- Home
-
Private Banking
-
Market View & Insights
Unternehmen investieren massiv in die Sicherung der internationalen Lieferketten, während in Regierungskreisen die Neigung zu Handelsprotektionismus zunimmt. Wer anlegt, ist daher mit neuen wirtschaftlichen Risiken konfrontiert - hat aber auch grosse Chancen.
Neues Jahr, neue Hoffnungen, sagt das Sprichwort. Die Huthi-Angriffe auf Tanker im Roten Meer strafen es allerdings Lügen - und sorgen für Bestürzung bei Anlegerinnen und Anlegern. Dieser neue Engpass im Gütertransport treibt die Vertriebskosten und den Ölpreis in besorgniserregender Weise in die Höhe. Er ist der jüngste Beleg dafür, dass sich Unternehmen aufgrund der Geopolitik einer neuen Sicherheitslage stellen müssen.
"Die zunehmenden geopolitischen Spannungen und die Pandemie haben gezeigt, wie riskant eine übermässige Abhängigkeit von ausländischen Ressourcen und Produktionskapazitäten ist", sagt Reto Egli, Head of Fund Research EMEA bei der LGT. Nach Jahrzehnten der raschen Globalisierung sowie der Ausweitung des internationalen Handels und der Investitionen sind Unternehmen und Länder nun dabei, diesen Trend umzukehren.
Wirtschaftliche Sicherheit hat heute oberste Priorität - noch vor globalem Wachstum. Die Unternehmen erarbeiten Möglichkeiten zum Umgang mit diesen Herausforderungen, wovon bestimmte Branchen erheblich profitieren dürften. Bereits heute fliessen beispielsweise beträchtliche Investitionen in die Cybersicherheit und die Verteidigungsindustrie. In Zukunft werden die Bereiche Rückverlagerung und Rohstoffversorgung an Bedeutung gewinnen.
Mit den einschneidenden Ereignissen der 2020er-Jahre ist die Wirtschaftssicherheit ins Rampenlicht gerückt - obwohl dies bereits ein bekanntes Thema war. Europa hängt seit Jahrzehnten am Ölhahn anderer Staaten und zahlreiche produzierende Unternehmen in den USA verlassen sich auf den Import von Komponenten aus China, um nur zwei Beispiele für die Verwundbarkeit der Versorgungssysteme zu nennen.
Inzwischen zeigen sich weitere Risiken. Der Protektionismus hat in den letzten zehn Jahren langsam zugenommen, aber seit 2020 sind die weltweiten Handelsbeschränkungen sprunghaft angestiegen. Diese Sanktionen sind zeit- und kostenaufwändig und haben andere Schwachstellen in den Lieferketten aufgedeckt, darunter die übermässige Abhängigkeit von einer einzigen Bezugsquelle für wichtige Komponenten und Ressourcen.
Selbst in den Industrieländern geht man inzwischen davon aus, dass wirtschaftliche Sicherheit zu wichtig ist, als dass man ihre Stärkung allein den Unternehmen überlassen sollte. Auch die Regierungen werden aktiv und investieren rekordhohe Summen, um die Resilienz strategisch wichtiger Branchen wie der Produktion, der Verteidigung, der IT und der Energieerzeugung und -versorgung zu stärken. "Ressourcensicherheit steht derzeit ganz oben auf den politischen Agenden", sagt Egli. "Die jüngsten geopolitischen Spannungen haben das Bewusstsein für die Gefahr geschärft, dass wichtige Ressourcen wie Energie und wichtige Rohstoffe plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen, wie bisher angenommen."
Unternehmen, denen es gelingt, ihre Lieferketten zu diversifizieren, dürften von staatlichen Initiativen profitieren. Um ihre Anfälligkeit für externe Schocks zu verringern und ihre wirtschaftliche Sicherheit zu erhöhen, führen Unternehmen auch interne Umstrukturierungsprojekte durch. Onshoring und Reshoring sind in diesem Zusammenhang von grundlegender Bedeutung. Während die Unternehmen in der Vergangenheit einfach nach dem billigsten Ort für die Herstellung der benötigten Komponenten suchten und die Produktion oft in ein Entwicklungsland verlagerten, holen sie heute einige wichtige Komponenten zurück in ihr Heimatland oder verteilen die Produktion auf mehrere Märkte.
Der (Wieder-)Aufbau von Produktionskapazitäten an neuen Standorten erfordert erhebliche Investitionen. Hersteller von Industrieanlagen und Automatisierungssystemen werden von diesem Trend profitieren. Viele Unternehmen in diesen Branchen waren in der Vergangenheit eher zyklisch und profitierten nur in Phasen des Aufschwungs, wenn die Investitionsausgaben der Unternehmen hoch waren. "Wir glauben, dass sich der aktuelle Konjunkturzyklus auf ausgewählte zyklische Aktien anders auswirken wird als in der Vergangenheit", sagt Egli. "Das liegt daran, dass starke strukturelle Treiber wie der anhaltende Trend zum Reshoring die Zyklizität der Erträge in bestimmten Marktsegmenten deutlich reduzieren könnten."
Die Suche nach Lösungen für die Energieversorgung fügt sich gut in die Dekarbonisierungsagenda ein.
Die Halbleiterindustrie ist ein Beispiel für diese Entwicklung. Leistungsstarke Halbleiter kommen in zahlreichen Alltagsprodukten zum Einsatz, etwa in Smartphones, Laptops oder Fahrzeugen. Dieser zentrale Bestandteil wird aber hauptsächlich in einem einzigen Land produziert: in Taiwan. Während der Pandemie sorgten globale Transportprobleme für eine Halbleiterknappheit. Die Folge waren erhebliche Produktionsverzögerungen in zahlreichen Branchen. Nun hoffen die Unternehmen und die Regierungen, dass sich dieses signifikante Sicherheitsrisiko für ihre Wirtschaften durch den Aufbau von einheimischen Produktionskapazitäten, d. h. die Repatriierung eines wesentlichen Bestandteils zahlreicher Lieferketten, mindern lässt. Die Spannungen zwischen China und Taiwan tun ein Übriges, um diese Entwicklung zu beschleunigen.
Auch die Energieversorgung gibt Anlass zur Sorge, insbesondere in Europa, wo die langjährige Abhängigkeit zahlreicher Länder von russischem Erdöl 2022 plötzlich infrage gestellt wurde. Auf dem gesamten Kontinent suchen Unternehmen und Regierungen seither nach Möglichkeiten zur Diversifikation ihrer Energieversorgung.
Diese Bemühungen fügen sich gut in die bereits weit fortgeschrittene Dekarbonisierungsagenda ein. Darüber hinaus erfordert ein effektiver Übergang zu einer Netto-Null-Energieversorgung diversifizierte und stabile Lieferketten, um den Zugang zu den erforderlichen Ressourcen (wie seltene Mineralien für Batterien) zu gewährleisten.
Unternehmen und Regierungen investieren erhebliche Summen, um die Wirtschafts- und Versorgungssicherheit in unsicheren Zeiten zu gewährleisten. Die Vermeidung internationaler Risiken wird dazu beitragen, globale Lieferketten zu stabilisieren, die wirtschaftliche Sicherheit zu erhöhen und denjenigen Unternehmen und Branchen Auftrieb zu geben, die in der Lage sind, wirksame Lösungen zu finden. In einem Jahr, in dem in mehr als 70 Ländern der Welt Wahlen stattfinden, ist es jedoch wichtig, sich daran zu erinnern, dass nicht alle Risiken gemindert werden können, insbesondere dann nicht, wenn Veränderungen in der politischen Führung neue Unsicherheiten mit sich bringen.
Die LGT Experten analysieren laufend die globale Markt- und Wirtschaftsentwicklung. Mit unseren Research-Publikationen zu den internationalen Finanzmärkten, Branchen und Unternehmen treffen Sie fundierte Anlageentscheide.