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Finanzwissen

Dieter Helm: "Nachhaltiges Vermächtnis und künftiges Wachstum - beides ist möglich"

Nach Ansicht des Ökonomen und Umweltschützers Dieter Helm ist das Erbe der Menschheit untrennbar mit dem Thema Nachhaltigkeit verbunden. Jede Generation hat die Verantwortung, eine Welt zu hinterlassen, die mindestens so gut oder ein bisschen besser ist als die, die sie geerbt hat. Und er stellt unmissverständlich klar, dass unser aktueller Lebensstil nicht nachhaltig ist. 

Datum
Autor
Ellen Sheng, Gastautorin
Lesezeit
6 Minuten

Ein Mann mit Krawatte, Jackett und Brille lächelt freundlich in die Kamera vor dem Hintergrund einer altehrwürdigen Institution.
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich um seine Kinder, seine Familie und sein Umfeld sorgt. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir pragmatisch erreichen können, sagt Professor Dieter Helm von der Universität Oxford.

Wie sieht eine nachhaltige Wirtschaft aus? 

Dieter Helm: Eine nachhaltige Wirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass die verschiedenen Systeme und Infrastrukturen etwa in den Bereichen Verkehr, Bildung, Stromversorgung, Gesundheit und Naturgüter in guter Verfassung sind und angemessen erhalten werden. Wir müssen sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, dass die Wirtschaft funktioniert, Produktivitätssteigerungen möglich sind und die nächste Generation selbst wählen kann, wie sie leben möchte.

Was wir tun, ist nicht nachhaltig. Wenn wir Naturgüter verbrauchen, hat dies irreversible Folgen. Zerstören wir die Regenwälder, ist unser Planet nicht mehr derselbe.

Sie plädieren dafür, dass die Verursacherin oder der Verursacher zahlen soll. Was heisst das?  

Ich befürworte Ansätze wie den der CO2-Steuer. Das ist Kapitalismus, der im Rahmen einer angemessenen Preisgestaltung funktioniert. Märkte existieren nicht in einem Vakuum, sondern innerhalb eines politischen Rahmens. Wir müssen Anreize für Investorinnen und Investoren sowie Unternehmen schaffen, "das Richtige zu tun". Und wir werden sie nur dann dazu bringen, das Richtige zu tun, wenn sie für die vollen Kosten ihrer umweltschädlichen Aktivitäten aufkommen müssen. Das Verursacherprinzip ist eine sehr kapitalistische Idee. Und es ist wichtig, dass Investorinnen und Investoren verstehen, dass, wenn sie nicht für die vollen Kosten ihres Handelns aufkommen, es jemand anderes tun muss. 

Wir sollten uns mit den echten Kosten unserer Aktivitäten auseinandersetzen.

Prof. Dieter Helm, Universität Oxford

Vor ein paar Monaten wurde ich eingeladen, auf einer Konferenz zum Klimawandel in Bali zu sprechen. Ich schrieb ihnen und sagte: "Finden Sie es nicht ironisch, dass ich den ganzen Weg nach Bali und zurück fliegen soll, um nur 30 Minuten auf einem Podium über den Klimawandel zu sprechen?" Einige Dinge, die wir tun, werden künstlich verbilligt, wie z. B. Flugreisen. Wenn wir den vollen Preis zahlen würden, der auch die Kosten für die von uns verursachte Umweltverschmutzung einschliesst, könnten wir diese immer noch tun, aber wir würden es uns zweimal überlegen, weil es dann viel teurer wäre. Das ist nichts anderes als vernünftiges Wirtschaften. Wir sollten uns mit den echten Kosten unserer Aktivitäten auseinandersetzen.

Gibt es denn mittlerweile Fortschritte in diesem Bereich?

Ein Mann sitzt und spricht, im Hintergrund eine grosse Bibliothek, ein Schreibtisch und ein Globus
Viele Menschen regen sich über die CO2-Steuer auf. Warum nicht auch die Umweltverschmutzung, fragt Professor Dieter Helm aus Oxford. © Yale University Press London

Die EU hat einen Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) für Europa eingeführt, der die Kohlenstoffemissionen bei der Herstellung kohlenstoffintensiver Güter, die in die EU importiert werden, mit einem Preis belegt und eine sauberere Industrieproduktion in Nicht-EU-Ländern fördert. Das ist eine gute Sache und sollte sich für unsere Kohlenstoffverbrauchsziele auszahlen. 

Viele Leute regen sich über die CO2-Steuer auf. Dabei tun wir aktuell Dinge, die wirklich unsinnig sind, wie die Besteuerung der Arbeit. Wie wäre es stattdessen, Schädliches zu besteuern? Den Tabak haben wir schon besteuert, warum also nicht auch die Umweltverschmutzung? Wir sollten die Besteuerung so gestalten, dass sie die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft verbessert, statt sie zu hemmen. Wer eine CO2-Steuer einführt, mit der sich ja wirklich viel Geld einnehmen lässt, kann diese Mittel für gute Dinge wie etwa den Übergang zu einer nachhaltigen Energieversorgung einsetzen. Das ist vernünftiges Wirtschaften.

Wie können die Anlegerinnen und Anleger in ihren Gesprächen mit den Unternehmen, in die sie investieren, neue Akzente setzen?

Bei der Beurteilung der Frage, ob Unternehmen nachhaltig wirtschaften oder dies anstrebt, konzentrieren sich die Meisten auf ein allfällig bestehendes Netto-null-Ziel. Es wäre gut, hier etwas genauer hinzuschauen. Ich würde fragen: Über welche Wirtschafsgüter verfügt das Unternehmen? Werden diese gut erhalten? Wie sieht die Bilanz aus? Wenn ESG richtig definiert wäre, was nicht der Fall ist, dann würde man schauen, ob die Wirtschaftsgüter, in die investiert wird, so gepflegt werden, dass sie auch in Zukunft noch existieren. 

Anstatt diese Tatsache zu ignorieren, können Sie sich mit dem Unternehmen, in das Sie investieren, auseinandersetzen. 

Prof. Dieter Helm, Universität Oxford

Die meisten Unternehmen verwenden Kohle, Öl und Gas als Primärenergieträger, weil die Weltwirtschaft zu 80 Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig ist. Anstatt diese Tatsache zu ignorieren, können Sie sich mit dem Unternehmen, in das Sie investieren, auseinandersetzen. Sie müssen wissen, was Sie wollen. Sie müssen wissen, welchen Weg das Unternehmen einschlägt, wie es seine Anlagen nachhaltig gestaltet und ob es diese für die Zukunft angemessen instand hält. Sie sollten sich mit den Rechnungslegungspraktiken und der Richtung des Wandels auseinandersetzen. 

Sie haben die Bedeutung der Rechnungslegung in einer nachhaltigen Wirtschaft unterstrichen. Was heisst das konkret?

Fast alle Unternehmen bilanzieren derzeit nach dem Anschaffungskostenprinzip. Das heisst, in der Buchhaltung wird verbucht, was in der Vergangenheit für Güter bezahlt wurde, und diese Güter werden abgeschrieben. In einem Unternehmen, das Schokoladentafeln herstellt, gibt es Vermögenswerte wie Schokoladenmaschinen, die innerhalb eines kurzen Zeitraums ersetzt und modernisiert werden, so dass es angemessen ist, das Kapital über die Abschreibungskosten zurückzugewinnen. 

Ein Mann sitzt und spricht, im Hintergrund viele Bücher
Wir müssen zu einem nachhaltigen Konsumniveau kommen, denn derzeit leben wir ökologisch über unsere Verhältnisse, sagt Dieter Helm. © Yale University Press London

Wenn Sie jedoch ein Energieversorgungsunternehmen sind, dessen Dienstleistungen langfristig benötigt werden und dessen Anlagen wie Leitungen und Masten eine sehr lange Lebensdauer haben, besteht die wichtigste wirtschaftliche Aufgabe darin, sie zu erhalten. Diese Kapitalerhaltung ist ein Betriebskostenfaktor und kein Investitionskostenfaktor. Sie sollten Ihre Anlagen nicht abschreiben und die Abschreibungen nicht zur Stützung Ihrer Dividenden verwenden. Sie sollten Ihr Kapital langfristig erhalten. 

Geht Rechnungslegung über die reine Bilanz hinaus?

Ja. Das Thema ist etwas technisch. Aber überlegen Sie, was eine Bilanz widerspiegeln sollte. Jedes Unternehmen muss in einem geeigneten Rahmen betrachtet werden. Dieser umfasst nicht nur die Produktionsanlagen und Mitarbeitenden, sondern auch die Lieferkette. Ein Beispiel: Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, zur Verringerung Ihrer CO2-Emissionen ein Elektrofahrzeug zu kaufen, sollten Sie über die Batterie-Lieferkette nachdenken. Das Kobalt stammt aus einer Mine, die inmitten der Urwälder des Kongobeckens liegt.

Neue Technologien eröffnen enorme Möglichkeiten. 

Prof. Dieter Helm, Universität Oxford

Das Nickel wird in gerodeten Regenwaldgebieten Indonesiens abgebaut und dann in Russland raffiniert. Die Abfälle dieses Prozesses landen im Nordpolarmeer. Und wie umweltfreundlich der Kupfer- und Lithiumabbau in den chilenischen Minen ist, zeigt ein Blick auf Google Earth. Wer sagt, ein Elektrofahrzeug sei emissionsfrei, hat die Lieferkette nicht verstanden.

Es scheint, als führe ein nachhaltigerer Lebensstil zu massiven Rückschritten bei unserem Lebensstandard. Sie sagen, dass der technologische Fortschritt eine wichtige Rolle beim Erhalt der Lebensqualität spielt. Können Sie das näher erläutern?  

Ökologisch leben wir derzeit über unsere Verhältnisse. Deswegen müssen wir auf ein nachhaltiges Konsumniveau kommen. Wir werden entweder in der Zukunft dazu gezwungen – oder können jetzt entsprechende Massnahmen ergreifen. Aber das bedeutet, dass wir für die Umweltverschmutzung bezahlen müssen, und zwar in Form von Kohlenstoffsteuern und Vorschriften, die die Unternehmen zur Reduzierung der Umweltverschmutzung und des Verbrauchs zwingen.  

Ein Mann sitzt und spricht, im Hintergrund eine grosse Bibliothek, ein Schreibtisch und ein Globus
Wenn wir der nächsten Generation eine Umwelt, eine Natur hinterlassen können, die mindestens so gut ist wie die, die wir geerbt haben, und wenn wir den Temperaturanstieg auf ein oder zwei Grad begrenzen können, wäre das fantastisch. © Yale University Press London

In einem Punkt bin ich anderer Meinung als fast alle Umweltschützerinnen und Umweltschützer: Meines Erachtens spricht nichts gegen ein beachtliches Wirtschaftswachstum und einer weiteren Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, sobald wir ein nachhaltiges Konsumniveau erreicht haben. Wieso das so ist? Weil Wirtschaftswachstum durch technologischen Wandel erzeugt wird. Neue Technologien eröffnen enorme Möglichkeiten. Denken Sie an Quantencomputer, an die Errungenschaften der Genetik und der synthetischen Biologie. Oder an künstliche Intelligenz und die Digitalisierung fast sämtlicher Bereiche.

Wie sehen Sie die Zukunft?

Wenn wir der nächsten Generation eine Umwelt, also eine Natur, hinterlassen können, die mindestens so gut ist wie die, die wir geerbt haben, und wenn wir den Temperaturanstieg auf ein oder zwei Grad begrenzen können, dann wäre das fantastisch. Es liegt in der menschlichen Natur, dass wir uns um unsere eigenen Kinder, unsere eigene Familie und um den eigenen Lebensbereich sorgen. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir pragmatisch erreichen können, weniger Schaden an der Welt anrichten, die wir der nächsten Generation hinterlassen, und die Technologie nutzen, um dies zu erreichen.

Über Dieter Helm

Sir Dieter Helm ist Professor für Wirtschaftspolitik an der University of Oxford und Wirtschaftswissenschaftler am New College, Oxford. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Frage, wie eine nachhaltige Wirtschaft aussehen könnte. Er hat verschiedene Bücher geschrieben, darunter Net Zero, Green and Prosperous Land, Natural Capital, The Carbon Crunch und zuletzt Legacy: How to Build the Sustainable Economy. Dieter Helm berät mit seinem Expertenwissen Regierungen, Aufsichtsbehörden sowie Unternehmen im Vereinigten Königreich und in Kontinentaleuropa über Energie-, Klima- und Umweltthemen. 

LGT und Nachhaltigkeit

An die Zukunft denken, ist Teil unserer Unternehmenskultur

Nachhaltig denken, wirtschaften und investieren sind elementare Teile unserer DNA. Unsere Eigentümerin, die Fürstenfamilie von Liechtenstein, hat früh erkannt, wie wichtig Nachhaltigkeit für unsere Umwelt, Gesellschaft und Zukunft ist. Als familiengeführte und nachhaltige Privatbank engagieren wir uns für das Pariser Klimaabkommen, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und einen nachhaltigen Finanzsektor. 

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