"Anlegerinnen und Anleger sollten ihre Macht nutzen"

Timo Busch ist Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg (D) und Senior Fellow am Center for Sustainable Finance and Private Wealth der Universität Zürich, Schweiz. Im Interview spricht er erfolgreiches Stewardship und die Rolle von Regierungen, Unternehmen und Anlegern auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft. 

Generalversammlung mit Aktionären

Timo Busch, wie können Anlegerinnen und Anleger Stewardship betreiben? 

Timo Busch: Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten – von der aktiven Ausübung der Aktionärsstimmrechte an der Generalversammlung, um beispielsweise eine Nachhaltigkeitsagenda durchzusetzen, bis hin zu einem direkten Dialog mit der Geschäftsleitung oder Vertreterinnen und Vertretern des Unternehmens, um die gewünschten Themen zu adressieren. Als Mehrheitsaktionärin oder -aktionär können Sie dies im Alleingang tun. Als Minderheitsaktionärin oder -aktionär können Sie Ihre Wirkung intensivieren, indem Sie Ihre Vermögenswerte mit anderen Anlegerinnen und Anlegern poolen.

Wann ist ein Stewardship-Ansatz effizient? 

Das hängt davon ab, ob er einen echten Wandel herbeiführt. Man sollte aber unbedingt auch dokumentieren, was man tut und welche Ergebnisse man erzielt. Wenn man als Anlegerin oder Anleger seine Stimmrechte ausübt, dokumentiert man im Idealfall seine Anträge, die angesprochenen Unternehmen und die Resultate. 

Dies gilt auch für den Dialog mit Unternehmen. Wenn man mit anderen Investoren den Dialog aufnimmt, muss das immer dokumentiert werden. Es gilt, das Problem zu erläutern und aufzuzeigen, inwiefern sich das Unternehmen geändert hat, z.B. durch Reduktion seines CO2-Fussabdrucks. Derartige Dokumentationen sind wichtige Belege, um effiziente Vorgehensweisen engagierter Anlegerinnen und Anleger aufzuzeigen. 

 

Hat Stewardship das Potenzial, grundlegende Veränderungen anzustossen? 

Ganz eindeutig, aber wir müssen eine kritische Masse von Anlegerinnen und Anlegern dazu bewegen, sich hinter ein bestimmtes Thema zu stellen. Das ist der wesentliche Hebel. Wenn sich nur einige wenige Anlegerinnen und Anleger engagieren, führt das höchstwahrscheinlich nicht zum gewünschten Ergebnis. 

 

Welche Rolle hat die Stimmrechtsvertretung in diesem Zusammenhang? 

Die Stimmrechtsvertretung kann ein sehr starkes Instrument sein. Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsfragen steht sie allerdings erst am Anfang. Wir müssen noch mehr Erfahrungen sammeln in Bezug auf die Bedingungen, unter denen sie am besten funktioniert. Nur so finden wir heraus, wie sich ihre Wirksamkeit als Stewardship-Instrument verbessern lässt. 

 

Gibt es Länder, die in Bezug auf die Stimmrechtsausübung fortschrittlicher unterwegs sind, als die DACH-Länder und Liechtenstein? 

Ja, in erster Linie die USA, da sie auf eine längere Tradition auf diesem Gebiet hat. Auch Aktionärsanträge sind bei nordamerikanischen Unternehmen populärer.

Der Einsatz für die Nachhaltigkeit gestaltet sich in Schwellenländern schwieriger.

Timo Busch Professor an der Universität Hamburg (D) und der Universität Zürich, Schweiz.

Welche Herausforderungen stellen sich verantwortungsbewussten Anlegerinnen und Anlegern in Schwellenländern? Brauchen wir da andere Strategien? 

Ja, zweifelsohne. Die Förderung von Nachhaltigkeit gestaltet sich in Schwellenländern schwieriger und die Herausforderungen sind grundlegend anders. In Europa ist der Umweltschutz gesetzlich sehr streng geregelt, in vielen Schwellenländern ist dies nicht der Fall. Daher sind die Organisation von Workshops und Schulungen und die Zusammenarbeit mit Entwicklungsorganisationen effizienter, wenn es darum geht, das Umweltbewusstsein zu fördern und Wissen zu Technologien zur Verbesserung der Umwelt zu verbreiten. 

Industriestandards sind ein weiteres Thema, das wir nicht vergessen sollten. So wurde zum Beispiel der "Accord on Fire and Building Safety" in Bangladesh nach dem entsetzlichen Kollaps eines Fabrikgebäudes vor zehn Jahren mit über 1000 Toten erstellt. Diese Vereinbarung entstammt einer Eigeninitiative der Bekleidungsindustrie und umfasst eine Reihe von Selbstregulierungsnormen. Dieses Beispiel zeigt, was Anlegerinnen und Anleger bewirken können, wenn sie sich gemeinsam für bestimmte Normen einsetzen, Workshops anbieten etc. 

 

Wie steht es um das Thema Nachhaltigkeit in Unternehmen in den Industrieländern? 

Die meisten Unternehmen haben eine Nachhaltigkeitsstrategie. Wir wissen allerdings, dass das nicht bedeutet, dass sie auch wirklich nachhaltig arbeiten: Mit jedem Jahr steigen die Treibhausgasemissionen. Wir stehen nach wie vor vor zahlreichen grossen ökologischen Herausforderungen, etwa dem Verlust der Biodiversität. Es gibt noch sehr viel zu tun, sowohl beim Umweltschutz als auch auf der gesellschaftlichen Ebene. 

 

Mit den wegweisenden Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen haben die Regierungen eine führende Rolle eingenommen. 

Man könnte durchaus sagen, dass dies zu den Aufgaben einer Regierung gehört. Aber wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der Regierungen alles bis ins kleinste Detail regulieren? Wahrscheinlich nicht. Aber was können wir tun, wenn Unternehmen nur davon sprechen, ihre Geschäftsmodelle radikal zu ändern, aber nichts unternehmen? Und wie können wir gleichzeitig dafür sorgen, dass die staatliche Regulierung nicht ausufert? Sollten wir uns darauf verlassen, dass die Konsumentinnen und Konsumenten oder NGOs eingreifen? Hier kommt meiner Meinung nach die Finanzbranche ins Spiel, da sie an fast jedem Unternehmen beteiligt ist. Wenn sie deutliche, kollektive Massnahmen zur Verbesserung der Wirtschaft ergreift, könnte dies enorme Wirkung haben. 

Timo Busch

Wie nehmen die Unternehmen diese Verantwortung wahr? 

Nachhaltigkeit und nachhaltige Anlagen sind nicht länger ein Nischenthema. Die Strategien aller grossen Unternehmen berücksichtigen Nachhaltigkeitsfragen, aber das Tempo des Wandels lässt noch zu wünschen übrig. 

Wenn wir an den «Business-as-usual»-Emissionsniveaus festhalten und es mit der in Paris vereinbarten 1,5-Grad-Schwelle ernst meinen, bleiben uns noch 6,5 Jahre. Es gibt keinen Knopf, mit dem wir die CO2-Emissionen über Nacht auf null setzen können. Wir müssen jetzt dringend signifikante Massnahmen ergreifen und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Ziele für 2040 setzen. 

 

Stewardship ist ein langfristiger Prozess. Sehen Sie hier einen Konflikt, da die Massnahmen zum Klimaschutz dringend sind? 

Wenn eine Engagement-Strategie acht bis zehn Jahre braucht, bis sie erfolgreich ist, läuft uns die Zeit davon. Geschäftsleitungen handeln im Allgemeinen recht rasch in Finanzfragen; dies sollte auch in Nachhaltigkeitsfragen möglich sein. Wenn die Geschäftsleitungsebene das Thema Nachhaltigkeit mit derselben Dringlichkeit angeht, dürfte es trotzdem drei bis vier Jahre dauern, man die ersten Emissionsreduktionen verzeichnen kann. Denn der Aufbau neuer Kapazitäten – beispielsweise zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen – braucht Zeit. In der Zwischenzeit lassen sich jedoch durch Stewardship und Engagement sehr rasch konkrete Fortschritte erreichen und klare Pläne definieren. 

 

Sind Sie der Meinung, dass im Privatsektor viel geredet wird, aber nur wenige verbindliche Pläne existieren? 

So ist es. Ein neuer Bericht des "Carbon Disclosure Project" (CDP), einer gemeinnützigen Plattform zur Publikation von Umweltdaten, zeigt auf, dass zahlreiche Unternehmen keine glaubwürdigen Pläne für die Einhaltung der 1,5-Grad-Schwelle der Klimaerwärmung aufweisen. Anlegerinnen und Anleger müssen auf mehr Engagement und umgehende Massnahmen drängen – und ihre Macht nutzen. 

 

Angenommen, wir kommen nicht schnell genug voran: Welche Optionen ausser Stewardship haben die Anlegerinnen und Anleger? 

In Gesprächen mit Unternehmen erhält man häufig Antworten wie "Wir können nichts ändern, es ist zu schwierig, zu teuer oder nicht machbar". Es gibt unendlich viele Ausreden. Aber es gibt auch vorbildliche Beispiele - Start-ups oder engagierte Manager in einem etablierten Unternehmen, die deutlich zeigen, dass der angestrebte Wandel durchaus möglich ist. Wir müssen diese "Best-Practices" umfassender dokumentieren, um aufzuzeigen, was funktioniert. Investoren sollten sich eingehend mit Unternehmen, in die sie investieren, auseinandersetzen und sie bei der Einführung bahnbrechender Lösungen mittels Technologietransfers unterstützen, etwa um ihre Energieversorgung autonom zu gestalten oder eine umfassende Kreislaufwirtschaft einzuführen.

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