- Home
-
Private Banking
-
Market View & Insights
Die 15-Minuten-Stadt wird zur Volksbewegung - auch im Dorfformat.
Bretagne-Touristinnen und -Touristen verirren sich kaum nach Mellac, einem Dorf im Nordwesten Frankreichs. Bei einer Bevölkerung von rund 3000 Personen kann von einem pulsierenden Dorfleben kaum die Rede sein. Und doch ist Mellac Teil einer weltweiten stillen Revolution, bei der es darum geht, unseren Lebensstil zu verändern.
Eine neue Bewegung zur Gestaltung von 15-Minuten-Städten erfasst derzeit die Welt, von London über Kopenhagen bis hin zu den Küsten des Roten Meeres in Saudi-Arabien. Ihr Grundgedanke ist einfach und ehrgeizig: Alles, was man für ein gutes Leben braucht, sollte vor der Haustür zu finden sein, d. h. nicht weiter als 15 Minuten zu Fuss oder mit dem Fahrrad entfernt. Die Bewegung verändert bereits das urbane Leben - dass sie selbst in einem wenig besuchten Teil Frankreichs angekommen ist, zeigt, wie populär sie ist.
Mellac hat einen Bio-Supermarkt und ein Haushaltsgeschäft. Aber wirklich bahnbrechende Ambitionen hat das Kosmetikgeschäft Good Eeffee, das mit Ankorstore zusammenarbeitet, einem Online-Grosshandel für Detailhändler (KMU). Firmen wie Ankorstore lassen 15-Minuten-Städte Wirklichkeit werden: Sie ermöglichen Kleinunternehmen den Zugang zu Produkten, die man normalerweise nur in den noblen Boutiquen der Hauptstädte findet.
Kleine Mindestbestellmengen und Zugang zu 20.000 Produktreihen sorgen dafür, dass KMU den Grossen der Branche das Wasser reichen können. Geschäfte wie Good Eeffee sind dadurch in der Lage, in Kleinstädten Produkte anzubieten, die cool und aktuell sind. "So kann ich neue Marken entdecken und meinen Kundinnen und Kunden neue Produkte ausprobieren lassen, ohne grosse finanzielle Risiken einzugehen", sagt Maïté Favennec, die Gründerin von Good Eeffee.
Verschiedene berühmte Persönlichkeiten machen sich für Ankorstore stark: Ihnen liegt daran, unseren Lebens-, Arbeits- und Freizeitstil neu zu gestalten. Persönlichkeiten wie Mary Portas. Sie war zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein BBC-Star im Vereinigten Königreich. Mit ihrem rasiermesserscharfen, flammenfarbenen Bob-Cut erklärte sie den kleinen Läden, wie sie mit den grossen Ketten konkurrieren können.
Die drei Staffeln von "Mary Queen of Shops" verschafften ihr 2011 sogar Zutritt zur berühmtesten Tür Grossbritanniens, der Downing Street Nummer 10, dem Amtssitz des Premierministers. Für den damaligen Premier David Cameron sollte Mary Portas als eine Art Energiespritze für unbelebte Stadtzentren wirken. Nachdem sich mit der Covid-19-Pandemie die Welt grundlegend verändert hat, sieht Portas im Jahr 2023 nun eine grosse Chance für 15-Minuten-Städte.
Alles, was man für ein gutes Leben braucht, sollte vor der Haustür zu finden sein, d. h. nicht weiter als 15 Minuten zu Fuss oder mit dem Fahrrad entfernt.
Auch wenn die Auswirkungen für Investoren, politische Entscheidungsträger und Planer gross sind, weiß Portas, dass Revolutionen in der Regel klein anfangen. Heute ist ihr Bob-Cut einem glamourösen natürlichen Look mit auffälligen Strähnchen gewichen - ein Zeichen für den Instinkt des britischen Einzelhandelsgurus was gerade angesagt ist.
Sie zitiert eine Technik, die sich in der Immobilienverwaltung bewährt hat, und zeigt auf, wie sie sich in lokalen Nachbarschaften einsetzen lässt. "Immobilienverwaltungen, die ein bestimmtes Publikum anziehen möchten, verlangen eine mehr oder weniger symbolische Miete von den Geschäften, die sie für attraktiv halten ... Ich wäre überglücklich, wenn die Gemeinden und ihre Gemeinderäte ein Bewusstsein dafür entwickeln würden, wie sich Stadtzentren wiederbeleben lassen und welche Geschäfte wir brauchen, um einen Sinn für die lokale Gemeinschaft zu entwickeln. Es geht nicht um individuelle Besitzer oder Läden, sondern um den Zusammenhalt im wahrsten Sinne des Wortes."
Mary Portas unterstreicht, dass wir während der Covid-19-Pandemie sogar im Lockdown einen Sinn für Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft entwickelt haben. Dieser Sinn hat uns gezeigt, welche Läden ein Quartier (über)lebensfähig machen: lokale Bäckereien und Lebensmittelläden, Takeaways, Kaffeebars und Pubs, die Bier auch über die Strasse verkaufen.
Neben dem strahlenden, glamourösen Good Eeffee sind es diese Firmen, die Gemeinschaften stärken und Kundschaft anziehen. Diese Läden sollten von den gleichen niedrigen Mieten profitieren wie die Grundmieterschaft, die auch Arztpraxen, Fitnessstudios und andere Dienstleister umfasst, auf die wir alle angewiesen sind.
In Kopenhagen wird dieser Ansatz bereits Wirklichkeit: Ein grosser Immobilieneigentümer nutzt ihn nach einer kontroversen Akquisition, um sein Image zu verbessern. Kereby gehört ein Grossteil der Altbauten in der dänischen Hauptstadt mit Hunderten von Gewerberäumen im Parterre. Das Unternehmen hat zugesagt, dass diese Räume für Mieterinnen und Mieter bestimmt sind, die "die einzigartige Atmosphäre ihres spezifischen Quartiers widerspiegeln".
Dieses Bekenntnis zu Lokalkolorit und -charakter kam in Folge der Übernahme von Kereby durch den US-amerikanischen Private-Equity-Riesen Blackstone. Nach der Akquisition wurden Mieterhöhungen gesetzlich an Verbesserungen der Energieeffizienz gekoppelt. Diese Regelung trägt nicht nur den ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance / Umwelt, Gesellschaft, Governance) Rechnung, die heutzutage die Vermögensverwaltungsbranche prägen. Sie fördert auch gute Beziehungen mit den lokalen Gemeinschaften.
Das Engagement von Kereby hat dazu beigetragen, dass das Quartier Vesterbro im Westteil Kopenhagens aufgewertet wurde, ohne seinen Charakter zu verlieren. Wo früher vor allem Tattoostudios und Nachtlokale waren (von denen es immer noch einige gibt), befinden sich heute Designerläden und Bars. Auch im Quartier Frederiksberg trägt das 15-Minuten-Konzept dazu bei, dass Vintage-Kleiderläden, Möbelgeschäfte und Buchläden neben den gehobenen Detailhändlern überleben können.
In Saudi-Arabien wird das Konzept "15-Minuten-Stadt" noch breiter ausgelegt. Für das riesige Bauprojekt Neom am Roten Meer liegen äusserst ehrgeizige Pläne vor. The Line, eines der prägenden Elemente, besteht aus einer linearen, autofreien "Smart City". Ihre Quartiere sollen ausschliesslich mit Gehwegen verbunden sein, während sämtliche Güter unterirdisch angeliefert werden. Der öffentliche Verkehr soll die gesamte Überbauung in 20 Minuten erschliessen. Obwohl die reine Grösse dieser Vision Zweifel hervorruft, belegt die Relevanz des 15-Minuten-Konzepts für solch ein innovatives Bauprojekt, wie etabliert es mittlerweile ist.
In Grossbritannien, genauer in einem weltberühmten, aber kaum elegant zu nennenden Teil von London, hat seine konkrete Umsetzung bereits begonnen. Wembley Park, ganz in der Nähe des nationalen Fussballstadions, entsteht ein millionenschwerer Wohn- und Einzelhandelskomplex. Bei der Planung wird präzise darauf geachtet, den passenden Mix aus Einrichtungen und Lifestyle-Angeboten zu finden. Die Planungsbüros wissen, dass dies entscheidend ist, wenn die richtigen Käuferinnen und Käufer angezogen werden sollen. Drei grosse Supermärkte von drei verschiedenen Ketten sind zu Fuss erreichbar, über 50 Cafés, Bars und Restaurants und mehr als 20 Streetfood-Anbieter befinden sich ebenfalls in Gehdistanz.
Auch der Name des Standortentwicklers entspricht der Neuausrichtung: Jahrelang hiess das Unternehmen Quintain Estates (Quintain Immobilien); heute gehört Wembley Park zur Marke "Quintain Living" (Quintain – Raum zum Leben).
Mary Portas steht voll und ganz hinter der Idee von Ankorstore, Produkte von hochkarätigen Designerinnen, Designern, Handwerkerinnen und Handwerkern für KMU innerhalb und ausserhalb von grossen Baukomplexen zugänglich zu machen. Wie sie betont, haben einzigartige lokale Anbieterinnen und Anbieter wesentlich bessere Chancen, wenn sie Standorte wählen, an denen sie herausstecken.
"In einer 15-Minuten-Stadt sollte man alles finden können, was man braucht. Ob 15-Minuten-Stadt, Erlebnisraum, autonomes Kiez, Quartier oder Nachbarschaft - der Name tut nichts zur Sache. Auf staatlicher Ebene sollte der 15-Minuten-Grundgedanke allerdings Priorität erhalten. Wir müssen uns auf die soziale Infrastruktur vor Ort konzentrieren, um lebenswerte Räume zu schaffen."