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Market View & Insights
ARM, Birkenstock, Sandoz & Co.: Nach einer Kältephase läuft das Geschäft mit IPOs wieder heisser. Dabei sind starke Geschichten genauso wichtig wie gute Zahlen. Gelingt beides, liegt am ersten Börsentag sogar ein kleiner Hype drin. Lohnt es sich für Anlegerinnen und Anleger, von Anfang an dabei zu sein?
Intel inside? Denkste! Die Chance hat Intel vor über 15 Jahren verspielt. Damals gab der Konzern dem Apple-Gründer Steve Jobs einen Korb, als dieser ihn bat, Chips für sein erstes iPhone beizusteuern. Als Resultat stecken heute in fast allen Smartphones Prozessoren, die nach dem Konzept von ARM funktionieren - ein Kürzel für: Advanced RISC Machines.
Dennoch kennt die breite Öffentlichkeit ARM erst seit Kurzem. Das Unternehmen legte am 14. September 2023 an der US-Technologiebörse Nasdaq den bisher grössten Börsengang, oder Initial Public Offering (IPO), des Jahres hin. Die beauftragten Banken legten den Preis pro Aktie des Chip-Designers auf 51 US-Dollar fest. Erstmals flimmerte das Papier bei einem Kurs von 56.10 US-Dollar übers Tableau der US-Nasdaq, 10 Prozent über dem Ausgabepreis.
Für ARM war es ein Comeback. Die Aktien des Unternehmens aus Cambridge waren bereits von 1998 bis 2016 an der Börse notiert. Dann kam der japanische Investor Softbank und kaufte ARM auf. Eigentlich wollte der Softbank-Gründer Masayoshi Son sein Aktienpaket an Nvidia verkaufen. Doch der Deal scheiterte an den Wettbewerbshütern. Nun hat die IPO "Notlösung" dem Technologiekonzern 4,9 Milliarden US-Dollar in die Kassen gespült. Dabei bleibt diese 90-Prozent-Eignerin von ARM.
Nicht nur Tech-Firmen denken über einen Börsengang nach. Ungleich weiter in der Vergangenheit liegen die Ursprünge eines deutschen Traditionshauses, das aber nicht die Frankfurter Börse, sondern die Wall Street bevorzugt. Vor bald 250 Jahren soll der Schuhmacher Johannes Birkenstock das Fussbett fürs gleichnamige Unternehmen geschustert haben.
Galten die "Birkenstöcker" jahrzehntelang als Synonym für Heiland-Sandalen, zeigt niemand Geringeres als "Barbie", dass der Image-Wandel gelungen ist: Im Film entscheidet sie sich für ein pinkfarbenes Paar "Birkenstock".
Trotzdem sollte das nicht zu sehr überraschen. Seit 2021 gehört Birkenstock hauptsächlich der Beteiligungsgesellschaft L Catterton, hinter welcher der Luxuskonzern LVMH steht. L Catterton gab vor dem Börsengang an, die Kontrolle über das Latschen-Haus behalten zu wollen. Ob das auch so bleibt, nachdem Birkenstock an die Börse gestolpert ist?.
Auch die Schweizer Börse durfte sich am 4. Oktober auf Zuwachs freuen. Novartis verselbständigt die Generika-Tochter Sandoz. Bei älteren Investoren schwingt bei diesem Namen mit, dass so einst der Pharma- und Chemie-Riese hiess, der 1996 in Novartis aufging.
Novartis erhofft sich von dem Spin-off, sich besser auf die Kernkompetenzen - patentgeschützte "Innovative Medicines" - konzentrieren zu können. Freuen dürfen sich jedenfalls Novartis-Aktionäre über diese Information: Sie erhalten pro fünf Aktien ein Sandoz-Papier geschenkt.
ARM, Birkenstock und Sandoz bilden nur die Spitze des Eisbergs. Nachdem die Zinserhöhungen letztes Jahr viele IPO-Träume von Unternehmen platzen liessen, warten derzeit wieder etliche Firmen auf ihre Aktienplatzierungen. Allerdings noch immer nicht so viele wie in den goldenen Börsenjahren vor dem Millennium.
Weshalb ist es für viele Firmen gar nicht mehr so attraktiv, ihre Papiere im breiten Publikum zu streuen? "Vor allem kleinere Unternehmen verzichten heute auf einen Gang an die Börse", sagt Jay R. Ritter von der University of Florida. Er registriert seit Jahrzehnten fast jedes IPO und analysiert minutiös, wie sich die Preisbildung von Aktien nach dem IPO entwickelt.
Die letzten Jahrzehnte haben viele Risikokapitalgeber auf den Plan gerufen. Somit können sich Startups länger privat finanzieren, argumentiert Ritter. "Und wenn sie rasant wachsen, lassen sie sich von einem Grosskonzern aufkaufen, statt den Börsengang anzupeilen."
Nicht von ungefähr zieht es viele europäische Firmen wie Birkenstock an die Wall Street. Grosse Gewinner gab es fast ausnahmslos am US-Markt: Microsoft (1986), Amazon (1997), Nvidia (1999), Google (2004), Facebook (2012), Moderna (2018). "Vor allem in den Bereichen Biowissenschaften und Technologie haben die USA die Nase vorn", meint "Mr. IPO" Ritter. Zudem zählen bei einem Börsengang nicht nur Fakten und Zahlen, sondern ebenso Geschichten und Emotionen.
In seinem immensen Datenfundus hat Ritter zwei Hauptmuster identifiziert. Erstens schnellen am ersten Tag eines Börsengangs die meisten Aktien hoch. Zweitens behaupten sich Grosskonzerne besser. Kleinere Firmen tendieren dazu, schlechter abzuschneiden und längerfristig ins Hintertreffen zu geraten. "Das gilt in Europa genauso wie in den USA", fügt Ritter hinzu.
Konkret lagen die Aktienkurse nach Börsengängen an der Nasdaq von 2008 bis 2022 zu 69 Prozent über dem Ausgabepreis der Aktie. Wer sich die Papiere noch während der Zeichnungsfrist sicherte oder am ersten Tag rasch einstieg, konnte im Schnitt eine Rendite von gut 30 Prozent herausholen.
Die Outperformance frischer Aktien hält bis zu drei Monate an. Dann verpufft der Effekt. Längerfristig weicht die Euphorie der Nüchternheit. Drei Jahre nach dem Börsengang schnitten 64 Prozent der Aktien sogar 10 Prozent schlechter als der Gesamtmarkt ab. "Das Phänomen lässt sich in Europa ähnlich beobachten wie in den USA", weiss Ritter.
Ein Mahnmal dafür, dass früher Erfolg kein Garant für die Zukunft ist, bildet für ihn die Aktie von Cisco Systems. Sie entfachte nach dem Börsengang 1990 ein Kursfeuerwerk, dümpelt aber seit anno 2000 vor sich hin. Fazit: "Anlegerinnen und Anleger sollten jedes Unternehmen individuell unter die Lupe nehmen."
Wer auf ARM, Birkenstock oder Sandoz schielt, kann sich immerhin damit trösten, dass diese die nach Ritter "kritische Grösse" erreichen.