Institutionelle Investoren üben ihren Einfluss in Nachhaltigkeitsfragen schon seit einigen Jahren aus. Aber auch vermögende Privatanlegerinnen und -anleger können etwas bewirken.
Emmet McNamee, was bezeichnet der Begriff «Stewardship»?
Emmet McNamee: Immer mehr Investoren sind sich bewusst: Sie müssen das Verhalten der Unternehmen, in welche sie investieren, in Umwelt- und Gesellschaftsfragen aktiv steuern. Der Begriff Stewardship umfasst sämtliche Wege und Massnahmen, diesen Einfluss auszuüben. Dies geschieht zum einen mithilfe der eigenen Anlagen. Zum anderen können die Investoren den Hebel auch als Akteurinnen und Akteure im Finanzsystem ansetzen. Ziel ist es, die Anlagevorstellungen ihrer Kundschaft zu erreichen und zugleich Nachhaltigkeitsrisiken optimal zu managen und ESG-Chancen zu nutzen.
Was nützt Stewardship den Kundinnen und Kunden?
Durch Stewardship leisten Kundinnen und Kunden einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Zukunft. Diese Entwicklung dürfte sich auf die gesamte Wirtschaft auswirken und könnte auch zu höheren Renditen führen. Stewardship fördert somit einen positiven Wandel und unterstützt Kundinnen und Kunden auch bei Investments in Branchen, die derzeit vielleicht in Bezug auf ihr ESG-Rating nicht so gut abschneiden – dies ist bei gewissen Energieunternehmen der Fall –, aber diese Transformation wesentlich beeinflussen. Ein durchdachtes und konstruktives Stewardship kann einen effektiven Beitrag zu den Nachhaltigkeitsbestrebungen dieser Unternehmen leisten und sie dazu bewegen, ihren Teil zur Lösung des Klimawandelproblems beizutragen.
Engagement steht für die meisten Anleger am Anfang des Stewardship.
Welche Instrumente können Anlegerinnen und Anleger nutzen, um Einfluss auszuüben?
Die Stewardship-Reise beginnt meist mit Engagement. Das heisst: Anlegerinnen und Anleger führen direkte Gespräche mit den Unternehmensleitungen und teilen diesen ihre Ziele für die Unternehmenssteuerung mit. Seriosität und eine gute Vorbereitung sind dabei essenziell – ganz im Gegensatz zu früher, als solche Meetings eher "Kaffeerunden" waren, die kaum über Höflichkeitsbesuche hinausgingen. Erfolgreiches Engagement steht und fällt mit der Qualität, nicht mit der Quantität.
Ein weiterer Ansatz besteht darin, an der Generalversammlung von börsennotierten Unternehmen die Stimmrechte auszuüben und mitzuentscheiden – von der Genehmigung der Jahresrechnung bis zu Verwaltungsratswahlen. Und da immer mehr Anlegerinnen und Anleger realisieren, dass der Verwaltungsrat eine wesentliche Rolle spielt, wenn es um den Umgang des Unternehmens mit Nachhaltigkeitsrisiken geht, richten sie ihr Augenmerk auf die ESG-Kompetenzen und -Fähigkeiten der Verwaltungsratsmitglieder.
Und schliesslich steht es Anlegerinnen und Anlegern auch frei, Aktionärsanträge einzubringen, um Verbesserungen auf Verwaltungsratsebene anzustossen und umzusetzen. Dies ist oft eine Art Notmassnahme, um wichtige Anliegen zu adressieren. Wir gehen aber davon aus, dass dieses Vorgehen vermehrt Anwendung finden wird, da die Dringlichkeit von ESG-Fragen mehr und mehr zunimmt.
Alle diese Ansätze beziehen sich auf börsennotierte Unternehmen. Private-Equity-Investoren steht ebenfalls eine Reihe von Strategien zur Verfügung, zudem sind ihre Beteiligungen grösser und somit auch ihr Einfluss. Sie sind näher an den Unternehmen dran, an denen sie beteiligt sind, und sind häufig auch im Verwaltungsrat vertreten. Und dann ist da noch die öffentliche Einflussnahme institutioneller Anleger, unter anderem in Form von Diskussionen mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern, um sicherzustellen, dass die Märkte Stewardship fördern.
Die LGT ist Mitglied der PRI-Initiativen Climate Action 100+ und Advance, zwei Initiativen für gemeinschaftliches Engagement. Wie funktionieren diese Initiativen?
Gemeinschaftliches Engagement liegt dann vor, wenn sich gleichgesinnte Anlegerinnen und Anleger zusammenschliessen, um Unternehmen zu Massnahmen in Bezug auf ein bestimmtes Problem zu verpflichten. Sie profitieren vom Gesamtvolumen ihrer Anlagen, um Anträge durchzusetzen, und sind in den Augen der betreffenden Unternehmen auch glaubwürdiger. Nehmen wir Climate Action 100+ als Beispiel. Diese Initiative fokussiert sich auf die 166 grössten börsennotierten Unternehmen und arbeitet mit ihnen zusammen, um ihre Leistungen im Bereich Umweltschutz zu verbessern. Am Anfang hatte sich kein einziges Unternehmen zu einem Netto-null-Ziel verpflichtet. Inzwischen sind es 75 Prozent, und 91 Prozent haben sich den Empfehlungen der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) angeschlossen. Noch sind nicht alle Ziele erreicht. Aber die bisherigen Ergebnisse wären ohne das Zutun von Aktionärinnen und Aktionären im Rahmen von Climate Action 100+ nicht zustande gekommen.
Gibt es Belege für eine bessere Anlage-Performance durch Stewardship?
Eine Reihe von wissenschaftlichen Metastudien hat gezeigt, dass richtig ausgeübtes Stewardship eine nachhaltige Wertschöpfung für Anlegerinnen und Anleger generiert, da sie auf diesem Weg viel eingehender über ihre Anlagen informiert sind und so fundiertere Entscheidungen treffen können. Regelmässige Sitzungen mit den Unternehmen, in die sie investieren, zeigen Anlegerinnen und Anlegern auf, wie die Geschäftsleitung arbeitet, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und welches Potenzial für den Umgang mit Risiken und Chancen besteht. Zudem sind solche Treffen eine Chance, sich ein realistisches Bild von der Kultur und Robustheit der Geschäftsleitung zu machen.
Ein besserer Informationsfluss kann dazu beitragen, dass Investoren von noch nicht realisierter Wertschöpfung profitieren können. Ein ähnlicher Effekt resultiert aus einer Verbesserung der ESG-Performance von Unternehmen durch individuelle oder gemeinschaftliche Engagements.
Eine dritte Wertschöpfungsmöglichkeit besteht in der Reduzierung des systemischen Risikos. Hierzu braucht es grosse gemeinschaftliche Engagements, etwa die bereits erwähnten Initiativen Climate Action 100+ oder Advance, eine neue Menschenrechtsinitiative oder die Platform Living Wage Financials. Die Zusammenarbeit mit ganzen Branchen ist gefragt, um Veränderung anzustossen oder Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dazu zu bewegen, Mindestnormen für alle Unternehmen einzuführen.
Wo liegt Ihrer Meinung nach das Wirkungspotenzial für private Anlegerinnen und Anleger?
Bis jetzt haben die meisten nachhaltigkeitsbewussten Kundinnen und Kunden Anlagen herausgefiltert, die nicht mit ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen vereinbar sind. Und genau darum geht es ja im Grunde beim verantwortungsvollen Investieren. Das war schon vor Jahrhunderten so, als die Quäker Anlagen mit Verbindung zur Sklaverei ausschlossen. Aus dieser Haltung entwickelten sich im Laufe der Zeit die ethischen oder wertebasierten Ausschlüsse. Allerdings hat man heute nicht nur die Wahl zwischen dem Verkauf solcher Anlagen und dem Halten. Heute kann man eine Anlage auch halten und mit einer guten Stewardship-Strategie daran arbeiten, einen echten Wandel im entsprechenden Unternehmen herbeizuführen. Dies ist eine Möglichkeit, die Transformation zu einer emissionsarmen Wirtschaft zu unterstützen und zugleich in die führenden Unternehmen von morgen zu investieren.
Heisst das, dass wir keine Ausschlüsse mehr vornehmen und uns auf Stewardship beschränken sollten?
Nein. Stewardship soll aber dazu auffordern, nicht nur den Ist-Zustand der Anlage zu analysieren, sondern auch ihr Potenzial, das sich entfaltet, wenn sich ihre ESG-Performance dank dem Engagement der Anleger verbessert.
Dies bedeutet, dass Stewardship das Anlageuniversum erweitern kann – vorausgesetzt, es gibt einen glaubwürdigen Plan für den angestrebten Weg. Wenn man alle Erdöl- und Erdgasfirmen ausschliesst, wird es keine Verhaltensänderungen aufgrund von Initiativen verantwortungsbewusster Anlegerinnen und Anleger geben. Wenn ein Unternehmen jedoch beispielsweise zehn Prozent seiner Erträge mit Kohle erwirtschaftet und man den Schwellenwert für Ausschlüsse bei fünf oder acht Prozent festlegt, kann man Wirkung erzielen. Man kann weiterhin in performancestarke Energieunternehmen investieren, dabei aber die am wenigsten schädlichen Energieträger wählen (Erdgas anstatt Kohle) und innerhalb der gewählten Unternehmen zu einem positiven Wandel beitragen.
Der Bergbau ist ein weiteres Beispiel. Unser Alltag ist ohne Mineralien nicht denkbar, angefangen bei Eisen für die Stahlproduktion bis hin zu Lithium für Batterien oder Silikon für Halbleiter. Bergbau ist jedoch nicht nachhaltig, er verursacht hohe Emissionen, zudem sind die Arbeitsbedingungen häufig schlecht. Wenn Sie Bergbauunternehmen ausschliessen, entgeht Ihnen die Performance einer im Aufschwung begriffenen Branche. Stewardship ermöglicht Ihnen, Ihre Positionen in diesen Unternehmen zu halten und sich zugleich für Sorgfaltsprüfungen zur Einhaltung der Menschenrechte, Beurteilungen der Auswirkungen auf die Umwelt und bessere Praktiken einzusetzen. Dieser Ansatz steht im Zentrum von Advance, dem gemeinschaftlichen Engagement der PRI in den Sektoren Bergbau und erneuerbare Energiequellen.
Weshalb reicht es nicht aus, Anlagen in Unternehmen mit schlechter ESG-Performance zu verkaufen oder auszuschliessen?
Die Öffentlichkeit versteht unter einem Verkauf den Abzug von Geld aus dem jeweiligen Unternehmen. Wenn die LGT Aktien eines Erdölunternehmens für 100 Millionen Dollar abgibt, denkt man vielleicht, dass dieses Unternehmen nun 100 Millionen Dollar weniger zur Verfügung hat. In Tat und Wahrheit werden die Aktien aber an einen anderen Investor verkauft, für den ESG-Kriterien womöglich nicht von Bedeutung sind und der kein Interesse hat, einen positiven Einfluss auszuüben.
Erreichen wir eine Welt mit Netto-Null-Emissionen ohne Stewardship?
Nein. Und Veräusserungen sind nicht der Weg zu einer Netto-Null-Wirtschaft. Wir müssen jedes einzelne Unternehmen einbinden, um den Klimawandel zu minimieren. Wir müssen uns dort engagieren, wo ein nachhaltiger Wandel realistisch ist, und den Einfluss unserer Investitionen nutzen, um diesen Wandel zu unterstützen und zu beschleunigen.
Emmet McNamee ist Head of Stewardship, Active Ownership 2.0, bei den UN-Prinzipien für verantwortliches Investieren (Principles for Responsible Investment, PRI).
Die LGT definiert Stewardship folgendermassen: "Stewardship besteht in der verantwortungsvollen Allokation, Verwaltung und Beaufsichtigung von Kapital, um langfristigen Wert für Kundinnen, Kunden und Begünstigte zu schaffen, was nachhaltigen Nutzen für die Wirtschaft, die Umwelt und die Gesellschaft generiert. Davon wiederum sind die Renditen sowie die Interessen der Kundinnen, Kunden und Begünstigten abhängig." Diese Definition fusst auf dem britischen Stewardship Code und der Definition in den Prinzipien für verantwortliches Investieren (PRI), den weltweit Befürwortern des Stewardship.
Die LGT gehört zu den Unterzeichnern der PRI. Unserer Überzeugung nach gehört Stewardship zur Grundphilosophie verantwortungsvoller Unternehmen und ist Teil eines langfristigen, ganzheitlichen und strategischen Ansatzes, um in Bezug auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Unternehmensführung (ESG) positive Veränderungen voranzutreiben. Der Ausschluss bestimmter Anlagen ist nicht die einzige Möglichkeit; unser verantwortungsbewusster Anlageansatz verbindet Engagement, eine gezielte Stimmrechtsausübung und öffentliche Einflussnahme zur Verbesserung der ESG-Performance und Minderung von Risiken, ohne die Aktionärsrenditen zu schmälern.
Nachhaltige Anlagelösungen werden immer beliebter. Lesen Sie, was die LGT im Anlagebereich für die Umwelt, Governance und im sozialen Bereich macht.