deutsche Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sein. 

Datum
Autor
Tina Jessop, Senior Economist, LGT Private Banking
Lesezeit
10 Minuten

Parlamentsgebäude Deutschland
© Shutterstock

Nach fünf Jahren wirtschaftlicher Stagnation (im Vergleich zu einem Wachstum von 5% in der gesamten Eurozone) und düsteren Aussichten für 2025 (die Deutsche Bundesbank prognostiziert ein reales BIP-Wachstum von 0.2%) ist die Stimmung im Privatsektor auf einem Tiefpunkt und wirtschaftliche Sorgen dominieren den öffentlichen Diskurs. Wachstumsfördernde Massnahmen und eine Lockerung der Fiskalpolitik könnten 2025 und 2026 eine moderate konjunkturelle Erholung auslösen.

Der kranke Mann Europas braucht dringend eine Vitaminspritze

Die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands sind grösstenteils struktureller Natur und wurden durch eine jahrelange strenge Fiskalpolitik und politische Fehler verschärft, die zur Deindustrialisierung der Wirtschaft beigetragen haben. Die deutsche Infrastruktur ist veraltet, es gibt einen Mangel an Fachkräften in verschiedenen Sektoren, das Land hinkt bei der digitalen Infrastruktur und der Einführung neuer Technologien hinterher, Bürokratie und Papierkrieg sowie eine schmerzhafte Energieunsicherheit hemmen Unternehmertum und Wettbewerbsfähigkeit. Die Rezession im Industriesektor (die Industrieproduktion ist seit 2017 um 15% zurückgegangen) und die schwache private Nachfrage verschärfen die strukturellen Schwächen (auch wenn sie zum Teil durch diese bedingt sind).

Dies führt dazu, dass sich die politischen Parteien auf die Wiederbelebung der Wirtschaft konzentrieren. Die Erwartungen des Marktes an politische Fortschritte sind gering, und es gibt keine einfache oder schnelle Lösung für die strukturellen Probleme Deutschlands. Abgesehen von einem Ergebnis wie in Frankreich, wo keine Koalitionskonstellation eine parlamentarische Mehrheit erreicht und politischer Stillstand herrscht, könnte eine neue deutsche Regierung mit einer wachstumsfreundlichen Agenda überraschen. Dies könnte in der zweiten Jahreshälfte 2025 und bis 2026 für eine gewisse konjunkturelle Entlastung sorgen.

Die wirtschaftspolitischen Programme der wichtigsten Parteien

  • Die CDU/CSU verspricht, die Einkommensteuer zu senken, den Körperschaftsteuersatz auf 25% zu senken, die Regulierung zu reduzieren, die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmerinnen und -nehmer zu senken, mehr Anreize für Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen zu schaffen, das "Bürgergeld" abzuschaffen, die Einwanderungskontrolle zu verschärfen, die Energiepreise zu senken und möglicherweise die Kernkraft wieder einzuführen.
  • Die SPD will die Einkommensteuer für Haushalte mit geringem Einkommen senken, die Steuern für Reiche erhöhen, den Mindestlohn bis 2026 auf 15 Euro anheben, einen Infrastrukturfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro einrichten, Investitionen in in Deutschland hergestellte Anlagen mit 10% steuerlich begünstigen und die Energiewende beschleunigen und gleichzeitig die Energiepreise senken.
  • Die Grünen wollen mehr Investitionszuschüsse bereitstellen, einkommensschwache Haushalte bei den klimabedingten Kosten unterstützen, die Energiepreise senken und diese Initiativen teilweise durch eine Reichensteuer finanzieren.
  • Die Alternative für Deutschland (AfD) befürwortet Steuersenkungen, den Austritt aus der EU und die Abschaffung des Euro. Die AfD schlägt vor, die Grenze für Migranten ohne Papiere zu schliessen und Asylbewerber an der Grenze in Gewahrsam zu nehmen, die Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen zu erhöhen und den Import von russischem Erdgas wieder aufzunehmen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt, dass die Steuervorschläge im Wahlprogramm der SPD 30 Milliarden Euro, im Wahlprogramm der Grünen 48 Milliarden Euro, im Wahlprogramm der CDU 89 Milliarden Euro und im Wahlprogramm der AfD 149 Milliarden Euro für die Privatwirtschaft freisetzen könnten. CDU/CSU, SPD und Grüne wollen zudem die Militärausgaben auf mindestens 2% des BIP erhöhen und in die Infrastruktur investieren. 

Das Versprechen höherer Ausgaben und niedrigerer Steuern wird jedoch von der "Schuldenbremse" überschattet. Diese wurde 2009 eingeführt und in der deutschen Verfassung verankert. Sie begrenzt das strukturelle Haushaltsdefizit auf 0.35% des BIP. Während dies in normalen Zeiten lobenswert ist, rechtfertigen die vergleichsweise niedrige Schuldenquote Deutschlands (die bei rund 60% liegt, verglichen mit rund 90% für die Eurozone insgesamt) und der sich beschleunigende strukturelle Abschwung eine Lockerung der strengen Haushaltsbeschränkungen. Für eine Lockerung ist eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit erforderlich. SPD und Grüne befürworten eine Lockerung der Schuldenbremse, während die CDU/CSU Bedenken geäussert hat und die AfD an der Schuldenbremse festhalten will.

Aktuelle Umfragen: CDU/CSU in Führung, aber Koalition für Regierungsbildung notwendig

In aktuellen Umfragen gelten eine "Grosse Koalition" aus CDU/CSU (31% der Stimmen laut jüngster Forsa-Umfrage) und SPD (16%) oder eine "schwarz-grüne" Koalition aus CDU/CSU und Grünen (13%) als wahrscheinlichste Ergebnisse. Eine Koalition aus CDU und AfD (20% der Stimmen) ist angesichts der kontroversen Haltung der AfD zu verschiedenen Themen eher unwahrscheinlich. Die kleineren Parteien, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die FDP und die Linke, liegen alle um die 4% und damit unter der 5%-Hürde für den Einzug in den Bundestag. 

Politischer Kompromiss als Schlüssel zur wirtschaftlichen Trendwende

Die mittelfristigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft bleiben angesichts struktureller Herausforderungen und wachsender Konkurrenz aus China eingetrübt. Es wurden politische Fehler gemacht, deren Korrektur Jahre dauern wird. Aus rein konjunktureller Sicht und angesichts der düsteren Wirtschaftsprognosen sehen wir die bevorstehenden Wahlen jedoch als Chance für eine kleine, aber dringend benötigte wirtschaftliche Atempause.

Bei den wahrscheinlichen Ergebnissen der Koalitionskonstellation sehen wir Spielraum für Kompromisse in den Bereichen Steuersenkungen, Energiepreise sowie Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben (fiskalische Expansion). Dies dürfte die private Nachfrage stützen. Deregulierung und Bürokratieabbau (in Verbindung mit einem niedrigeren EZB-Einlagenzins) sollten sich positiv auf die Stimmung in der Wirtschaft und die Investitionstätigkeit auswirken. Die grössten Risiken für die deutsche Wirtschaft gehen von einer politischen Pattsituation und - um den Bogen zur neuen US-Regierung zu schlagen - von der Zollpolitik unter Donald Trump aus.

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