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Finanzwissen

Schein oder Sein - was ist VolatilitÀt wirklich?

Dass MÀrkte fluktuieren, ist normal und lÀsst sich kaum vermeiden. Aber sind diese Fluktuationen auch ein Grund zur Angst?

  • von Ellen Sheng, Gastautorin
  • Datum
  • Lesezeit 4 Minuten

Menschen werden in der Schleife einer riesigen Achterbahn auf den Kopf gestellt, im Hintergrund blauer Himmel.
Anlagen und VolatilitĂ€t sind untrennbar miteinander verbunden. Die VolatilitĂ€t der MĂ€rkte zu verstehen und zu akzeptieren ist jedoch der SchlĂŒssel zu einer langfristigen Vermögensverwaltung. © istock/ManunNgueampha

Mit der Pandemie setzten auch Börsenturbulenzen ein. Dies verlieh der Frage, wie sich VolatilitÀt auf Anlageportfolios auswirkt, eine ganz neue Dringlichkeit. Ja, VolatilitÀt kann nervenaufreibend sein. Aber es existiert kein Markt ohne sie und man sollte ihr auch nicht um jeden Preis aus dem Weg gehen. Also, was genau steckt hinter dem Begriff VolatilitÀt?

Wie lÀsst sich VolatilitÀt messen?

Im Finanzwesen bezieht sich der Begriff VolatilitĂ€t auf das Ausmass der Schwankungen der Handelspreise im Zeitverlauf. Sie wird im Allgemeinen mithilfe von Standardabweichungen ausgedrĂŒckt - Abweichungen von DatensĂ€tzen von einem Mittelwert. Eine geringe Standardabweichung bedeutet, dass die Daten nahe beim Mittelwert liegen. Bei einer hohen Standardabweichung liegen die Daten weiter vom Mittelwert entfernt: Die VolatilitĂ€t fĂ€llt höher aus.

VolatilitĂ€t an sich sagt nichts ĂŒber den Renditetrend aus. 

Derek Horstmeyer, Professor, George Mason University School of Business

Eine weitere wichtige Messgrösse ist der CBOE-VolatilitĂ€tsindex, der hĂ€ufig mit seinem Tickersymbol VIX bezeichnet wird. Der Index misst die VolatilitĂ€tserwartungen des Marktes fĂŒr die jeweils nĂ€chsten 30 Tage. HĂ€ufig wird er auch als Angstindex bezeichnet. Je höher die Unsicherheit und je grösser die VolatilitĂ€t, desto höher steigt der VIX. Wenn die MĂ€rkte eher optimistisch gestimmt sind und die Ängste zurĂŒckgehen, gehen auch die Indexwerte zurĂŒck.

Ein Mann mit weissem Hemd und Brille lÀchelt in die Kamera, im Hintergrund die Natur.
Professor Derek Horstmeyer ist spezialisiert auf die Performance von Exchange Traded Funds (ETFs) und Investmentfonds.

Anders als die Standardabweichung, die aus historischen Daten abgeleitet wird, ist der VIX zukunftsgerichtet und misst die VolatilitÀt, indem er den Handel in Indexoptionen auf den S&P 500 verfolgt. Bei Optionen handelt es sich um Kontrakte, die Anlegerinnen und Anlegern das Recht geben, sie jedoch nicht verpflichten, Aktien bis zu einem bestimmten Datum zu einem bestimmten Preis zu kaufen oder zu verkaufen. Da der Index die Optionspreise verfolgt, gibt er einen Einblick, wie der Markt in Bezug auf die nÀhere Zukunft gestimmt ist. Um die Stimmung insgesamt möglichst genau abzubilden, werden die Optionspreise gewichtet: Prominente Optionen mit Einfluss auf den Markt erhalten eine höhere Gewichtung.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die VolatilitĂ€t kein Indikator dafĂŒr ist, ob Kursanstiege oder -rĂŒckgĂ€nge anstehen. Vielmehr zeigt sie an, wie sehr die Kurse geschwankt haben oder in naher Zukunft schwanken dĂŒrften

"VolatilitĂ€t tritt in Haussen oder in Baissen auf. Per se sagt sie nichts ĂŒber die Tendenz der Renditen aus", sagt Derek Horstmeyer, Professor an der George Mason University School of Business im Fachgebiet Performance von Exchange Traded Funds (ETFs) und Anlagefonds.

Hoch volatile Fonds erbringen höhere Renditen

Menschen, einige in blauen Kitteln, schauen auf Computerbildschirme oder telefonieren, wÀhrend sie die Hand zu einem Mann heben.
Fonds mit hoher VolatilitĂ€t erzielten eine durchschnittliche Rendite von 5.81 Prozent pro Jahr gegenĂŒber 2.51 Prozent bei Fonds mit niedriger VolatilitĂ€t - ein Trend, der bei SchwellenlĂ€nderfonds noch ausgeprĂ€gter ist. © UPI/Brian Kersey/laif

Bei der Beurteilung potenzieller Renditen und Anlagerisiken spielt die VolatilitĂ€t eine wesentliche Rolle. In einer kĂŒrzlich veröffentlichten Studie befasste sich Derek Horstmeyer mit der Frage, welche Strategien höhere Renditen erbringen - solche mit hoher oder solche mit geringer VolatilitĂ€t. Auf der Basis von Morningstar-Daten zu Anlagefonds und ETFs mit hoher bzw. geringer VolatilitĂ€t aus den letzten zehn Jahren fand er "klare und eindeutige" Beweise dafĂŒr, dass erstere wesentlich höhere Renditen erbrachten als letztere.

Hoch volatile US-Fonds erbrachten in den letzten zehn Jahren eine annualisierte Rendite von 15.89 Prozent nach Steuern, wĂ€hrend Fonds mit geringer VolatilitĂ€t im selben Zeitraum ganze 5.16 Prozent einbrachten. Bei der Betrachtung globaler Fonds unter Ausschluss der USA zeigten sich vergleichbare Ergebnisse. Hoch volatile Fonds erzielten im Schnitt eine Rendite von 5.81 Prozent p. a. im Vergleich zu 2.51 Prozent p. a. bei Fonds mit geringer VolatilitĂ€t. Hoch volatile SchwellenlĂ€nderfonds wiesen im Schnitt eine Rendite von 4.55 Prozent p. a. aus, bei vergleichbaren Fonds mit geringer VolatilitĂ€t waren es 0.11 Prozent p. a. 

Die Begriffe VolatilitÀt und Risiko werden oft synonym verwendet. Sie bezeichnen jedoch nicht dasselbe.

VolatilitĂ€t ist ein wesentlicher Faktor, den Anlegerinnen und Anleger berĂŒcksichtigen, aber nicht unbedingt vermeiden sollten. Sie sagt nichts darĂŒber aus, ob die Kurse steigen oder fallen werden. Tatsache ist jedoch, dass die Chancen fĂŒr Einstiege zu niedrigen Kursen und gewinntrĂ€chtige Ausstiege ("Buy low, sell high") steigen, je volatiler die Kurse sich verhalten. AusgeprĂ€gt volatile Kurse "bieten mehr Möglichkeiten, grosse Kursunterschiede zu erzielen. In diesem Fall hat man öfter Gelegenheit, zu gĂŒnstigen Preisen Positionen aufzustocken. Anlegerinnen und Anleger mit einem langen Zeithorizont sollten die VolatilitĂ€t daher in positivem Licht sehen. Bei vielen ist das aber nicht der Fall", sagt Robert Johnson, Professor fĂŒr Finanzen am Heider College of Business der Creighton University.

A barn in the middle of a rural landscape
Der berĂŒhmte Investor Warren Buffett kaufte Agrarland, als der Preis von USD 2 000 pro Morgen auf USD 600 pro Morgen gefallen war - ein Beispiel fĂŒr eine Änderung der Marktstimmung, nicht des Risikos. © istock/IamVagabond

JĂŒngere Anlegerinnen und Anleger, die ein Kapitalwachstum erzielen möchten, können sich einen lĂ€ngerfristigen Anlagehorizont und volatilere Portfolios eher leisten. Umgekehrt gilt, dass Anlegerinnen und Anleger, die kurz vor dem AltersrĂŒcktritt stehen oder bereits pensioniert sind und ihr Kapital erhalten möchten, allenfalls gut daran tun, sich vor hoher VolatilitĂ€t zu hĂŒten. Der Grund dafĂŒr ist relativ einfach: Ältere Menschen haben bei einem Kurseinbruch von ĂŒber 30 Prozent, wie er zuletzt in der Finanzkrise von 2008 eingetreten ist, weniger Zeit, um auf Kurserholungen zu warten.

VolatilitÀt und Risiko

Im Anlagekontext werden die Begriffe VolatilitĂ€t und Risiko hĂ€ufig synonym verwendet. Sie bezeichnen aber nicht dasselbe. VolatilitĂ€t ist eine Kenngrösse fĂŒr das Ausmass von Kursschwankungen; Risiko dagegen ist die Möglichkeit, dass ein negatives Ereignis eintritt.  

Robert Johnson ist sich bewusst, dass beide Begriffe in der Finanzwelt synonym verwendet werden. Dennoch sollte man unbedingt zwischen ihnen unterscheiden. Um den Unterschied zu illustrieren, bezieht sich Johnson gerne auf den berĂŒhmten Investor Warren Buffett, der Agrarland kaufte, als der Preis von USD 2000 pro Morgen auf USD 600 pro Morgen gefallen war.

Eine Frau schaut etwas besorgt und nachdenklich auf einen Bildschirm, die HĂ€nde unter dem Kinn gefaltet.
Anlegerinnen und Anleger können als Risikoindikator erkennen, ob ein Unternehmen ein nachhaltiges GeschĂ€ftsmodell hat - ein wesentliches Element der VolatilitĂ€t, das oft ĂŒbersehen wird. © istock/PeopleImages

"Wenn VolatilitĂ€t dasselbe wĂ€re wie Risiko, wĂ€re der Kauf von Agrarland zu einem Preis von USD 600 riskanter ist als der Kauf zu einem Preis von USD 2000. Das mit dem Land verbundene Risiko war jedoch in beiden FĂ€llen gleich; was sich geĂ€ndert hatte und den Preis drĂŒckte, war nur die Stimmung im Markt."

Ein weiteres Beispiel: Gewisse Halbleitertitel sind im vergangenen Jahr um 300 Prozent gestiegen, da kĂŒnstliche Intelligenz plötzlich zum neusten und heissesten Marktthema wurde. Ein derart hoher plötzlicher Kursanstieg fĂŒhrt zu VolatilitĂ€t, was aber nicht bedeutet, dass es sich bei Halbleiterfirmen um riskante Anlagen handelt. 

NatĂŒrlich gibt es Zeiten, in denen Anlagen effektiv riskanter sind, da der Kurs mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter einbrechen könnte. Dies ist die Art von Risiko, vor der man sich als Anlegerin oder Anleger hĂŒten sollte. Johnson unterstreicht, dass es zwei Arten von Risiken gibt: das geschĂ€ftliche Risiko und das Kursrisiko. Beim geschĂ€ftlichen Risiko geht es darum, dass interne oder externe Faktoren das Finanzergebnis eines Unternehmens belasten könnten. Beim Kursrisiko handelt es sich um das Risiko, dass ein Titel oder ein Portfolio aufgrund von Faktoren wie der Marktdynamik, der Zinsentwicklung oder Ereignissen von globaler Tragweite Wertverluste erleidet. Dieses Risiko sollte nicht mit VolatilitĂ€t verwechselt werden.

Ein Mann in Anzug und Krawatte lÀchelt in die Kamera.
Professor Robert Johnson vom Heider College of Business der Creighton University. © istock/IamVagabond

Das geschĂ€ftliche Risiko ist von wesentlicher Bedeutung, wenn langfristig in einen bestimmten Titel angelegt werden soll. Johnson vertritt die Ansicht, dass man bei Anlagen darauf achten sollte, ob das betreffende Unternehmen ein nachhaltiges GeschĂ€ftsmodell aufweist. "Dies ist ein besserer Risikoindikator als Kursschwankungen von 50 Prozent im letzten Jahr. Und genau das ist ein grundlegender Fakt: VolatilitĂ€t wird von den Anlegerinnen und Anlegern falsch verstanden", wie er ausfĂŒhrt.

Anlagen und VolatilitÀt lassen sich nicht voneinander trennen. Wilde Kursschwankungen machen zwar manche Anlegerinnen und Anleger nervös. Wer aber versteht und akzeptiert, dass Marktfluktuationen ein ganz normaler Teil der AnlagetÀtigkeit sind, hat die besten Chancen, seinen langfristigen Vermögensverwaltungsplan auf Kurs zu halten.

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