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Market View & Insights
"People first" oder "Menschen im Mittelpunkt" ist heutzutage ein Modewort, eine Art Lippenbekenntnis zum Stellenwert der Mitarbeitenden seitens der Unternehmen, dem jedoch oft keine Taten folgen.
Was aber geschieht, wenn dieses Schlagwort tatsächlich mit Inhalt gefüllt wird? Was, wenn sich so das volle Potenzial des wertvollsten Aktivums eines Unternehmens - d. h. seiner Mitarbeitenden - erschliessen lässt?
Wenn man dieses vielzitierte Konzept von allem Ballast befreit, zeigt es sich in seiner ganzen Wirkungsmacht. Es geht nicht nur um oberflächliche Zuwendungen oder symbolische Gesten wie eine Bar mit kostenlosen Getränken oder Gratis-Snacks. Eine Führung, die das Konzept "People first" ernst nimmt, schlägt tiefe Wurzeln und führt zu einer Kultur, innerhalb derer die Mitarbeitenden Wertschätzung, Respekt und Selbstwirksamkeit erfahren. Aber aufgepasst: Dies ist keine banale Wohlfühlinitiative, sondern ein strategisches Gebot, dessen Umsetzung einen realen, positiven Gewinnbeitrag bedeutet.
Wir erwarten von unseren Kollegen, dass sie hart arbeiten, und im Gegenzug behandeln wir sie sehr gut.
Der britische Timpson-Konzern ist ein Schuhmacher- und Schlüsseldienstunternehmen - und ein leuchtendes Beispiel für geschäftlichen Erfolg dank Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden. In seinem Buch "Upside Down Management" befasst sich der Konzernvorsitzende Sir John Timpson mit dem gleichnamigen Managementsystem seines Unternehmens: Sein Wesen besteht darin, dass die Kadermitglieder sicherstellen, dass die Mitarbeitenden (die als Kolleginnen und Kollegen bezeichnet werden) ein Mitspracherecht haben. Sir John macht sich stark für "People first" nach dem Grundsatz: "Wer mit seinen Kolleginnen und Kollegen korrekt umgeht, sorgt dafür, dass sie mit der Kundschaft korrekt umgehen, und somit für nachhaltige Kundenbindung." Er betont auch, dass "wir von unseren Kolleginnen und Kollegen harte Arbeit erwarten und sie im Gegenzug ausserordentlich gut behandeln". Diese einfache, aber tiefgründige Geschäftsphilosophie hat Timpson zu einem Jahresumsatz von 300 Millionen GBP verholfen.
Der Ansatz von Timpson wird durch die Forschung bestätigt. Der jüngste Bericht zum Engagement-Index des Gallup-Instituts belegt, dass Mitarbeitende mit einer engen Bindung an ihr Unternehmen präsenter und produktiver sind, vermehrt auf die Bedürfnisse der Kundschaft eingehen und Prozesse, Normen und Systeme gründlicher befolgen. Mehr noch: Das Verhalten eng gebundener Mitarbeitender führt zu einem Profitabilitätsplus von 23 Prozent.
Auch das Research von McKinsey bei über 1000 Organisationen mit insgesamt mehr als drei Millionen Personen legt den Schluss nahe, dass die Unternehmen mit der besten Unternehmenskultur eine Aktionärsrendite ausweisen, die 60 Prozent über dem Median liegt und 200 Prozent über der Aktionärsrendite der Unternehmen im untersten Quartil. Dies sind keine nackten Zahlen in einer Tabelle; dies sind die materiellen Auswirkungen des "People first"-Ansatzes.
Wie lässt sich "People first" nun in die Praxis umsetzen? Das Mutterhaus zweier führender britischer Detailhändler, die John Lewis Partnership, macht es vor. Das Unternehmen ist eine Personengesellschaft britischen Rechts, die sich im Besitz der Mitarbeitenden ("Partners") befindet. Sie sind an den geschäftlichen Entscheidungen und an den Erträgen des Unternehmens beteiligt. Diese einzigartige Struktur fördert das Verantwortungsgefühl und den Stolz auf das Unternehmen bei den Mitarbeitenden: John Lewis hat nicht umsonst eine Reputation für ausgezeichneten Kundendienst und enge Kunden- und Mitarbeiterbindung.
In den letzten Jahren stand das Unternehmen - wie viele Mitbewerber ebenfalls - vor zahlreichen Herausforderungen wie Schliessungen von Warenhäusern und Restrukturierungen. Inzwischen hat eine Reihe von Konkurrenten und Detailhandelsketten in den Innenstädten aufgegeben und ihre Geschäftstätigkeit eingestellt. Wie es der Zufall will, gab John Lewis am selben Tag, als ein Bericht von PwC die Geschäftsschliessungen von Ladenketten im Jahr 2023 mit 11’530 bezifferte, bekannt, dass die Kundenfrequenzen zugenommen hätten und das Unternehmen wieder profitabel sei. Somit hat sich das Partnerschaftsmodell als solide Basis in schwierigen Zeiten erwiesen und sich bewährt, um das Unternehmen auf zukünftiges Wachstum auszurichten.
American Express ist ebenfalls ein gutes Beispiel für die Wirkungsmacht des "People first"-Konzepts. Stephen Squeri, der CEO des Unternehmens, hat seine Geschäftsphilosophie von seinem Vater übernommen: "Er ging mit allen auf Augenhöhe um, ob Lagermitarbeitende oder Vorgesetzte oder Gleichgestellte. Er behandelte sie alle mit umfassendem Respekt und wurde daher auch selbst umfassend respektiert." Stephen Squeri ist es gelungen sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden von American Express nicht "nur dadurch motiviert werden, dass sie den Fortbestand des Unternehmens sichern, sondern auch dadurch, dass sie American Express zu einem besseren Unternehmen machen". Dies scheint sich durchaus auszuzahlen: Im Jahr 2023 wies das Unternehmen rekordhohe Erträge und Gewinne aus.
Auch im Sport hat sich eine dynamische Auffassung von Führung entwickelt, wie das Beispiel von Ben Stokes, dem Captain der englischen Cricket-Mannschaft, zeigt: Das ehemalige ʺAlphatierʺ ist heute ein Meister der Psychologie. Sein Ansatz hat die Ergebnisse von England revolutioniert. Mit seinen Fähigkeiten als Manager, seinen unmissverständlichen Ansagen, seinem Mut zur eigenen Überzeugung hat er England elektrisiert und als Test Captain hervorragende Leistungen erbracht. Klarheit und Mut – zwei einfache Charakterzüge von wesentlicher Bedeutung für ʺPeople firstʺ-Führung.
Auf der anderen Seite des Atlantiks ist das Football-Team von Pittsburgh, die Pittsburgh Steelers, exemplarisch für diesen Ansatz. Unter Coaches wie Chuck Noll, Bill Cowher und Mike Tomlin setzt das - seit seiner Gründung 1933 im Besitz derselben Familie befindliche - Team auf eine familiäre Atmosphäre. Mit Erfolg, wie sechs Super-Bowl-Siege und zahlreiche Playoffs beweisen. Der Einsatz der Steelers für das Wohlergehen der Mannschaft und der Gemeinschaft bringt ihnen nicht nur Siege ein, sondern unterstreicht auch, dass die Priorisierung des kollektiven Wohlbefindens zu sportlichen Erfolgen beiträgt, eine Tradition der Resilienz schafft und die Gemeinschaft prägt. "People first" ist wirkungsvoll, weil dieser Ansatz ein Erfolgstreiber für Organisationen ist.
Womit fangen Sie an, wenn Sie in einer Führungsposition sind und ein ʺPeople firstʺ-Unternehmen aufbauen wollen? Als Erstes sollten Sie Ihre zentralen Werte und Ihr Leitbild ausformulieren. Sorgen Sie für ein positives Arbeitsumfeld, das offene Kommunikation, Zusammenarbeit und Rückmeldungen begünstigt. Und gehen Sie insbesondere mit gutem Beispiel voran: Engagieren Sie sich bei jedem Entscheid sichtbar für ʺPeople firstʺ.
Eventuell klingt das ganz einfach, aber Sie müssen mit grosser Entschlossenheit vorgehen, sorgfältig eine Kultur der Empathie, des Respekts und der Inklusion fördern und sich genuin für laufende Weiterentwicklungen und Verbesserungen einsetzen. Zahllose Erfolgsgeschichten bezeugen, dass dieser Ansatz sich immens lohnt. Wer als Führungskraft Menschen in den Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit stellt, hat die Möglichkeit, nachhaltige Unternehmen zu schaffen, die nicht nur Stürme überstehen können, sondern auch gedeihen und ein bleibendes Vermächtnis in Form von positiven Veränderungen hinterlassen.
Die Ergebnisse, d. h. der unternehmerische Erfolg und die persönliche Erfüllung, sind den Einsatz aber in jedem Fall wert. Suchen Sie sich Mentorinnen und Mentoren, Beraterinnen und Berater, andere Unternehmerinnen und Unternehmer, die Ihre Werte teilen und Sie begleiten, beraten und unterstützen können. Und vergessen Sie nicht, dass die grösste Investition in ein neues "People-first"-Unternehmen nicht zwingend monetärer Art ist, sondern Leadership.