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Market View & Insights
Warum flexible Arbeitsmodelle, die Angestellten bei der Jobgestaltung Mitsprache erlauben, womöglich die Zukunft sind. Und gemäss neuer Studien sogar betriebswirtschaftlichen Nutzen bringen können.
Für die Vermieter von Büroflächen begann das Jahr 2024 mit einer Hiobsbotschaft: Gemäss Moody’s Analytics stieg der Anteil leerstehender Geschäftsimmobilien Ende 2023 in den USA auf 19,6%, den höchsten Stand seit 1979.
Mit Grund dafür sind neue, hybride und flexible Arbeitsmodelle, die weniger auf Büropräsenz aufbauen. Was mit Notlösungen im Homeoffice während der Pandemie begann, ist längst zum Standard gereift. Gerissene Lieferketten, Inflationsbremse und Rezessionsängste taugen nicht mehr zur Erklärung der Büroleerstände. Plausibler ist, dass hybride und flexible Arbeitsmodelle bei Angestellten nachhaltig Gefallen gefunden und so die obligatorische Büropräsenzzeit und den Bürobedarf haben schrumpfen lassen. Dies «dämpfte die Nachfrage» nach Geschäftsimmobilien, so Moody’s’ lapidarer Kommentar.
Obwohl in der Branche in den nächsten zwei Jahren Darlehen in dreistelliger Milliardenhöhe fällig werden, mag Moody’s nicht von einer drohenden systemischen Kreditkrise sprechen – auch, weil Büroflächen nur einen Bruchteil des US-Geschäftsimmobilienmarkts von über einer Billion Dollar ausmachen und zudem die Leerstände zum Teil bereits in den Mieten eingepreist sind. Gleichwohl ist der US-Trend zu weniger Büromietflächen bemerkenswert, und vor allem irreversibel.
Nahe legen das Datenerhebungen von Scoop, einem auf das Management von Hybridarbeit spezialisierten Startup aus San Francisco. Aus der ursprünglichen Idee einer Ride-Sharing- und Carpooling-App, dank der Angestellte gemeinsam, billiger und ökologischer zur Arbeit ins Büro gelangten, wurde wegen der Pandemie nichts. Die Gründer und Gebrüder Rob und Jon Sadow machten aus der pandemischen Not eine Tugend und sattelten auf das digitale Management von Hybrid-Jobs und -Gigs um.
Die Neuorientierung gelang: Seit vergangenem Jahr sammelt und analysiert Scoop im «Flex Index» die Arbeitsmodelle und Präsenzweisungen von rund 7500 Unternehmen (554 davon börsennotiert), um zukünftigen Angestellten ein besseres Bild über ihre zukünftigen Arbeitgeber zu erlauben. Gleichzeitig erlaubt der «Flex Index» auch Einblicke in die Grosswetterlage bei der Nutzung von Büroimmobilien: Von den börsennotierten Firmen im «Flex Index» schreiben nur noch 17% volle Präsenzzeit im Büro vor, 55% ziehen eine hybride Lösung mit einem Mix aus Fern- und Präsenzarbeit oder -zeit vor, und 27% fahren «vollständig flexibel», d.h. lassen ihrem Personal die Wahl. Das Forschungsinstitut Gallup kommt zu einem ähnlichen Resultat: Nur noch rund 20% arbeiten derzeit ausschliesslich im Firmenbüro (vor der Pandemie lag der Anteil bei 60%). Zudem wünschen sich Angestellte gemäss Umfragen wie dieser flexiblere Arbeitsformen: Knapp über die Hälfte der Befragten sprach sich für völlig flexible Fern- und Heimarbeit aus, 46% votierten für hybride Modelle. Fast zwei Drittel nahmen dafür gar eine Lohneinbusse in Kauf.
Für 2024 prognostiziert Scoop daher, dass gut zwei Drittel aller Unternehmen in Richtung flexible Modelle tendieren. Flexibilität ist in, ungeachtet des in Medien oft geäusserten Wunsches von CEOs, zwecks Steigerung von Produktivität ins Büro zurückzukehren – eine Hoffnung, die bislang enttäuscht wurde.
Vielleicht ist das aber gar nicht so schlecht. Denn Scoop legt in einer weiteren Datenerhebung in Zusammenarbeit mit der Boston Consulting Group eine weitere, noch überraschende Einsicht vor. Sie hat das Zeug, den Flex-Trend weiter zu verstärken: Gemäss dem Ende 2023 veröffentlichten «Flex Report» korreliert bei Unternehmen mit vollständig flexiblen Arbeitsmodellen eine Umsatzsteigerung von 21% über drei Jahre, gegenüber 5% bei Firmen mit traditionellen Modellen (allfällige Einsparungen der Betriebskosten durch reduzierte Büromieten sind hier nicht mitgerechnet). Das Resultat hielt auch unter Ausschluss von Unternehmen aus stark tech-affinen Branchen Bestand; der Performance-Unterschied betrug immer noch 13%. In eine ähnliche Bresche schlug unlängst eine Studie von der University of Pittsburgh: Die mandatierte Rückkehr ins Büro hatte gemäss Forschern an der Katz School of Business keinerlei Einfluss auf die Performance von 500 ausgewählten Standard&Poor’s-Unternehmen, einzig die Mitarbeiterzufriedenheit nahm ab. Liegt in vollständig flexiblen Work Policies also der Schlüssel zu stärkerer Performance?
Dies wäre ein voreiliger Schluss. Zwar geht Scoop methodologisch differenziert vor und versucht, in seiner Studie branchen- oder unternehmensstrukturellen Vorurteilen aus dem Weg zu gehen, um die Repräsentativität seiner Datenbank zu gewährleisten. Auch vermeidet das Startup tunlichst einen möglichen Interessenskonflikt (schliesslich basiert das Geschäftsmodell auf dem Zugang zur Datenbank mit den Infos zur Arbeitsmodellverteilung) und zieht Experten und Akademiker aus der Stanford University und New York University bei. Dennoch sprechen die «Flex Report»-Autoren nur von einer oder mehreren Korrelationen, nicht von einer direkten Kausalbeziehung zwischen Arbeitsmodell und Umsatzsteigerung.
Entflechtet man indes das Netz der möglichen Korrelationen, bleibt dennoch ein starkes Argument für flexible Arbeitsmodelle stehen: Wenn Angestellte über ihre Arbeitsflexibilität selbst entscheiden können, macht sie das zufriedener.
Dies wiederum führt zu höherer Identifikation mit dem Arbeitgeber. Loyalität, Einsatzbereitschaft, Motivation, Kreativität und Produktivität steigen. Was Unternehmen einen höheren Innovationsgrad sowie mehr Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und schlussendlich eine Umsatzsteigerung bescheren kann. Im Idealfall ergibt sich ein positiver Feedback-Effekt zwischen Angestellten und Unternehmen, in beiden Richtungen. Unternehmen tun daher gut daran, ein Klima von Vertrauen zu pflegen, das sich nicht zuletzt aus höherer Freiheit und Flexibilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Bestimmung der Rahmenbedingungen eines Jobs nährt.
Arbeitnehmer und Abeitnehmerinnen erhalten in dieser Gleichung mehr Mitspracherecht und Macht im Unternehmen. Die Futuristin und Autorin Julia Hobsbawm hat für diese neue Form des Angestelltenverhältnisses gar den Begriff «Flexetariat» geschaffen. Die Anlehnung an das Proletariat mag ein Wortspiel sein. Im «Flex Report» allerdings sagt Hobsbawm, die auch als Kolumnistin für Bloomberg tätig ist, dass «Flexibilität und die Freiheit [das Anstellungsmodell] zu wählen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für eine permanente Veränderung sorgten.» Die Auguren scheinen sich einig: Die im Zug der Pandemie eingeführten Arbeitsformen und -modelle sind längst Teil des Arbeitsalltags und werden bleiben.
Heisst das, dass die Immo-Branche in die Röhre guckt? Nicht unbedingt. Zwar sind vielfältige soziale Apps wie Teams, Slack oder OneNote an die Seite des berühmten «Watercoolers» oder der Kaffee-Ecke getreten. Ganz ersetzt haben sie die soziale Teambildungskraft physischer Präsenz nicht. Gerade bei der Schöpfung von Vertrauen und positiver Gruppendynamik spielt das Präsenzbüro und die Anwesenheit der Mitarbeitenden darin eine wichtige Rolle. Das Ende von Geschäftsimmobilien ist insofern noch lange nicht eingeläutet.
Freiere und flexible Arbeitsmodelle haben auch bei LGT Einzug gehalten. Welche Veränderungen und Vorteile das mit Team und Kunden bringt, und warum das Büro trotzdem bleibt, erklärt David Wetter, Bereichsleiter Private Banking bei LGT Bank in Zürich.
LGT: Wir sprechen virtuell, aber Sie sind im Zürcher Head Office von LGT. Wie oft sind Sie dort?
David Wetter: Ich komme jeden Tag vorbei, das Verhältnis zwischen Fernarbeit und Büropräsenz liegt etwa bei 40 zu 60.
Als Teamleiter werden Sie im zentralen Büro gebraucht. Wie steht das beim Rest vom Team?
Office-Präsenz ist funktionsabhängig. Für Mitarbeitende mit Assistenz-Funktionen wie die Administration des Tagesgeschäfts, Kundenanfragen und Projektmanagement haben wir einen Turnus von Präsenz- und Home-Office-Tagen eingeführt. Unsere mobileren Kundenberaterinnen und Kundenberater haben das nicht. Der persönliche Direktkontakt mit physischer Präsenz ist in der Beratung nach wie vor das A und O.
Was sind die hauptsächlichen Unterschiede und Verbesserungen einer flexibleren Bürokultur nach der Pandemie?
Die virtuelle Vorbereitung von Kundenmeetings ist heute dank digitalen Videocalls und Sharing von Dokumenten und Slides zweifellos viel effizienter. Insofern hat ein flexibleres Modell die Qualität von Arbeit und Zusammenarbeit enorm gefördert.
Teilt Ihr Team diese Ansicht?
Ja. Mitarbeitende wollen weder strikt zu Home-Office noch zu 100% Büropräsenz verdonnert werden. Diese Flexibilität wird geschätzt und am individuellen Sweet Spot ausgelebt. Darum benutzen wir heute für Team-Meetings oder Besprechungen fast ausschliesslich Video-, Sharing- und Gruppenchat-Tools wie MS Teams oder OneNote. Ob die Kollegin oder der Kollege einen Stock höher oder daheim in der Küche sitzt, muss ich nicht wissen.
Sie haben eine virtuelle Vertrauenskultur geschaffen. Wozu braucht’s dann noch ein Office?
Der spontane Schwatz bei der Kaffeemaschine findet nach wie vor statt. Deswegen kommt unsere Belegschaft immer noch gerne ins Büro. So sehr ich flexible Arbeitsmodelle schätze, gehören in meiner Erfahrung auch soziale und persönliche Begegnungen zum Relationship Building und zur Vertrauenskultur eines Unternehmens. Es braucht beides.